von Gutzeit, Reinhart

Verantwortung für die Freiheit

Gespräch mit Elisabeth Gutjahr über die Freiheit der Kunst, der Künstler und der Lehre

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 24

Vielfältige Assoziationen stellen sich ein, wenn man über Kunst und Frei­heit nachdenkt: Welche Frei(heits)­räume bietet die Kunst? Haben Künstlerinnen und Künstler eine besondere Verpflichtung, für die Freiheit einzutreten? Und was bedeutet Freiheit der Lehre? Reinhart von Gutzeit im Gespräch mit Elisabeth Gutjahr, Rektorin der Universität Mozarteum Salzburg.

Reinhart von Gutzeit: Die Kunst hat bei der Entwicklung freiheitlicher Ideale eine bedeutende Rolle gespielt, aber auch schwerste Rückschläge nicht verhindern können. Und so ist – bedeutsam für unsere Gegenwart – Artikel 5 des Grundgesetzes auch als deut­liche Konsequenz aus den grausamen Erfahrungen des Nationalsozialismus zu verstehen: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Was bedeutet diese umfassende Freiheitsgarantie für uns als Kulturschaffende?

Elisabeth Gutjahr: Der vielversprechende Artikel 5 wirft vielleicht mehr Fragen auf, als dass er Antworten liefert. Auch der zweite Satz mit seiner Forderung nach „Treue zur Verfassung“ und dem darin enthaltenen Verweis auf möglicherweise konkurrierende Grundrechte kann aus künstlerischer Sicht durchaus eine Herausforderung bedeuten, wenn man zum Beispiel an die Würde des Menschen denkt. Ein Aktbildnis, die künstlerische Verfremdung von Gesichtern, die Groteske in manchen Opern, provokante Texte in Raps können über jene unsichtbare Grenze hinausweisen, die wir mit Würde des Menschen beschreiben.

Reinhart von Gutzeit: Da könnten wir uns gleich einem hochaktuellen Diskurs zuwenden, anknüpfend an das kollektive Entsetzen nicht nur der Kunstszene über die geplante Verleihung des ECHO an Kollegah und Farid Bang. Gilt die Freiheit der Kunst auch für Texte, die kaum anders denn als Verhöhnung von KZ-Opfern verstanden werden können? Aber wir sollten die Freiheitsräume, die in un­serem Zusammenhang gemeint sein können, genauer ausloten.

Wo liegen unsere ­Freiheitsräume?

Elisabeth Gutjahr: Was verstehen wir unter Freiheit? In einem wunderschönen alten Volks­lied heißt es: „Die Gedanken sind frei.“ Aber schon die Äußerung und Niederschrift dieser Gedanken mögen unter Umständen an Grenzen stoßen. Musik aber reicht viel tiefer als in Worte gefasste Gedanken, sie berührt unsere Seele, unseren Glauben, unser Innerstes. Die Freiheit, die das Grundgesetz meint, bezieht sich auf gesellschaftliche und politische Machtgefüge. In erweitertem Sinn betrifft dies auch Bildung, kulturelle Teilhabe und Markt, aber auch individuelle Förderung und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Kunst reflektiert immer auch gesellschaft­liche Strukturen oder die Freiheitsgrade des Individuums. Wenn wir in der Musiktheorie von Tonika, Dominante und Subdominante sprechen, von Konsonanz und Dissonanz oder von Zwölftonmusik, dann verweist dies immer auch auf Ordnungssysteme mit begrenzten Freiheitsgraden…

Reinhart von Gutzeit: …und lässt uns daran denken, dass der Aufbruch in neue musika­lische Perioden oder Epochen immer damit verbunden war, dass Künstler sich die Freiheit genommen haben, die gültigen Regeln ihrer Zeit zu sprengen und neue Freiräume zu erobern.

Elisabeth Gutjahr: Richtig. Wenn wir aber von Freiheit der Kunst oder der Musik sprechen, meinen wir auch noch etwas ganz anderes. Nämlich Momente von Unendlichkeit, von berückender Schönheit, die Erfahrung von Grenzüberschreitung in Raum und Zeit, wenn wir beispielsweise eine vielstimmige Motette aus dem Spätmittelalter nachempfinden.

Reinhart von Gutzeit: Das ist eine vielleicht überraschende, aber wohl sehr bedeutsame Anwendung des Freiheitsgedankens. Ist es doch gerade dieses Empfinden von „Entgrenzung“, das wesentlich zur Faszination von Mu­sik gehört und auch junge Menschen in ihren Entwicklungsjahren so sehr beeindruckt. Fragt man den musikalischen Nachwuchs nach den Motiven, sich für ein Leben als Musikerin oder Musiker zu entscheiden, dann sprechen viele von ihrer Liebe zur Musik und zu ihrem Instrument – aber haben sie nicht auch einen vagen Traum von einem freien Künstlerleben vor Augen? Von einem andersartigen Leben, als es viele von Fremdbestimmung geprägte Berufe bieten können? Nur: Hält die Wirklichkeit einem solchen Wunschbild stand?

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2019.