Spiekermann, Reinhild

„Und was machen Sie beruflich?“

Reimund Popp legt eine bundesweite empirische Studie zur Situation des Musikschullehrerberufs vor

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 36

Die von Reimund Popp als Dissertation vorgelegte empirische Studie versteht sich als Berufsfeldanalyse mit dem Anspruch, einen Beitrag zur Professionalisierung von Musikschullehrkräften zu leisten. Popp beschäftigt sich mit biografischen Bezügen, Berufsalltag und Berufszufriedenheit von Unterrichtenden an Musikschulen des Verbands deutscher Musikschulen. Sein Forschungsdesign ist vielschichtig angelegt und verknüpft qualitative Verfahren mit quantitativen Erhebungen per Fragebogen. Dies ermöglicht eine große Variationsbreite der Darstellungen.
Nach ersten Vorgesprächen mit einzelnen Musikschullehrkräften zur persönlichen und allgemeinen Berufssituation wurden im Rahmen einer Pilotstudie 14 Lehrkräfte einer kleinstädtischen Musikschule in Hessen mit dem Ziel der Themen- und Thesengenerierung (aus Sicht der Lehrenden) schriftlich befragt. Die Ergebnisse flossen in einen Interviewleitfaden für Einzelgespräche ein. Im nächsten Schritt wurden Gruppendiskussionen ermöglicht (insgesamt konnten hierfür 42 Probanden aus verschiedenen Bundesländern gewonnen werden). Nach softwarebasierter Transkription dieser qualitativen Daten erfolgte eine erschöpfende Kategorisierung in Haupt-, Sub- bzw. Feinkategorien. Geeignete Daten wurden durch Zählen oder Abstufen in statistische Daten überführt. Im Buch gibt es hierzu zahlreiche Grafiken. Zuletzt beantworteten weitere 111 MusikschullehrerInnen (aus allen Bundesländern) einen Fragebogen, der aus den zuvor abgeleiteten Thesen erstellt wurde. Anhand des Kategoriensystems des qualitativen Forschungs­abschnitts möchte ich einige ausgewählte Ergebnisse vorstellen.
In der Kategorie „Ausbildung und Studium“ lassen die Befragten kein gutes Haar an den Hochschulen: Überbetonung künstlerischer Ausbildungsinhalte, zu wenig Praxisbezug, unzureichende Informationen über spätere Berufsbedingungen. „Zu all dem komm[e] von professoraler Seite ein fehlender Wille zu konstruktiver Kooperation mit Musikschulen, die mehr Praxisrelevanz garantiere.“
Die Kategorie „Musikschullehrer und der VdM“ beschäftigt sich mit dem Wissen der Lehrenden über Strukturen, Aufgaben und Ziele des VdM sowie Lehrpläne und Fortbildungsangebote. „Musikschullehrer kritisieren den Verband für seine zurückhaltende Position im Zusammenhang mit Musikschulschließungen, rechtlich fragwürdigen Trägerschafts- und Beschäftigungsverhältnis-Umwandlungen und drastischen Etatkürzungen.“
In der Kategorie „Berufszufriedenheit“ überwiegen Positivaussagen, die sich vor allem auf das Miteinander von Schülern und Lehrern, die Chance zur relativ selbstständigen Gestaltung der Arbeit, gepaart mit einer „leidenschaftlichen Affinität zur Musik“ beziehen. Bezüglich der Kategorie „Berufsbild/Gesellschaft“ wird eine mangelnde Wertschätzung des eigenen Berufs konstatiert, die auch in Wechselwirkung zu der als nicht angemessen empfundenen Bezahlung gesehen werden muss. Die eigene professionelle Arbeit wird unter sehr düsteren Vorzeichen gesehen: „Es scheint ein allgemeiner Erschöpfungszustand erreicht, der Mutlosigkeit hinterlässt, ausgelöst durch ständigen ‚Druck‘, ohne Erfolgsaussichten zu kämpfen.“
Unterschiede in Beschäftigungsformen bzw. in der sozialen Absicherung werden als Hauptpunkte in der Kategorie „Gründe für Unzufriedenheit im Beruf“ genannt. Hinzu kommen konkrete Alltagsbelastungen wie Ortswechsel, Arbeit in isolierten Außenstellen, Stress durch kurze Unterrichtseinheiten sowie eine sinkende Identifikation mit der eigenen Musikschule vor allem bei Honorarkräften. Die „Kooperation von Musikschule und allgemein bildender Schule“ wird differenziert wahrgenommen. Bei allen Chancen, die sie bietet, wünschen sich viele Probanden, im „Kooperationsgeschehen“ mehr berücksichtigt zu werden (klare Kompetenz- und Aufgabenverteilung, angemessene Bezahlung, bessere Kommunikation etc.).
Die heikle Frage, ob sie ihren Beruf erneut wählen würden, beantworten die TeilnehmerInnen im Spannungsfeld Idealismus versus Berufsrealität: 49 Prozent plädieren für eine Wiederwahl des Berufs, 42 Prozent würden sich verstärkt um Alternativen bemühen, während sieben Prozent sich zu keiner Antwort durchringen.
Bei den Ergebnissen des zweiten empirischen Teils (Auswertung der Fragebögen) gibt es zwar viele Parallelen zum qualitativen Forschungsabschnitt, jedoch benutzt Reimund Popp brisante Zahlen und Fakten, um den Grad der Professionalisierung von Musikschullehrkräften brennpunktartig zu beleuchten. In Auswahl ein paar Ergebnisse: Die in der Ausbildung erworbene pädagogische Kompetenz kann nur 31 Prozent der Herausforderungen abdecken, zu 14 Prozent trifft dies auf die Teilnahme an Fortbildungen zu. Fast 70 Prozent der ProbandInnen scheinen die VdM-Lehrpläne zu ignorieren. 55 Prozent der Befragten sind als freie Mitarbeiter tätig, die wöchentliche Arbeitsstundenbelastung liegt bei 44,1 Stunden (hochgerechnet auf „Vollzeit“). Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei 1477 Euro, was laut Popp noch nach unten korrigiert werden muss, da längst nicht alle ProbandInnen Mitglied der Künstlersozialkasse sind.
Im Schlusskapitel resümiert Popp wesentliche Erkenntnisse und beschreibt eindringlich die Gefahr, dass sich durch „sukzessiven Musikschulausstieg“ eine gefährliche Rückentwicklung von Musikschulen zu Zuständen der Jahre vor 1970 ergeben könnte.
Es bleiben Fragen offen: Warum steht nirgends, in welchem Zeitraum die Forschungen stattfanden? Dies ließ sich erst durch Nachfrage beim Autor klären (von 2004 bis 2010 für alle Datenerhebungen). Die Rücklaufquote von 13,9 Prozent im zweiten empirischen Teil ist sehr gering, mögliche Begründungen sind nicht sofort einsichtig. Oder: Warum geht es immer nur um den VdM, während doch „vor Ort“ zunächst die Regionalverbände bzw. die Landesverbände eine wichtige Rolle spielen? Befremdlich muten manche Passagen an, in denen Schwierigkeiten bei der Probandenakquise beschrieben werden. Popp schreibt von „weniger kooperativen Zusammentreffen“ mit einzelnen Musikschulleitern (er nennt in Auswahl die betroffenen Schulen), dass aber dennoch MusikschullehrerInnen genau dieser Schulen gewonnen werden konnten. Nach welchen Auswahlkriterien? Auf jeden Fall muss man für die Lektüre dieses detailfreudigen Buchs viel Zeit mitbringen!

Reimund Popp: Musikschullehrer – „…und was machen Sie beruflich?“ Eine bundesweite empirische Studie zur Situation des Musikschullehrerberufs, WorldWideVoice-Music Verlag, Ober-Ramstadt 2011, 600 Seiten, 69,– Euro

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