Köhler, Ernesto

Valse espagnole

für Flöte und Klavier op. 57, hg. von Elisabeth Weinzierl und Edmund Wächter

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 6/2009 , Seite 62

Wer sich mit Flötenmusik beschäftigt, kennt Ernesto Köhler (1849-1907), seinerzeit einer der besten Flötisten seiner Generation, dazu Komponist und Flötenpädagoge von Rang. Geboren und aufgewachsen in Modena, das damals zu Österreich gehörte, lagen seine familiären Wurzeln in Böhmen. Sein Vater und Lehrer Joseph Wenzeslaus Köhler hatte in Prag bei Anton Eiser studiert, bevor er zum Mitglied der herzoglichen Hofkapelle ernannt wurde. Mit achtzehn Jahren durfte auch Ernesto ihr angehören. 1871, nach einer zweijährigen Anstellung am Wiener Carltheater (das ehemalige Leopoldstädter) zog es ihn dann nach St. Petersburg, dem Wunsch seines Freundes und Förderers Cesare Ciardi (1818-1877) folgend, der den jungen Flötisten zu seinem Nachfolger an der Kaiserlichen Oper machen wollte.
Das Repertoire dieses Hauses war reichhaltig, besonders beliebt beim Publikum waren Bizets Carmen und Boitos Mefistofele. Selbstverständlich kamen aber neben Werken von Meyerbeer, Gounod, Verdi und Wagner auch zahlreiche russische Opern wie Pique Dame, Eugen Onegin und Boris Godunov zur Aufführung, sodass die Orchesterarbeit einigermaßen abwechslungsreich gewesen sein wird.
Köhlers Instrument war die Klappenflöte, mit seinem langjährigen Orchesterkollegen Carl Wehner, einem Böhm-Schüler, vertrug er sich trotzdem gut und die Petersburger Flötenschüler konnten wählen, ob sie auf der alten oder der neuen Flöte Unterricht nehmen wollten. Zumindest bis 1886, als Wehner eine Stelle in New York annahm.
Großen Erfolg als Lehrer hatte Ernesto Köhler als Verfasser einer Flötenschule, weil der 1876 in St. Petersburg gegründete Verlag Julius Heinrich Zimmermann die werbewirksame Idee hatte, den Instrumenten, die er herstellte und verkaufte, geeignete Anfängerschulen mitzugeben. So entstand die erste der später berühmten „roten“ Schulen; sie begründete den Anfang einer lebenslangen Zusammenarbeit, was die Edition von Köhlers Kompositionen betraf. Diese zeichnen sich durch Eleganz, Spontaneität und Liebenswürdigkeit aus. Als Kinder ihrer Zeit sind sie heute wohl nicht mehr in ganzem Umfang genießbar, vieles ist aber doch so ansprechend und persönlich, dass sich eine Beschäftigung lohnt. Mit der Neuausgabe von op. 29 und op. 57 haben die Herausgeber jedenfalls eine gute Wahl getroffen.
Die Romanze mit dem programmatischen Titel “Bonsoir” ist ein leichtes, ganz und gar nicht sentimentales Abendlied, das durch harmonisch unterstützte Stimmungswechsel und eine aparte Klavierstimme gefällt. “Valse espagnole”, ein temperamentvoller Walzer, ist schon etwas anspruchsvoller, geschickt eingestreute spanische Assoziationen und kleine virtuose Effekte sorgen für Schwung und Wirkung. Dem Komponisten ist hier genau das gelungen, was er sich vorstellte: so zu schreiben, dass die Musik für Liebhaber erreichbar ist, ohne auf musikalischen und spieltechnischen Anspruch verzichten zu müssen. Ähnliches dürfte auch auf seine !Romantischen Etüden! op. 66 zutreffen, zu denen es früher, in Einzelausgaben bei Zimmermann, leichte und die Musik liebevoll unterstützende Klavierstimmen gab, motivierend, anregend und ebenfalls unbedingt wiederbelebenswert.
Ursula Pesek