Henning, Heike / Kai Koch (Hg.)

Vielfalt

Musikgeragogik und interkulturelles Musizieren

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2022
erschienen in: üben & musizieren 1/2024 , Seite 58

Der vorliegende Sammelband ist ein Corona-Kind: Er dokumentiert zwei digitale Konferenzen, die eigentlich nicht digital sein sollten und in Kooperation zwischen den Universitäten Mozarteum Salzburg und Vechta 2020 und 2021 stattfanden. Und in vielen Beiträgen schwingt im Hintergrund die Corona-Keule und ihre immensen Anforderungen an anderes Lehren und Lernen; sie sind heute nicht „out of order“, sondern vermitteln bei aller Schwierigkeit des Anlasses doch neue Impulse in Praxis und Didaktik.
Die HerausgeberInnen hoffen, dass das inzwischen gebeutelte Oberthema „Vielfalt“ zwei doch sehr unterschiedliche Themenstellungen unter seine Fittiche nehmen könne, nämlich intergenerative Musikpraxis – hierfür wird der neuere Begriff „Musikgeragogik“ benutzt – im sozialkulturellen Kontext und interkulturelles, vor allem schulbezogenes interkulturelles Musizieren: beides notwendige, sinnvolle Themen.
Die Musikgeragogik ist vertreten durch Berichte einiger Chorleiter bzw. Ausbilder vor allem aus Österreich über ihre intergenerative „good praxis“, oft basierend auf einer lebendigen Volksmusiktradition, bis zum angestrengten Versuch einer neuen wissenschaftlichen Terminologie für eine „elementare Musikpädagogik als altersunabhängiges lebensumspannendes Konzept“ (Claudia Bauer). Durchaus anregend für die Praxis, bezogen auf gemeinsames Singen, Instrumentalspiel und Rhythmik; als Versuch, eine neue Wissenschaftsdisziplin zu begründen, eher bemüht.
Die zweite Hälfte des Bandes sammelt ein wenig zufällig zusammengeholte Beiträge zu Interkulturalität. Einige davon sind ausgesprochen lesenswert, weil sie den Stand der Debatte zusammenfassen, wie der von Dorothee Barth, ausgewiesene Interkultur-Pädagogin, die notwen­dige Differenzierungen zwischen „interkulturell“ und „Musik der Welten“ vornimmt und sich auf das sehr aktuelle Problem der „kulturellen Aneignung“ einlässt. Weiter wagt sich Tobias Hömberg mit seiner These der „Musikpädagogik, verstrickt in postkoloniale Machtverhältnisse“ durch „Cultural Appropiation“. Eine etwas unausgegorene Theoriediskussion wird flankiert von Praxis aus Oberstufe und Grundstudium.
Ein kleines Juwel versteckt sich in dem Text von Timea Sari: „Islam und Musik. Ein Beitrag zu kultursensiblem Handeln im Musikunterricht“ – hilfreiche Pflichtlektüre für alle, die mit islamisch geprägten SchülerInnen und Musik umgehen.
Pflichtpraxis ist für interkulturelles Musizieren laut Fritz Höfer „der Kulturraum Internet als Herausforderung für eine (interkulturelle) Musikpädagogik“, ja als Voraussetzung für Interkultura­lität und musikalische Bildung; dort erschließe sich die immanente Interkulturalität von populärer Musik und ihre Möglichkeiten in der musikalischen Bildung, wenn sie kompetent und interdisziplinär genutzt würde.
Dorothea Kolland