Schlimp, Karen

Unvermittelt Musik

Piano Mobile – das Fahrrad fahrende Klavier

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2006 , Seite 30

Karen Schlimp hat ihren Traum vom mobilen Klavier verwirklicht: Auf einem Fahrradanhänger fährt sie mit ihrem Instrument durch Österreich und erreicht mit ihrer Musik die Menschen auf der Straße – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie bringt Musik dorthin, wo Musik normalerweise nicht hinkommt. Auch das ist Musikvermittlung.

Wieder sind wir unterwegs. Der Weg neben der Donau ist schmal, unser Vehikel ist breit und entgegenkommende Fahrradfahrer haben nicht nur etwas zu staunen, sie müssen unserer Musik auch räumlich Platz machen. Ein Läufer zieht vorbei, stutzt und lacht aus vollem Halse. Sein Lachen fließt in die Klavier-Improvisation ein, bringt auch das Klavier zum Lachen. Der Läufer hat gerade Musik gemacht…
Ich hatte einen Traum: Ich wollte mich und mein Instrument aus der Unbeweglichkeit lösen. Ich wollte raus aus dem Konzertsaal, raus aus dem klassischen Musiker-Publikum-Setting, raus aus der Trennung von Spielen und Zuhören. Ich wollte hinein in die Natur, in Bewegung, in Interaktion, ich wollte mobile Musik. Aber mein Instrument ist das Klavier.
Die Realisierung dieses Traums ist ein mobiles Klavier: ein dreieinhalb Meter langer Fahrradanhänger, darauf der alte Flügel aus den Zeiten des Klavierstudiums, der gut die Stimmung hält. Gezogen wird das Gefährt von einem Dreier-Fahrrad, also einem Tridem. Für den Fall, dass es regnet, ist ein Zelt für das Klavier dabei. Statt des Konzertsaals gibt es Himmel, Brückenunterführungen, Wasser oder Felsen. Statt des klassischen Publikums gibt es Grenzüberschreitungen durch einen lachenden Jogger. Statt stationären Spiels gibt es Musik während der Fahrt. Statt strenger Trennung von MusikerInnen und Zuhörenden gibt es Menschen, die gleichzeitig Mittänzerinnen, Mitspieler und Mitreisende sind. Statt eines klassischen Konzertprogramms gibt es verschiedene Musikrichtungen: improvisierte Musik während der Fahrt, an Haltepunkten Musik von Bach bis Jazz oder Weltmusik mit Klavier, Violine, Cello, Saxofon und Akkordeon. Bewegte Musik, unerwartet, unerhört.
So wurde ein Traum zu Kunst im öffentlichen Raum: Piano Mobile war geboren. Im Sommer 2004 rückten wir zur Jungfernfahrt aus, auf dem Donauradweg von Linz nach Grein. 2006 fuhren wir wieder, diesmal von Grein nach Melk. Wir fuhren, so weit wir kamen: Das waren rund zwanzig Kilometer pro Tag. Wir spielten, was uns bewegte und begegnete. Wir brachten Musik dorthin, wo Musik normalerweise nicht hinkommt. Auch das ist Musikvermittlung.

In Linz beginnt’s
Die Fahrt geht über die Donaubrücke im dichten Verkehr. Ein Busfahrer öffnet sein Fenster und genießt die Pause an der Ampel mit Musik. Schmunzelnd bestaunt er das Gefährt. Am Linzer Hauptplatz machen wir Station, mitten zwischen den modernen Quadern der gerade stattfindenen Ars Electronica. Wir sind nicht elektronisch, sondern akustisch und bilden damit einen lustigen Kontrast zu den elektronischen Welten. Interaktiv sind wir aber auch. Wir treten in Dialog mit dem staunenden Publikum. Deshalb glauben die Leute, dass wir zur Ars Electronica gehören. Wir sind umringt von Japanern mit Fotoapparaten.
Das Gefährt bewegt sich der Donau entlang. Wie der Fluss bewegen sich das Klavier und die Musik. Ich habe das Gefühl zu schweben: Ich in der Landschaft – mit meinem Klavier – beide in Bewegung. Die Lichtreflexionen auf dem Wasser inspirieren mich, machen meine Töne strahlend, hell und lebendig. Die Tridemfahrer treten kräftig in die Pedale, die Musik treibt sie voran. Ein Schotterwerk rappelt, rumpelt und rauscht. Ich antworte mit präparierten Tönen: Musik und Geräusch sind nicht mehr zu unterscheiden. Die Durchfahrt unter der Brücke bietet für einige Sekunden eine wunderschöne Akustik. Ich lasse meine Klänge dadurch verzaubern. Plötzlich klingt es wieder trocken. Bäume säumen meinen Weg. Fahrradklingeln führen mich in ein neues musikalisches Genre. Rennradfahrer, die weder links noch rechts schauen, sondern nur möglich schnell weiter wollen, fühlen sich in ihrem Tempo gebremst. „Fahrts in die Wiesen mit dem Ding!“, rufen sie empört. Andere reagieren freundlich. Die meisten staunen.
Die Kinderkrankheiten des Gefährts fällen eisern jeden Zeitplan. Erst in der Dunkelheit erreichen wir den Ausee. Wir waren schon angekündigt, sind natürlich viel zu spät, aber die Leute haben Geduld. Als uns dort noch ein Reifen platzt, kommt eine Campingplatzbewohnerin und borgt uns das Vorderrad von ihrem Sohn. Das ganze Campingdorf hilft mit und wir performen dann im Dunklen. Die Musik reagiert: Unter Kiefern entstehen Nachtstücke, ein paar Leute stellen Kerzen auf, die TänzerInnen wirken in diesem Licht magisch.

Kontakt mit Menschen und Naturgeräuschen
Mitterkirchen am Morgen: Alle sind noch verschlafen und kommen langsam zum Frühstück. Ich setze mich ans Klavier und spiele Bach. Die e-Moll-Toccata, Präludium und Fuge in d-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier. Eigentlich nur für mich. Ich liebe Bach und genieße meinen eigenen Tagesanfang mit dieser Musik. Immer mehr Stimmen kommen dazu, immer mehr Leute sitzen am Frühstückstisch im Freien und lauschen. Die Wirtin des Hauses steht ganz verschämt neben der Tür. Als ich aufhöre, kommt sie zu mir: „Gestern Abend wollte ich auch schon rauskommen, aber ich musste in der Küche arbeiten. Ich hab mein Leben lang nur gearbeitet und gearbeitet, aber dass ich das Erleben darf…“ Wochen später erhielt ich einen Brief von einem der Fahrradfahrer am Tridem aus unserem Team. Er schrieb über das gleiche Ereignis: „Gestern in der Früh, als du mit Bach begonnen hast, kam mir mein Vater in den Sinn, der Bach sehr mochte. Ich saß einfach da und weinte, weil das eines der wenigen Dinge war, die uns verbunden hatten.“
Wir fahren durch Maisfelder und Donauauen, vorbei an den Höfen der dortigen Bauern. Wir treten in Dialog mit dem Publikum. Diesmal besteht es aus einer Herde Gänse auf der Wiese. Wir spielen und merken, dass die Gänse auf bestimmte Tonhöhen reagieren. Die Menschen werden plötzlich unwichtig und werden zu Zeugen eines außergewöhnlichen Schau- und Hörspiels. Spielen wir bestimmte Tonhöhen, schnattern sie ganz begeistert. Spielen wir Musik ohne diese Töne, wendet sich plötzlich die ganze Herde ab. Mit „ihren“ Tönen locken wir sie wieder herbei: Improvisation mit b, h und f für Saxofon und Klavier.
Am Nachmittag müssen uns zwei Fahrradfahrer verlassen. Plötzlich stehen wir da mit zu wenig Fahrern, um das Klavier zu ziehen. Wir hatten gerade an einer Kreuzung im Dorf gespielt. Viele Schaulustige haben sich versammelt. Nach kurzer Überlegung erklären sich zwei Frauen bereit, den heutigen Tag mit uns zu fahren, und schwingen sich beherzt auf das Tridem. Als es Abend wird und wir eine Übernachtung suchen, führen sie uns zu Freunden, bei denen sie zum Grillen eingeladen waren, und bringen uns, was sie gegessen hätten: Brot und Fisch. Ich fühle mich wie in der Bibel. Plötzlich biegen sich die Tische für alle, die kommen. Auch auswärtige MusikerInnen, Tänzer, Radfahrerinnen und Zuhörer, die uns am Radweg gesucht hatten, finden uns dort. Eine Jamsession entsteht.
Es wird ein unvergesslicher Abend. In der nächsten Gemeindezeitung findet sich folgender Leserbrief: „Von den Bewohnern des Hofs erlebten wir eine Gastfreundschaft und Großzügigkeit, wie sie nur selten zu finden ist. Es war so rührend, dass mir die Augen nass wurden. Als Dankeschön erlebten wir ein Konzert mit Klavier, Flöte, Gesang, Percussion und Tanz, wofür ich als Zuhörerin allen danken möchte. Solche Erfahrungen mache ich normalerweise nur auf Reisen im Ausland mit der Gewissheit, dass unsere Mentalität eine Berechnendere ist.“

Morgenmusik und Mondmusik
Gestern Abend hat es geregnet, deswegen steht das Piano Mobile in der Garage eines Bauern. In der Früh holen wir es heraus. Als wir wegfahren, spiele ich. Der Bauer sagt, für so etwas hätte er sowieso keine Zeit. Trotzdem bleibt er stehen und schaut uns noch fasziniert nach. Wir fahren den Fluss entlang, genießen Ambiente, Musik und Fahrradfahren. An einem Platz mit großen Steinen im Wald halten die Fahrer an: „Hier kann man nicht einfach vorbeifahren, diesen Ort muss man auskosten,“ sagen sie. Piano Mobile bekommt seine Eigendynamik. Obwohl von mir als Musikerin initiiert, entscheiden die Fahrradfahrer, dass sie jetzt an diesem Ort verweilen wollen. Sie beginnen mit Naturmaterialien zu musizieren. Ich steige mit dem Klavier ein.
Abends kommen wir nach Pöchlarn. Der Mond geht auf, als wir in die Geburtsstadt von Oskar Kokoschka einfahren. Das Museum hat längst zu. Um diese Jahres- und Tageszeit sind wenige Leute auf der Straße. Wir fahren beim Übungsplatz für Skateboarder vorbei, an der Jugendliche mit Baseballkappen und Schlabberhosen herumsitzen. Es ist schon fast dunkel, nur das Mondlicht beleuchtet unsere fahrende Musik: Klangmetamorphosen für Klavier, Saxofon, Akkordeon. „Das hat Sex!“, rufen sie uns nach.
Im Zentrum machen wir Halt und spielen bei einem Lokal im Freien Jazz und Klassik. Jugendliche hocken mit Bierflaschen am Straßenrand und freuen sich, dass was los ist. Sie lassen sich sowohl von Jazz als auch Klassik begeistern. Als wir ihnen unsere Postkarten zum Verkauf anbieten sagen sie: „Das ist cool, das unterstützen wir.“

“Spinnst du?” – “Die spinnen!”
Inzwischen waren wir im Fernsehen. Wir fahren auf dem Fahrradweg, immer wieder versuchen uns Leute aufzuhalten. Eine Autofahrerin sieht uns, lässt ihr Auto mitten auf der Straße stehen und rennt uns nach. „Da ist es! Endlich habe ich es gefunden.“ Der erste Medienbericht löst eine Lawine aus. Es entsteht ein Wettstreit zwischen den Leuten, wer es wohl schon gesehen hat. So schnell wird man von der Verrücktheit zur Attraktion. Als ein Journalist uns zuvor gesucht hatte und die Vorbeifahrenden fragte: „Haben Sie ein Klavier am Fahrradweg gesehen?“, war die Gegenfrage: „Sind Sie betrunken?“ oder er erntete eindeutige Handzeichen an der Stirn. „Du spinnst“, sagte ihm ein Passant.
„Du spinnst“, sagten die Leute auch zu mir, als ich auf der Suche war nach Konstrukteuren für mein fahrendes Klavier. Es dauerte einige Jahre, bis aus meinem Traum Wirklichkeit wurde. Leicht war es nicht. „Wie kommt man auf so eine Idee?“, wurde ich oft gefragt. Als Pianistin fühlte ich mich mit meinem Klavier immer an bestimmte Räume gebunden. Zu meinen schönsten Erlebnissen gehört, wenn ich Konzerte in ungewöhnlichen Räumen spielen kann: zum Beispiel mit dem Flügel in Kirchen zu musizieren, den Raum als Partner zu erleben und mit dem Hall zu experimentieren. Was mich außerdem fasziniert: wenn Klang in Bewegung ist. Ich beneidete immer meine MusikerkollegInnen mit mobilen Instrumenten, mit denen sie durch den Raum gehen konnten. Auch bin ich ein Mensch, der sich am liebsten in freier Natur aufhält und gerne unterwegs ist. Diese Sehnsüchte weckten in mir die Vision eines mobilen Klaviers.
Die Realisierung war ein langer, schwieriger Weg: Finanzielle Mittel und fachkundige Konstrukteure waren nicht leicht zu finden. Aber durch Erfahrungen, die ich in anderen Ländern gemacht hatte, ließ ich nicht locker: Ich war in China und Indien und habe erlebt, dass so gut wie alles auf ein Fahrrad passt, was wir Europäer für unmöglich halten würden. Ich werde nie das Bild vergessen, als ich einen chinesischen Mann sah, der mit Frau, Kind und einem Schaf auf einem Fahrrad unterwegs war. Die Antwort, dass das mit einem Klavier nicht ginge, hielt mich nicht von meinem Traum ab. Warum nicht auch ein Klavier ziehen, wenn indische Lastenrikschas mit einem Radfahrer hunderte Kilos am Anhänger haben?

Piano Mobile bewegt viele
Piano Mobile ist die Realisierung des Traums, das Klavier und mich beweglich zu machen. Es war nicht als Musikvermittlungsprojekt gedacht, trotzdem vermittelt es Musik.

– Piano Mobile ist ein Gesamtkunstwerk
Musik erklingt an Orten, an denen man sie normalerweise nicht erwartet. Die Natur bildet den Raum. Das Ambiente am Fluss, im Dorf, im Wald wird zur Kulisse, zum Bühnenbild. Es handelt sich um ungewöhnliche Aufführungsorte, die zum integralen Bestandteil der Performance werden. Optisches, Akustisches und Emotionales aller Teilhabenden fließen ineinander.

– Die Musik kommuniziert mit der Umgebung
Die Musik, die gespielt wird, reagiert auf die Umgebung und kommuniziert so mit den äußeren Einflüssen. Erstens im musikalischen Sinn, indem Naturgeräusche in die Musik integriert werden. Zweitens im inspirativen Sinn: Die Landschaft, die Stimmung beeinflusst die improvisierenden MusikerInnen in der Wahl der Tonart, der Klänge, des Tempos etc. Drittens reagieren die MusikerInnen dort, wo sie Station machen, auch auf die Zuhörer. Fragen wie „Welche Menschen sind da?“, „In welcher Stimmung sind sie?“, „Welche Musik wird ausgewählt?“ fließen in die Performances ein. Im Repertoire sind Klassik, Jazz und Avantgarde. Manchmal wird auch bewusst mit Gegensätzen gespielt: In einem Ambiente, in dem die Leute normalerweise nur Blasmusik hören, wird bewusst klassische Musik eingesetzt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auch einmal auf etwas anderes einzulassen. Überraschenderweise sind die Zuhörer geblieben.
Auch einem Landpublikum, das auf einer Wiese wartete, wurde zeitgenössische Musik zugemutet. Da die Leute die Entstehung des Stücks aus Klängen der Umgebung wahrnahmen, wurden sie neugierig und fingen selbst an, daran teilzunehmen: Sie warfen Steine in den danebenliegenden See und horchten, wie die beiden MusikerInnen dieses Geräusch mit ihren Instrumenten aufgriffen und in ihrem Improvisationsstück verarbeiteten.

– Es ist Kunst im öffentlichen Raum
Piano Mobile ist Kunst, die an ungewöhnlichen Orten stattfindet. Man muss nicht einmal dorthin gehen oder stehen bleiben. Es ist Musik, die vorbeikommt, aber auch wieder wegzieht. Bevor man sie realisiert hat, ist sie schon wieder entschwunden. Dort, wo sie stattfindet, werden aber auch die Menschen miteinbezogen, sie sind Bestandteil des Ambientes, in dem Kunst stattfindet. Piano Mobile bringt Kunst zu Menschen, die auf Grund ihrer sozialen Zugehörigkeit oder Generation kaum Kontakt zu Kunst haben. Durch den Effekt des Ungewöhnlichen entsteht dieser Kontakt. Als wir zur Mittagszeit durch ein kleines Dorf radelten, rufen Jugendliche aus dem Fenster eines Wohnblocks „Jöh! – Klassik auf Rädern!“

– Es müssen keine Konventionen erfüllt werden, was allen Beteiligten freien Handlungsspielraum erlaubt
Piano Mobile ist „unerhört öffentlich“, besonders durch das Überraschende, das wahllos jeden Anwesenden mit Kunst beschenkt, ohne vorher Bedingungen zu stellen: Man muss kein Veranstaltungsprogramm lesen, kein Konzert auswählen, keine Karten kaufen, keinen Termin einhalten, sich nicht besonders kleiden, keinen Konzertsaal aufsuchen, nicht zuhören, nicht an den richtigen Stellen applaudieren und nicht ruhig sitzen. Die ZuhörerInnen müssen nicht entscheiden, ob es ihnen gefällt. Es ist kein Zwang, das Erlebte einordnen zu müssen. Auch wir MusikerInnen sind frei in unseren Handlungen, zu spielen so lange wir wollen und was wir wollen. Wir müssen weder „gefallen“ noch „aufrühren“, wir müssen nichts erzielen und unterliegen keinem vorbestimmten Auftrag. Da es so ungewöhnlich ist, bricht es kulturelle Gewohnheiten auf. Die Menschen rennen der Musik nach oder laden sie ganz spontan ein: „Kommt doch zu uns“, heißt es des Öfteren.

– Vielschichtige Ebenen werden angesprochen: künstlerische, technische, emotionale
Künstlerische Wirksamkeit hat die Aktion, weil sie etwas Neues ist. „Es ist so poetisch“, sagte eine Zuhörerin. Weil die Menschen so etwas noch nie gesehen haben, stehen sie dem Ganzen unvoreingenommen gegenüber. Möglicherweise sind dadurch viele Menschen offen, auch zeitgenössische Musik zu hören, die sie sich sonst nie anhören würden.
Oft werden Fragen nach den technischen Details gestellt: „Wie ist denn das Gefährt gebaut? Wie wird es gebremst?“ Die Fahrradfahrer waren damit auf einer Ebene angesprochen, die sie sonst auch interessiert. Durch das Interesse an den technischen Problemen und ihren Lösungen werden einige angelockt, die sonst kein Klavier von nahe betrachten würden.
Manche Radreisende haben sogar aktiv teilgenommen und mitgezittert, ob das Fahrrad-Klavier gut bremst, oder mitgeschoben, wenn es bergauf ging. Auch Verbesserungsvorschläge zum Gefährt wurden gemacht, bei Pannen waren sofort unzählige HelferInnen zur Stelle. Identifizierung, der Wunsch dabeizusein, daran teilzuhaben, dazuzugehören kam bei vielen durch. Aussagen wie „unser Piano Mobile“ oder „wir haben es schon gesehen“ drücken das aus. Jeder will erzählen, was er in der Begegnung mit dem Piano Mobile erlebt hat.
Piano Mobile hat die Menschen manchmal tief berührt, ohne dass mir immer klar war weshalb. Ich spiele manche der Literaturstücke auch im Konzertsaal, doch sie berühren das Publikum nicht so wie auf dieser Klavierreise. Die Wiener Philosophin Margarete Wenzel, die dem Piano Mobile begegnete, beschreibt mir ihren Eindruck folgendermaßen: „Piano Mobile ist eine Verbindung scheinbar unvereinbarer kultureller Felder, wenn das Piano nicht motorisiert, sondern per pedes und pedalo seiner Wege geschuftet wird, zärtlich und handfest zugleich. Bei aller Intimität in der Überwindung eines privaten Paradoxons (Fahrrad fahrende Pianistin) ist dieses Ereignis zugleich für jeden, der es sieht, ein ,Mahnmal‘, ein Event, ein Stein des Anstoßes, eine Mutmachnummer, die Lebensträume und verschrobene Wünsche aus dem Reich des für unmöglich Gehaltenen zurückholt. Selbst die Gesetztesten, Sesshaften haben in irgendeinem Winkel ihrer Seele einen gelebten oder ungelebten Sehnsuchtstraum. Wenn du ,pianomobil‘ wirst, setzt du Zeichen für ,absurde‘ Herzenswünsche, die ihren Sinn offenbaren und noch vieles darüber hinaus bewirken. Wenn jemand die Energie auf sich nimmt, die Mühe, das Augenleuchten, die zu überwindenden Hindernisse und Konfrontationen, die Knochenarbeit zur Verwirklichung des eigenen (scheinbar) absurden Herzenstraumes, dann werden auch die eigenen weggelegten Herzensträume wieder wach. Das ist das (Kunst)werk (Kunst hat soziale und psychische Wirkungen) Piano Mobile.“

 

 

 

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