Nykrin, Rudolf

Verbindende ­Inspirationskraft

Zum Tode von Hermann Regner, der als Komponist und Pädagoge Generationen von Musikern prägte

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 39

Viele Menschen erinnern sich in diesen Tagen an Hermann Regner, der am 29. Dezember 2008 nahe Salzburg verstarb. Sein arbeitsreiches, schöpferisches Leben war vielfältig. Sein musikalisches, pädagogisches, musikpolitisches und schriftstellerisches Wirken verband sich zu einer polyfon-harmonischen Einheit mit dem Grundthema „Musikvermittlung“.
Dem Komponisten Regner begegneten Musiker jeden Alters, Hobbymusiker und Profis. Manche kennen seinen Namen aus ihren Noten. Andere haben Hermann Regner persönlich erlebt, vielleicht in einem Ensemble, für das er tätig war. Aus offenbar nie versagender Quelle schrieb er anregende und hinführende, aber auch konzertante und virtuose Musik für Menschen auf musikalischen Lernwegen und für Hörer in Konzerten, in unterschiedlichsten Besetzungen, instrumental und vokal.
Den Pädagogen Regner kennen Generationen von Studierenden des Orff-Instituts, jener Abteilung der Kunstuniversität Mozar­teum in Salzburg, an deren Aufbau er als ordentlicher Universitätsprofessor für Musik­erziehung von 1964 bis 1993 leitenden Anteil hatte. Das zentrale Ideengut, das Orff-Schulwerk, begann nicht zuletzt durch sein Wirken in kürzester Zeit in alle Erdteile auszustrahlen: durch die Ausbildung junger Menschen aus aller Welt, aber auch durch die aktive Einführung des Orff-Schulwerks in zahlreichen Ländern, die Hermann Regner in vielen und strapaziösen Reisen vorantrieb; durch Adaptionen des Schulwerks in anderen Sprachen, die er beriet oder anleitete; durch die Vernetzung der inzwischen weltweiten Orff-Schulwerk-Pädagogik im Orff-Schulwerk-Zent­rum in Salzburg. Vielen Menschen hat er einen Rat gegeben, der für ihr Leben wichtig wurde. Lange vor den meisten anderen Musikpädagogen betrieb Hermann Regner den internationalen und interkulturellen Dialog.
Hermann Regner war ein zentraler Lehrer des Orff-Instituts. Er führte es viele Jahre lang mit großer Umsicht und zielorientierter Toleranz und verhalf dem Institut auch durch künst­lerische Beiträge zu innerem Leben. Ob für Blockflöte, Schlaginstrumente, Klavier oder Chor: Immer hatte er eigene Werke zur Hand, die die Studierenden gerne ausführen wollten, in Ensembles, die er mitunter auch selbst leitete. Im Besonderen erlebte ich Hermann Regner als Mitherausgeber von Musik und Tanz für Kinder, in dessen Erstausgabe er sich mit der Kompetenz, schon sehr jungen Kindern die Musik aufzuschließen, prägend einschrieb, und ebenso dann bei der Grundlegung der Reihe „Wir lernen ein Instrument“. Auch wo seine Impulse nicht namentlich gekennzeichnet sind, kann ich den ihm eigenen Ton einer der Sache Musik verpflichteten Fantasie heute noch heraushören.
In einem langjährigen gemeinsamen Berufsweg habe ich seine starke und verbindende Inspirationskraft direkt erlebt, zunehmend aber auch von seinen weiteren Engagements für die allgemeinen Voraussetzungen und Strukturen von Musikpädagogik erfahren. Denn seine unmittelbare pädagogische und künstlerische Arbeit wurde komplementiert durch ein umfangreiches Engagement in der musikalischen Öffentlichkeit. Viele Jahre lang gab Hermann Regner Rat für den Aufbau des Musikschulwesens in Deutschland und Ös­terreich. Er nützte ausführlich die pädago­gischen Möglichkeiten von Schulfunk und Fernsehen und unterstützte das lokale Salzburger Kulturleben. Das Blasmusikwesen hatte in ihm einen kompetenten und wirkungsvollen Inspirator. Zahlreiche Ehrungen in Österreich und Deutschland bezeugen die daraus und aus seinem künstlerischen Schaffen erwachsene Anerkennung. Sein Buch Musik lieben lernen wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Wie sich Allgemeines stimmig zum Besonderen verhalten kann und Großes zum Kleinen, das zeigen Hermann Regners Lebensweg und Schaffen nach meiner Empfindung in einer besonderen Weise. Beeindruckend ist für mich auch die Kontinuität darin: Geboren am 12. Mai 1928 im bayerischen Marktoberdorf, studierte Hermann Regner Dirigieren und Komposition, Musikwissenschaft und Volkskultur. Als ein Kernfach seiner Tätigkeit als Dozent an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen (1958-1964) nannte er bereits damals das Orff-Schulwerk, und die Begegnung und Zusammenarbeit mit Carl Orff wurde für sein weiteres Berufsleben entscheidend. Er erweiterte die grundlegenden Modelle des Schulwerks um die „Bläserübung“ und setzte sich zunehmend dafür ein, das Werk Orffs mit neuen Impulsen lebendig zu halten. In diesem Zusammenhang bearbeitete er eine ganze Reihe von Werken Orffs für neue Besetzungen.
Hermann Regner war mit den technischen ­Eigenheiten der Instrumente, den Vorlieben der Stimmen, der Wirkung verschiedener Satzweisen vertraut. Stets vernehme ich in seiner Musik eine Aufmerksamkeit für das musikalische Detail, das ansprechen und sich spielend und hörend erschließen soll: individuelle Melodien, feinfarbige Harmonien, lebendige Rhythmen, frische Klangfarben, oft knappe und überraschende Formen, die auch der Improvisation geöffnet sein können. Regners besondere Liebe galt den Blasinstrumenten, deren Musikfundus er für kleinste und große Besetzungen zeitgemäß aktualisierte und erweiterte. Doch auch viele andere Instrumente und Instrumentengruppen bedachte er kompositorisch, nicht zuletzt das Violoncello, das er selbst in späten Jahren noch zu spielen begann, das Schlagwerk und die Stimme.
„Der Komponist schafft Ordnungen, die Leben spiegeln“, schrieb Hermann Regner einmal. Er hat sich in das Leben gestellt, es als beziehungsreich erkannt, bei seiner Ordnung und seinem Aufbau geholfen, angeleitet und inspiriert.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2009.