Bossen, Anja

Verschoben zwischen Nicht-Zuständigkeiten

Wie die Politik sich zur katastrophalen sozialen und Einkommenssituation der Musikschullehrkräfte verhält

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2014 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Nach der Veröffentlichung der verheerenden Ergebnisse der Umfrage aus dem Jahr 2012 zur sozialen und zur Einkommenssituation von Musikschullehrkräften und Privatmusikerziehern der Fachgruppe Musik in der ver.di1 wurden vom Bundesvorstand der Fachgruppe sämtlichen Landesministerien und allen Bundestagsfraktionen die Ergebnisse in komprimierter Form zugesandt, um die politischen Entscheidungsträger auf die zunehmende Prekarisierung eines ganzen Berufsstandes hin­zuweisen.
Kernpunkte des Briefs waren die katastrophale Einkommenssituation, die mangelnde soziale Absicherung, das kleiner werdende Unterrichtszeitfenster durch die verkürzte Schulzeit (G8), der Ersatz des schu­lischen Musikunterrichts durch Musikschullehrkräfte und die immer geringeren Stundendeputate, die den Lehrkräften von den Musikschulen angeboten werden.

Mangelnde Resonanz auf die Probleme

Bis Ende Oktober 2013 lagen zehn Antworten aus mehreren Landesministerien, die Antwort des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Antwort der SPD-Bundestagsfraktion vor. Ursprünglich angeschrieben worden waren die Fraktionsvorsitzenden der Linken, der Grünen, der SPD, der CDU/ CSU und der FDP, die Kultus- bzw. Bildungsministerien und zuständigen Senatsverwaltungen bzw. Schulbehörden aller Bundesländer, das Bundesministerium für Familie, das Bundesministerium für Bildung, der Präsident des Deutschen Städte­tages und der Präsident des Städte- und Gemein­debundes: insgesamt 25 Adressaten, von denen lediglich zehn geantwortet haben.
Die Inhalte der vorliegenden Antworten lassen sich in ein Raster einordnen, das in einer Synopse auf der rechten Seite dargestellt wird. Dafür wurden alle zehn Antworten auf gemeinsame inhaltliche Kernaussagen überprüft und diese in 14 Kategorien zusammengefasst.

Keine Lösung in Sicht

Kein einziger der Adressaten ging auf alle Punkte ein, die in dem Brief an die Ministerien und Fraktionen aufgeführt waren. Stattdessen wurden einzelne Punkte, meist zur prekären Situation der Lehrkräfte und zu einigen anderen ausgewählten Bereichen, willkürlich herausgegriffen. Die meisten Ministerien – außer dem Bundesfamilienministerium und dem Kultusministerium Baden-Württemberg, die diese Lage zumindest als bedauerlich bezeichnen – nehmen die prekäre Lage der Musikschullehrer zwar zur Kenntnis, äußern sich jedoch nicht dazu, ob und welchen Handlungsbedarf sie sehen. Alle zehn Adressaten verweisen jedoch schon einmal vorsorglich darauf, dass sie ohnehin formal nicht zuständig für die Gestaltung der sozialen Situation und der Einkommens­situation (also der Arbeitsverhältnisse) der Lehrkräfte seien.
Insgesamt elf Nennungen (Kategorie 2-6) verweisen auf jeweils andere Verbände, Behörden oder Ebenen zur Problemlösung statt auf die eigene Zuständigkeit. Damit liegt die Kategorie „nicht zuständig“ als Oberkategorie an der Spitze (wenn man davon absieht, dass 15 Adressaten, also ca. 60 Prozent, überhaupt nicht geantwortet haben, mithin also der größte Teil der Angeschriebenen).
Dass auf die Kategorie der Nicht-Zuständigkeit die Kategorie „Musikschulen sind wichtig“ (Kategorie 1) mit acht Nennungen folgt, zeigt die Diskrepanz zwischen scheinbarer Wichtigkeit der Musikschulen und der Realität in krasser Weise. Auch, dass von allen angeschriebenen Fraktionen im Bundestag sich die SPD als einzige Partei überhaupt bemüßigt fühlte zu antworten, ist eine Aussage über den politischen Stellenwert von Musikschullehrkräften.
Aber auch die SPD muss sich fragen lassen, weshalb trotz der geäußerten Inakzeptanz jeglicher prekärer Arbeitsverhältnisse sich auch in den SPD-regierten Bundesländern nicht weniger Musikschullehrkräfte in prekären Verhältnissen befinden als in anderen. Verbal geäußerte Empörung gegen prekäre Verhältnisse reicht nicht, Problemlösung sähe anders aus.
So werden die Probleme der Musikschullehrer zwischen den politischen Ebenen hin und her geschoben statt gelöst. Zwar ist es richtig, dass Landesministerien formal für die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen in einer Kommune nicht zuständig sind. Aber wie wäre es, wenn die für Musikschulverwaltung formal sehr wohl zuständigen Mitarbeiter eines Ministeriums wenigstens so etwas wie ein Problembewusstsein an den Tag legen und sich mit den für die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zuständigen Verbänden zusammensetzen würden, um gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen? Oder mit der Bundesebene kooperieren, obwohl Bildung Ländersache ist? Denn es handelt sich nicht um einige wenige Einzelfälle von Musikschullehrkräften in prekären Verhältnissen, sondern – trotz einiger Unterschiede zwischen den Bundesländern – mittlerweile um ein bundesweites Prob­lem, das sich seit Jahren verschärft, wie die Vergleichswerte der ver.di-Studien 2008 und 2012 zeigen (auch hierauf wurden die Adressaten hingewiesen). Dieser Vorschlag wurde jedoch von keinem einzigen Adressaten in Erwägung gezogen.

Fazit: weiter wie bisher?

Stattdessen lassen sich die Antworten der Politik mit zwei Worten zusammenfassen: „Weiter so!“ Allenfalls wird noch ein leises Bedauern über die herrschende Realität geäußert, gegen die man aber leider nichts ausrichten könne, so die zentralen politischen Aussagen. Solange sich nichts auf der politischen Ebene ändert (und wieso sollte sich etwas ändern), heißt das, dass sich für die Musikschullehrkräfte ebenfalls nichts zum Besseren bewegt und sie lediglich darauf hoffen können, dass die Kommunen irgendwann einmal – vielleicht – mehr Geld vom Land zugewiesen bekommen, das sie dann – vielleicht – für die „freiwillige Leistung Musikschule“ und dort auch noch gezielt für mehr Festanstellungen ausgeben. Aber wie wahrscheinlich ist das?
Bleibt die Frage, wer denn nun eigentlich die Probleme der Musikschullehrkräfte lösen soll. Vermutlich niemand, solange die Musikschullehrkräfte die Politik nicht zwingen zu handeln. Ansonsten werden wir in den nächsten Jahren wohl einen weiteren Anstieg von politischen Lippenbekenntnissen über den hohen Wert der Musikschularbeit und eine proportional dazu steigende Zahl von Musikschullehrkräften in prekären Verhältnissen zu verzeichnen haben. Vielleicht verzichten dann die (potenziellen) MitarbeiterInnen der unverzichtbaren Bildungseinrichtung Musikschule auf ihren Beruf.

1 Die Ergebnisse der Umfrage sind unter www.musik.verdi.de abrufbar.
2 Fraktionen Die Linke, Die Grünen, CDU/CSU, FDP, Bundesministerium für Bildung, Präsident des Deutschen Städtetages, Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Senatsverwaltung Berlin, Ministerium für Bildung Brandenburg, Senatsverwaltung für Bildung Bremen, Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg, Kultusministerium Niedersachsen, Ministerium für Bildung Saarland, Ministerium für Kultur Sachsen, Kultusministerium Sachsen-Anhalt.