Bitzan, Wendelin

Umsatzsteuerfreiheit für Musikunterricht!

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 6/2024 , Seite 38

Um die deutsche Umsatzsteuergesetzgebung europarechtskonform zu gestalten, wurden im Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums für das Jahressteuergesetz 2024,1 das am 18. Oktober 2024 vom Bundestag beschlossen wurde, verschiedene Anpassungen gegenüber dem Status quo eingeführt. Diese betrafen auch die Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung von Lehrtätigkeiten bzw. Unterrichtsleistungen und damit die Arbeit von MusikpädagogInnen, insbesondere von Freischaffenden sowie privaten Musikschulen. Der fragliche Paragraf – § 4 Nr. 21 UStG – konnte im Wortlaut des Entwurfs dazu führen, dass selbstständige Lehrkräfte künftig umsatzsteuerpflichtig werden, wenn für ihre Arbeit keine berufsvorbereitende Funktion sowie eine Gewinnerzielungsabsicht festgestellt werden sollte. Dabei war und ist dies unionsrechtlich gar nicht vorgesehen: Artikel 132 Buchstabe i der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie2 verlangt eine umfassende Umsatzsteuerfreiheit für Unterricht, Ausbildungs- und Fortbildungsleistungen und damit auch für jeglichen Musikunterricht.
Eine Umsatzsteuerpflicht hätte massive Einschränkungen im musikalischen Bildungsangebot zur Folge. Der anfallende Steuersatz von 19 Prozent müsste an die EndverbraucherInnen, also SchülerInnen und deren Familien, weitergegeben werden. Diese Mehrbelastung würden viele Familien nicht tragen können, und eine Abmeldung bzw. erst gar keine Anmeldung zum Unterricht wären die Konsequenz. Es drohen negative Entwicklungen bei der Bildungsgerechtigkeit sowie erhebliche Einbußen in einer ohnehin oftmals prekären Einkommenssituation der Lehrkräfte. Weitere Unsicherheit entsteht durch die Perspektive, dass für Bescheinigungen darüber, ob Musikunterricht als berufsvorbereitende Bildungsleistung oder als Freizeitbeschäftigung angesehen wird, künftig die Finanzämter und nicht bildungspolitisch qualifizierte Prüfstellen zuständig sein sollen.
Eine Vielzahl von Verbänden und Interessenvertretungen hat auf den Gesetzesentwurf reagiert, um eine Verschlechterung der beruflichen Situation insbesondere für Soloselbstständige und auf Honorarbasis an Musikschulen tätige MusikpädagogInnen zu vermeiden. Zudem hat eine privat ini­tiierte Petition zum Thema3 innerhalb der Zeichnungsfrist mehr als 105000 Stimmen erhalten; diese wurde am 9. Oktober 2024 unter Mitwirkung von VertreterInnen des Deutschen Musikrats, des Bundesverbands Deutscher Gesangspädagogen und des Bundesverbands der Freien Musikschulen an zwei Bundestagsabgeordnete und Mitglieder des Finanzausschusses des Bundestags übergeben.
Von politischer Seite wurde Offenheit für eine Anpassung des § 4 Nr. 21 UStG signalisiert und die Notwendigkeit erkannt, musikalische Bildungsangebote auch künftig rechtssicher und ohne bürokratische Hürden von der Umsatzsteuer befreien zu können. Auch von gewerkschaftlicher Seite zeigt man sich zunehmend aufgeschlossener für Perspektiven einer unternehmerisch fundierten Freiberuflichkeit, wie ein sehr ausgewogener Bericht in der neuen musikzeitung aus dem Umfeld der ver.di-Fachgruppe Musik demonstriert.4
Selbstständige Arbeit muss wirtschaftlich und existenzsichernd sein, ist also darauf angewiesen, systematisch Gewinn zu erzielen und eine Altersvorsorge zu generieren. Um die Akzeptanz dieser Zusammenhänge, die in der Musikszene noch immer gelegentlich in Frage gestellt werden, zu erhöhen, erscheint es geboten, mit Interessenvertretungen anderer Fachrichtungen und Branchen zusammenzuarbeiten. Maßgebliches leistet hier die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV), die fachlich gut aufgestellt und politisch weit vernetzt ist. In diesem Zusammenschluss sind auch einige Musikverbände vertreten, darunter der Tonkünstlerverband Berlin und der Bundesverband der Freien Musikschulen, die bisher einzige Organisation, die für eine konsequente Umsatzsteuerbefreiung jeglichen Musikunterrichts ohne die Notwendigkeit eines Bescheinigungsverfahrens eintritt.5
Die BAGSV hat mit ihrem Positionspapier6 die bisher fundierteste Stellungnahme zum Thema vorgelegt und dargestellt, dass selbstständige Lehrkräfte branchenübergreifend unentbehrlich sind, um eine zeitgemäße Bildungsinfrastruktur schaffen und erhalten zu können. Zudem darf eine Umsatzsteuerbefreiung nicht von einer bestimmten Rechtsform abhängig sein – vor allem vor dem Hintergrund, dass die EU-Kommission bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland im Zusammenhang mit der Besteuerung von Privatunterricht eingeleitet hat.
Der Finanzausschuss des Bundestags hat einige Änderungen in das Jahressteuergesetz eingebracht, das nunmehr beschlossen ist. Das Bescheinigungsverfahren wird vorerst beibehalten; ab 2025 sind Unterrichtsleistungen selbstständiger Lehrkräfte und auch Fortbildungen umsatzsteuerbefreit, wenn die zuständige Landesbehörde bestätigt, dass diese einem unmittelbaren Schul- oder Bildungszweck dienen. Damit sind jedoch nicht alle Rechtsunsicherheiten ausgeräumt; der Deutsche Musikrat fordert einen Bestandsschutz für bereits ausgestellte Umsatzsteuerbefreiungen.7 Auch weiterhin wird es darum gehen müssen, EntscheidungsträgerInnen und PolitikerInnen für die Problemlage zu sensibilisieren und deutlich zu machen, dass die Einordnung von Musikunterricht als bloße Freizeitbeschäftigung weitreichende negative Folgen für die Bildungslandschaft haben würde.

1 www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2024-06-05-JStG-2024/0-Gesetz.html (Stand: 6.11.2024).
2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri=CELEX%3A32006L0112 (Stand: 6.11.2024).
3 www.openpetition.de/petition/online/qualifizierter-musikunterricht-muss-umsatzsteuerfrei-bleiben (Stand: 6.11.2024).
4 www.nmz.de/nmz-verbaende/verdi-fachgruppe-musik/reform-progress (Stand: 6.11.2024).
5 www.freie-musikschulen.de/der-bundesverband-der-freien-musikschulen-fordert-den-erhalt-der-umsatzsteuerbefreiung-von-musikunterricht (Stand: 6.11.2024).
6 www.musikrat.de/fileadmin/redaktion/news/2024/08_2024/Positionspapier_Jahressteuergesetz_2024.pdf (Stand: 6.11.2024).
7 www.musikrat.de/media/aktuelles/meldung/deutscher-musikrat-nimmt-stellung-zum-im-bundestag-verabschiedeten-jahressteuergesetz-2024 (Stand: 6.11.2024).

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