Busch, Barbara
Vibes und Hooks
Gespräch mit Lucas Ramos über Underground-Rap und Beats aus dem Netz
Getrieben von einer unbändigen, sich zunehmend ausdifferenzierenden Klangvorstellung sucht der 19-jährige Lucas Ramos nach Wegen, seinen Klangvisionen Form zu geben und ihnen Gehör zu verschaffen. Digital produziert er Musik und verwendet mit dem Rückgriff auf „Vorgefertigtes“ eine Technik, die Assoziationen an die Pasticcio-Oper des 18. Jahrhunderts weckt.
Hi Lucas, unter deinem Künstlernamen Vibo sind seit 2019 über alle bekannten Musiknetzwerke Songs von dir zu hören. Was für Musik machst du?
Meine Musik bedient sich bei verschiedenen Genres und ist deshalb schwer zu kategorisieren. Da ich noch kein festes Soundbild habe und mich nicht limitieren will, würde ich meine Musik wie folgt beschreiben: Einen großen Teil machen die basslastigen Beats aus, die sogenannten 808s, die typisch für Trap-Rap sind. Dazu kommen verschiedens-te Melodien, die passend zum Trap-Rap gestaltet sein können, aber auch oft aus Richtungen wie RnB, Cloud-Rap, Pop etc. kommen. Wenn es um Musik geht, gibt es für mich keine Limits. Oft probiere ich Neues aus und singe balladenähnliche Songs, nahezu ohne Verwendung der basslastigen Beats oder anderer Rap-Elemente. Die Bezeichnung „Underground-Rap“ würde wohl gut passen.
Wenn es um die Kreation eines Songs geht, dann ist der Vibe für mich am wichtigsten. Der Begriff „Vibe“ kommt aus dem Englischen und beschreibt jene Gefühle, die eine Person verspürt, während sie z. B. Musik hört. Ein Synonym für Vibe ist Atmosphäre. Und zum richtigen Vibe gehören meistens melodisch einprägsame Hooks, die dem Hörer nicht aus dem Kopf gehen und Emotionen verstärken sollen. Diese Emotionen variieren natürlich von Song zu Song, mal ist es Fröhlichkeit, Trauer, mal eine Einladung zum Entspannen oder zum Tanzen. Meine Musik reflektiert die Emotionen, die ich selbst fühle und in Songs verpacke.
Im Rap sind die Texte besonders wichtig – dachte ich. Wenn ich heute so manchen Song höre, frage ich mich allerdings, ob diese Maxime noch gültig ist.
Früher spielten die Songtexte eine große Rolle und es gab ein festes Bild vom Rap. Erst um 2012 gab es immer mehr Künstler (vor allem die jungen), die sich vom alten Rap distanzierten und sich komplett vom amerikanischen Trap-Rap inspirieren ließen. Ich glaube, vielen Menschen ist dieser Umbruch im Rap nicht bewusst und sie haben noch das alte Bild vom aggressiven Rapper im Kopf, der auf der Bühne steht und rebellische Texte performt. Davon distanzieren sich viele junge Künstler – ich auch!
Wenn es um Texte geht, ist der Vibe das Entscheidende: Oft passen tiefgründige, gut überlegte Texte nicht ins Soundbild, dafür passen weniger überlegte Worte eher zum Gesamtwerk. Oft gibt es Keywörter, um die Wortfelder gebildet werden. Der Sinn des Textes erschließt sich dann eher assoziativ. Anders formuliert: Es gibt Songs, bei denen das kleinste Wort im Hintergrund eine große Rolle spielt. Im Gegenzug gibt es auch Songs, bei denen es überhaupt nicht um den Text, sondern ausschließlich um den Vibe geht.
Wie bist du zum Musikmachen gekommen? Spielst du ein Instrument?
Musik hat mich immer interessiert, egal ob es die brasilianische Musik war, die meine Mutter im Wohnzimmer abspielte, oder Musik, die ich aus Filmen und dem TV kannte. Meine erste Hip-Hop-CD kaufte mir meine Mutter am Hauptbahnhof in Würzburg, da war ich ungefähr zehn Jahre alt: Ich war von der Musik einiger Straßenmusiker angetan, die live Rap-Songs performten und die eine junge Frau mit Gesang begleitete.
Nachdem ich diese CD rauf und runter gehört hatte, bat ich meine Mutter, mir das neue Eminem-Album zu kaufen, da ich seine Musikvideos auf MTV gesehen hatte. Das war mein Einstieg in die amerikanische Rap-Szene, von der ich bis heute noch viel mehr Inspiration nehme als aus der deutschen Szene.
Auch Instrumente haben mich fasziniert; ich kam aber zunächst nicht dazu, eines selbst zu spielen, bis ich mich mit ungefähr zwölf Jahren dazu entschied, unbedingt eines erlernen zu wollen. Da ein Schlagzeug viel zu laut und teuer war, kaufte mir meine Mutter eine Gitarre und meldete mich im Gitarrenkurs im Nebenhaus an. Zwei Jahre spielte ich Gitarre, bis ich irgendwann die Lust daran verlor…
Wer hat dir all die Dinge beigebracht, die es braucht, um selbst Musik zu machen? Es klingt so, als seist du Autodidakt…
Meinen musikalischen Lernprozess würde ich als „progressiv-fortlaufend“ beschreiben. Mit zwölf fing ich an, mir Gedanken zu machen, was hinter der Musik steckt, die ich täglich hörte, und begann YouTube-Videos zu schauen, in denen genau das beschrieben wird. Meine Faszination für die Musik und ihre „Macher“ wuchs immer weiter. Um 2015 fand ich die ersten Videos von sogenannten Producern, die auf YouTube erklärten, wie sie Musik produzieren und was sie dafür benötigen. Ich probierte etliche Dinge aus und fing im selben Jahr an, Musik mit meinem Handymikrofon aufzunehmen. Ich brauchte zwei Jahre, um mich zu überwinden, mehr als 150 Euro für ein Musikprogramm, eine DAW [Digital Audio Workstation] auszugeben, nämlich für FL Studio. Diese und ähnliche Programme werden heutzutage von großen, weltweit anerkannten Producern benutzt, um Hits zu produzieren; sie sind sehr komplex und ich lerne seit Jahren damit umzugehen, indem ich das Programm nutze… Eigentlich arbeite ich nur mit FL Studio, das jegliche Features beinhaltet. Es ist eines der angesehensten DAW-Progamme, wenn es um Musik geht. Das heißt aber auch, dass man ein paar Jahre Zeit braucht, bis man sich komplett im Programm auskennt und mit der perfekten Effizienz arbeiten kann.
Du stehst kurz vor dem Abitur. Dennoch findest du Zeit, um neue Songs zu schreiben. Wie entstehen deine Songs? Woher nimmst du Inspiration?
Inspiration nehme ich aus allen erdenklichen Dingen des Alltags: aus Sachen, die ich sehe (z. B. Klamotten), aus Musik, die ich höre, und natürlich aus meinen eigenen Emotionen. Oft inspirieren mich auch Beats, die ich anhöre, so sehr, dass ich damit direkt ein Gefühl und einen dazu passenden Text entwickeln kann. Ich würde mir gerne viel mehr Zeit für die Musik nehmen, was mir aber momentan durch den Lernaufwand fürs Abitur und durch sonstige Dinge des täglichen Lebens erschwert wird. Deswegen freue ich mich schon auf die Zeit nach dem Abitur, da ich mir dann einige Monate Zeit nehme werde, um mich voll auf meine Musik konzentrieren zu können.
Wie sieht der Weg von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung des Songs aus? Wie kann ich mir eine Studio-Session vorstellen?
Da ich erst jetzt anfange, Teile der Arbeit auf verschiedene Personen zu verteilen, besteht eine Studio-Session im Moment noch aus extrem vielen kleinen Arbeitsschritten, die sich die meisten größeren Künstler ersparen. Alles fängt mit einem Beat an, auf dem der Song aufbauen soll. Anfangs kannte ich niemanden und surfte stunden- bzw. wochenlang durch YouTube, um die richtigen Beats zu finden. Dazu gibt es sogenannte Type Beats – Beats, die sich ähnlich anhören wie die eines bekannten Künstlers, z. B. Drake Type Beats, Beats, die seinem Soundbild entsprechen. Heute habe ich einige Producer online sowie im echten Leben kennengelernt, die mir regelmäßig Beats schicken.
Dennoch verbringe ich noch immer sehr viel Zeit mit der Suche nach dem richtigen Beat. Da der eigene Musikgeschmack fortschreitend wächst bzw. sich verändert, gefallen mir oft Beats nach einer gewissen Zeit nicht mehr, sodass diese einfach abgespeichert in irgendeiner Liste verschwinden. Diese Liste besteht mittlerweile aus über 700 Beats…
Nachdem ich einen Beat gefunden habe, schreibe ich Texte, die dem Soundbild entsprechen. Oft mache ich einen Beat an und versuche, mit Melodien und Strophen ein Grundgerüst für den Song zu konstruieren, welches ich im Nachhinein genau dokumentiere. Früher habe ich anschließend selbst versucht, die Musik abzumischen und eine möglichst hochwertige Soundqualität zu erreichen. Danach habe ich mich an Photoshop gesetzt und probiert, ein passendes Bild zu erstellen, um es als Cover zu verwenden. Der gesamte Prozess streckte sich über mehrere Tage, manchmal sogar Wochen. Deshalb habe ich nun damit angefangen, gewisse Arbeitsprozesse wie z. B. das Abmischen oder die Erstellung eines Covers auf verschiedene Dienstleister zu verteilen.
Inwiefern bist du mit anderen Musikern vernetzt? Arbeitet ihr zusammen?
Da heutzutage fast alles über Social Media wie etwa Instagram läuft, sind Kontakte, neben Geld, das Wichtigste, wenn man seine Musik erfolgreich vermarkten möchte. Im letzten Jahr habe ich einige wenige Personen kennengelernt, mit denen ich mehr oder weniger aktiv in Kontakt stehe. Bis jetzt habe ich selbst nur einen Künstler gefeatured, da mir vieles einfach nicht zusagt. Personen, die mich musikalisch inspirieren und sich von allen anderen unterscheiden, sind meistens schon relativ groß, deshalb kommt man nicht an sie heran. Dennoch bin ich Teil von einigen großen WhatsApp-Gruppen mit jeweils 50 oder mehr Teilnehmern, wo man sich über aktuelle Geschehnisse und neue, eigene Musik austauscht bzw. Feedback bekommt. Ich hoffe, eines Tages andere Künstler zu finden, mit denen man sich gut versteht und erfolgreich zusammenarbeiten kann.
Wie sehen deine nächsten musikalischen Pläne aus? Was ist wichtig, um erfolgreich zu werden?
Das große Ziel ist, die für mich bestmögliche Musik zu machen und eines Tages endlich alle Ideen technisch und künstlerisch genau so umsetzen zu können, wie ich sie im Kopf habe. Ein weiteres Ziel ist natürlich, stetig qualitativ zu wachsen und andere mit meiner Musik zu erreichen, sich mit anderen kreativen Menschen zu verbünden, vielleicht sogar ein Team zu bilden und zu reisen.
Um erfolgreich zu sein, müssen größere Projekte entstehen: Vor allem aufwändige Musikvideos erlauben es dem Zuhörer, sowohl akustisch wie auch visuell eine Verbindung zum Künstler aufzubauen. Man darf nicht vergessen, dass sich ein Künstler heutzutage, anders als früher, von Zehntausenden anderen kleinen Künstlern abheben muss, um herauszustechen und zu wachsen. Deshalb versuche ich, möglichst kreativ zu sein und ausgefallene Musik bzw. Musikvideos zu kreieren. Ich hoffe, dass sich dadurch eines Tages ein talentierter Producer findet, mit dem man zusammen Musik kreieren kann, sodass man den aufwändigen Prozess der Suche nach einem Beat verkürzt und direkt seinen eigenen Sound kreieren kann.
Was hat der Musikunterricht in der Schule mit dir und deiner Musik zu tun? Was würdest du gern im schulischen Musikunterricht lernen?
Um ehrlich zu sein: Ich habe den Musikunterricht nie sonderlich ernst genommen. Schon in der 5. Klasse habe ich den Bezug zur aktuellen Musik nie wirklich gesehen, was mich (zusätzlich zu den Noten, die ich zuvor nie gesehen hatte) dazu brachte, im Musikunterricht nicht aufzupassen. Dadurch entstanden immer mehr Lücken, die ich nie gefüllt habe. Als der Stoff anfing, immer mathematischer zu werden, schaltete ich komplett ab. Ich hatte genug von der Theorie und wollte mehr Praxis, weshalb mir Musikgeschichte schon weit besser gefiel. Doch im Unterricht haben wir nie die aktuelle Musik mit all ihren Facetten durchgenommen; lediglich die Pop-Kultur wurde angeschnitten…
Jetzt bemerke ich, dass Notenkenntnisse nicht essenziell notwendig sind, um gute Musik zu machen, aber extrem hilfreich sein können, vor allem, wenn es um verschiedene Instrumente geht, die mit eingebaut werden müssen, oder wenn man den Leitton einer Melodie herausfinden muss. Dennoch konnte ich bis heute jegliches Problem, welches die fehlenden Notenkenntnisse betrifft, durch das Internet beheben.
Im Musikunterricht wünsche ich mir, besonders zu Beginn, einsteigerfreundlichere Themen, die Alltagsbezug haben und auch Schüler, die sich anfangs nicht dafür interessieren und die keine Kenntnisse von zuhause mit in den Unterricht bringen, einbeziehen. Außerdem wäre es wichtig, den Stoff auf den heutigen Stand auszuweiten und aktuelle Musik aller Richtungen mit ihren jeweiligen Facetten zu behandeln.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2020.