Simon, Jürgen
Und es geht doch!
Zwei Beispiele für Privatmusikschulen, die sowohl pädagogisch als auch wirtschaftlich erfolgreich sind
Es ist nicht leicht, eine private Musikschule zu betreiben, die hohen pädagogischen und künstlerischen Ansprüchen gerecht wird und dabei dem Betreiber ein angemessenes Einkommen sichert. Dass es doch geht, zeigen die folgenden beiden sehr unterschiedlichen Beispiele.
In der Brandenburger Straße, mitten in der Fußgängerzone in Potsdam, befindet sich der Hauptsitz der Musikschule Bertheau & Morgenstern. Die beiden Gründer empfangen mich im Früherziehungsraum – ein lichtdurchfluteter Raum, der an eine Dachterrasse grenzt. Die Wände sind in einem kräftigen Blau gehalten, der Teppichboden und die Stühle in verschiedenen Größen sind passend dazu ausgewählt. Außer einigen Instrumenten fällt sofort ein originelles Kunstwerk aus Kupferrohren an der Wand auf, das sich im Warteraum für die Eltern fortsetzt. Man merkt, hier hat jemand mit viel Kreativität und Liebe zum Detail die Räume gestaltet. Bertheau & Morgenstern ist mit rund 3000 SchülerInnen und mehr als 140 Lehrkräften eine große Musikschule – größer sogar als die kommunale Musikschule, die sich in unmittelbarer Nähe befindet.
Der Weg bis dahin war nicht leicht. Katrin Morgenstern und Andreas Bertheau kennen sich von der Arbeit an der Uni Potsdam und überlegten Anfang der 1990er Jahre, eine Musikschule zu gründen. 1995 begannen sie mit der konkreten Planung. Sie besuchten verschiedene Existenzgründerseminare, u. a. an der Uni Potsdam, wo sie zwischen vielen informatik- und technologieorientierten Gründern eher Exoten waren. Sie besuchten Betreiber von privaten Musikschulen in der ganzen Bundesrepublik. Sie sprachen mit Banken über Startkapital, was sich zunächst als schwierig erwies, da sie kein Eigenkapital hatten und sich Banken mit künstlerisch orientierten Unternehmungen nicht auskannten. Sie lernten, Businesspläne zu schreiben, und erhielten mit Hilfe der Bürgschaftsbank und der KfW ein Darlehen zu einem akzeptablen Zinssatz. Bis heute sind sie ihrer Bank treu geblieben – überhaupt sind ein guter Kontakt und langjährige zuverlässige Beziehungen zu den verschiedensten Partnern ein wichtiger Aspekt ihres Erfolgs.
Eine besondere Rolle spielte auch die Beziehung zu ihrem ersten Vermieter. Bereits während der Planungsphase engagierten sich Katrin Morgenstern und Andreas Bertheau im Umfeld ihrer künftigen Musikschule auf Straßenfesten und mit Konzerten. So konnte schließlich auch der Investor, der die Räume, die für die zukünftige Musikschule vorgesehen waren, vermietete, überzeugt werden, die erheblichen Kosten für die Schallisolierung der gemieteten Räume zu übernehmen, sodass das gesamte Gründungskapital in die Ausstattung der Räume und Instrumente investiert werden konnte.
Zwei Jahre nach dem Beginn der Planungen war es schließlich soweit: 1997 wurde die Musikschule Bertheau & Morgenstern gegründet. „Es war eine harte Zeit“, erinnert sich Katrin Morgenstern, „und ohne die Hilfe beider Familien, die nicht nur Flyer an zehntausende Haushalte verteilten, sondern auch in vielen anderen Bereichen mithalfen, wäre es nicht zu schaffen gewesen.“ Es dauerte dann noch weitere zwei bis drei Jahre, bis sich die beiden Gründer zum ersten Mal ein Gehalt überwiesen. Bis dahin wurden alle Einnahmen sofort wieder in die Musikschule investiert. Auch heute noch fließt ein großer Teil der Gewinne in die Erweiterung der Musikschule.
Inzwischen verfügt die Musikschule über ein Netz von sechs eigenen Standorten allein in Potsdam. Dazu kommen noch Unterrichtsangebote in mehreren Grundschulen und Kitas. „Wir wollen in der Nähe der Schüler sein, weil es für viele Schüler und Eltern schwierig ist, quer durch die Stadt zum Unterricht zu fahren“, erklärt Andreas Bertheau. Inzwischen gibt es auch eine Filiale in Falkensee und zwei Filialen in Berlin. Mit Martin Behm wurde ein dritter Inhaber mit ins Boot geholt, der im Gegensatz zu Katrin Morgenstern und Andreas Bertheau, die beide aus dem Bereich der klassischen Musik kommen, mehr im Popmusikbereich zuhause ist.
Keine Kompromisse beim pädagogischen Anspruch
Von Anfang an war einer der wichtigen Pfeiler des Konzepts, nur hochwertige pädagogische Angebote zu machen. Dazu setzten die Gründer von Anfang an ausschließlich auf Pädagoginnen und Pädagogen mit einer Hochschulausbildung. Auch der Anteil von Einzelunterricht ist hoch: Annähernd zwei Drittel der erteilten Unterrichtsstunden werden als Einzelunterricht erteilt. Außer Instrumentalunterricht werden die verschiedensten Kurse angeboten. Dabei gibt es neben der musikalischen Früherziehung, dem Instrumentenkarussell und Kursen für Eltern und Kleinkinder auch Ensemblespiel in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen vom Blockflötenquartett über verschiedene Bands bis hin zu Chor- und Orchesterangeboten, aber auch eher unübliche Angebote wie eine Bodypercussion-Gruppe.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die vielen Veranstaltungen. Rund hundert Veranstaltungen werden von der Musikschule jedes Jahr durchgeführt. Außer den von den Lehrkräften veranstalteten Klassenvorspielen gibt es auch regelmäßig öffentliche Konzerte an unterschiedlichen Orten. Dieses breite Spektrum ist natürlich auch für die LehrerInnen attraktiv. Monatlich bewerben sich zehn bis 15 Lehrkräfte. Für Festanstellungen reichen die Entgelte, die insbesondere für den Einzelunterricht zu zahlen sind, leider nicht, und auch die Honorare liegen geringfügig unter denen, die von den öffentlichen Musikschulen in Brandenburg gezahlt werden. Dafür werden Zusatztätigkeiten wie Klassenvorspiele und Konzerte ebenfalls honoriert und insbesondere für aufwendigen Kurs- und Klassenunterricht sind die Honorare deutlich höher.
„Wir wollen unsere Lehrer natürlich möglichst langfristig an uns binden und gleichzeitig möglichst viele attraktive Angebote für unsere Schüler anbieten“, sagt Andreas Bertheau. „Deshalb bieten wir unseren Lehrkräften die Möglichkeit, einmal im Jahr eine Weiterbildungsveranstaltung zu besuchen, für die wir die Kosten übernehmen.“ Darüber hinaus werden auch eigene Weiterbildungen veranstaltet, die teils mit externen, teils mit eigenen DozentInnen durchgeführt werden.
Ein wichtiges Standbein für die Musikschule ist die intensive Zusammenarbeit mit der Hoffbauer Berufsakademie. Dabei funktioniert die Zusammenarbeit in zwei Richtungen: Die Musikschule übernimmt die musikalische Ausbildung der Studierenden und gleichzeitig kommt es immer wieder dazu, dass Studierende später an der Musikschule mitarbeiten.
Zum Geheimnis des Erfolgs gehören auch regelmäßige Innovationen: „Es ist ganz wichtig, dass sich die Musikschule und ihr Angebot ständig weiterentwickelt, um Kunden zu behalten und neue Kunden zu gewinnen“, erklärt Katrin Morgenstern. So bietet die Musikschule zusätzlich zum Instrumentenkarussell die „Miniband“ an. Und gerade wird mit „Play together“ ein neues Angebot für 13- bis 16-Jährige entwickelt, da in dieser Altersklasse die Fluktuation besonders hoch ist.
Alles, was glücklich macht
Ein nicht weniger innovatives, aber gänzlich anderes Konzept verfolgt Annelie Kronbügel mit Emmas kreativer Flötenschule. Der kleine Laden in der Wisbyer Straße in Berlin strahlt bereits von außen eine heimelige Atmosphäre aus. Durch das Schaufenster fällt der Blick auf einen großen Blumenstrauß und eine gemütliche Kaffeetafel, und wenn man den Laden betritt, liegt ein leichter Duft nach frisch gebrühtem Kaffee und selbstgebackenem Kuchen in der Luft. Hier wird sofort klar, dass dies kein Ort ist, in dem es nur um optimalen Instrumentalunterricht geht, dies ist ein Ort zum Leben. Es war jedoch ein recht langer Weg von den ersten Ideen bis zur Eröffnung.
Annelie Kronbügel hatte bereits langjährige Erfahrungen im Unterrichten sowohl an einer Musikschule als auch als Vertretung am Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach Berlin; sie wollte jedoch gerne ein Angebot machen, bei dem sie auch ihre anderen Begabungen und Interessen einsetzen konnte. Die Idee für ihre kreative Flötenschule kam ihr während eines Probespiels in der Vorweihnachtszeit. Um die Wartezeit zu überbrücken, hatte sie einige Weihnachtsbasteleien, die sie noch fertigstellen wollte, mitgenommen, und diese Basteleien begeisterten die übrigen Kandidatinnen und Kandidaten des Probespiels so, dass sie beschloss, auch dieses Talent für das Unterrichtskonzept zu nutzen.
Aber auch danach war noch eine große Menge an Vorarbeiten zu erledigen. Mit Hilfe der Existenzgründerberatung der Arbeitsagentur beschaffte sie sich einen Überblick über alle nötigen Schritte. Danach besuchte sie Coachings in den Bereichen Buchhaltung und Marketing, die durch die KfW finanziert wurden. Die nächste Schwierigkeit stellte die Anfangsfinanzierung dar, denn selbstverständlich war keine Bank bereit, einer freischaffenden Flötistin und Flötenlehrerin einen Kredit zu gewähren. So musste schließlich ihr Mann als Angestellter den Kredit beantragen, und auch die Eltern haben sich – nicht nur finanziell – beteiligt. Endlich konnten der Laden eingerichtet, Logos und Broschüren entworfen und die Internetseite (www.emmaskreativcafe.de) erstellt werden.
Von Anfang an hat sie ihr eigenes Konzept umgesetzt. So beginnt der Unterricht nicht sofort mit Flötespielen, sondern mit einer kleine Massage oder etwas Tanzen zu einer Musik, die die SchülerInnen auswählen, oder auch mit einigen Atem- oder Rückenübungen. „Die Schülerinnen und Schüler sollen zuerst zur Ruhe kommen und sich entspannen – sie müssen geerdet sein, um richtig Musik machen zu können“, sagt Annelie Kronbügel. Sie erteilt in der Regel nur Einzelunterricht und setzt dabei bewusst auf die Bezahlung von Einzelstunden statt auf eine monatliche Bezahlung. „So bleibe ich auch selbst flexibler, um als Flötistin zu arbeiten und Konzerte zu spielen“, begründet sie diese Entscheidung. Erst vor Kurzem war sie mit dem Konzerthausorchester Berlin auf Spanientournee und musste dann natürlich den Unterricht ausfallen lassen. Dieses flexible Konzept erlaubt es ihr, den Schülerinnen und Schülern auf Wunsch Unterricht auch während der Ferien anzubieten.
Eine Schule für kreatives Leben
Aber der Flötenunterricht ist nur ein Teil des Konzepts der kreativen Flötenschule. Ein weiterer wichtiger Teil ist das Café, in dem die Eltern der Schüler, aber auch Freunde und die SchülerInnen selbst mit Tee, Kaffee, heißer Schokolade und selbstgebackenem Kuchen bewirtet werden. Hier wird nicht nur gegessen und getrunken, sondern hier entstehen die Beziehungen, die den besonderen Reiz dieser Einrichtung ausmachen und gelegentlich sogar das Angebot bereichern. So wurde aus einem Besucher, der die kreative Flötenschule und vor allem das Café regelmäßig besuchte, ein Mitstreiter, der mittlerweile Kurse in Origami anbietet.
Denn auch Kurse sind ein wichtiger Bestandteil des Konzepts von Emmas kreativer Flötenschule. Jeden Monat gibt es einen Kurs in den unterschiedlichsten kreativen Tätigkeiten – Salzteig, Ostereier bemalen, Backen, Filzen, Häkeln, Stricken, Schmuckherstellung und vieles mehr. Annelie Kronbügel ist sehr vielseitig interessiert und begabt und kann deshalb bei vielen dieser Themen selbst als Dozentin tätig werden. Aber sie holt sich auch Unterstützung durch ein Netzwerk aus Freunden, Bekannten und Familie, die Kurse gegen ein Honorar in Form von Kuchen und kleinen Geschenken anbieten. Für die Schüler sind die Kurse kostenlos, sie finanzieren sich einerseits durch Materialspenden und andererseits durch die Umsätze im Café. Jedes Jahr während der Sommerferien gibt es eine Kurswoche für Kinder, bei der nicht nur ihre eigenen SchülerInnen, sondern auch deren Freunde und Geschwister teilnehmen können.
Eine zentrale Rolle spielt das Café auch bei den regelmäßigen Vorspielen. Um diese Vorspiele abwechslungsreicher zu gestalten, hat sich Annelie Kronbügel inzwischen mit einer Geigen- und einer Harfenlehrerin zusammengetan. Für die Vorspiele wird dann die Trennwand zwischen Café und Unterrichtsraum zur Seite geschoben und alles wird ein großer Raum. So ähneln die Vorspiele eher einem gemütlichen Beisammensein, bei dem sich jeder auch künstlerisch betätigen kann. Das hilft den Schülerinnen und Schülern, den Stress etwas abzubauen. Selbstverständlich spielen auch die Lehrerinnen selbst bei den Vorspielen mit.
Dadurch, dass Emmas kreative Flötenschule ein so umfangreiches Angebot macht, entstehen mit den Jahren Beziehungen, die weit über eine reine Lehrer-Schüler-Beziehung hinausgehen. „Solche Beziehungen sind ganz wichtig für mich“, sagt Annelie Kronbügel, „nur dadurch kann ich mein Angebot immer weiter ausbauen.“ So hat etwa die Mutter einer Schülerin einen Brautmodenladen und vermittelt sie immer wieder an Kundinnen, nicht nur als Musikerin, sondern zunehmend auch als Bäckerin für Hochzeitstorten.
Die Wohnung, in der Annelie Kronbügel mit ihrem Mann lebt, grenzt direkt an den Laden. „Das ist einerseits praktisch, andererseits bin ich so aber auch immer bei der Arbeit, und gerade weil mir die Arbeit eigentlich immer Spaß macht, ist es oft so, dass ich eher zu viel arbeite und nicht wirklich ausspanne.“ Denn außer dem Unterricht, den Kursen und Vorspielen muss sie natürlich auch die Kuchen und Torten vorbereiten, Pralinen herstellen und nicht zuletzt ist sie selbst in erheblichem Umfang auch als Musikerin tätig. Sie spielt häufig bei der Deutschen Oper Berlin und im Konzerthausorchester Berlin und gibt auch regelmäßig selbst Solo- und Kammermusikkonzerte.
Die beiden Beispiele zeigen, dass es durchaus möglich ist, trotz der Konkurrenz durch öffentliche Musikschulen mit einer privaten Musikschule auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Dazu gehört neben einem guten und innovativen Konzept auch eine gewisse Risikobereitschaft, denn ohne Investitionen geht es in der Regel nicht. Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg sind jedoch viel Leidenschaft und die Bereitschaft, für die eigene Idee hart zu arbeiten. Denn eine eigene Musikschule erfordert extrem viel Einsatz – doch wenn alles stimmt, kann der Erfolg und die Umsetzung der eigenen Träume sehr befriedigend sein.
* Andreas Bertheau, Mitinhaber der Musikschule Bertheau & Morgenstern in Potsdam