Mahlert, Ulrich

Vielseitigkeit und Weitsicht

Zum Gedenken an Christoph Richter

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2020 , Seite 46

Christoph Richter ist am 26. Oktober 2020 im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben. Die Musikpädagogik verliert mit ihm eine hoch renommierte, vielseitig produktive, bis in sein letztes Lebensjahr aktive Persönlichkeit.
Richter hat 1983 maßgeblich zur Gründung der Zeitschrift üben & musizieren beigetragen. Als damaliger Schriftleiter der vorwiegend auf den Unterricht an allgemeinbildenden Schulen ausgerichteten Zeitschrift Musik & Bildung lag ihm daran, auch für die Musizierpädagogik ein Forum zu schaffen, das zur Fundierung und öffentlichen Geltung dieser Disziplin in Ausbildung und Berufspraxis beiträgt. Gleich zum ersten Heft steuerte Richter einen programmatischen Aufsatz bei, dessen Titel die Spannweite seiner musikpädagogischen Ausrichtung formulierte: „Von der Einheit der Musikerziehung. Gedanken zum Zusammenhang von allgemeiner Musikerziehung und Instrumentalunterricht“. Der Text handelt unter anderem „von den engen Beziehungen zwischen den drei […] Kreisen des Musizierens: der Stellung der Musik im ‚Leben‘, der Struktur und der Gestaltung der Musikwerke und der klanglich-geistigen Darstellung der Musik“. Auch gab Richter zukunftsweisende Impulse „zum Zusammenhang und der notwendigen Zusammenarbeit aller musikerzieherischen Instanzen und Einrichtungen“. Die beiden von ihm 1993 und 1994 im Rahmen des Handbuchs der Musikpädagogik herausgegebenen Bände zur Ins­trumental- und Vokalpädagogik waren eine Pioniertat. Bis heute zählen sie zu wichtigen Grundlagenwerken. Der mittlerweile erreichte Stand der Musizierpädagogik ist ohne Richters Wirken kaum vorstellbar.
Nach einem breit gefächerten Studium (Schulmusik mit Hauptfach Violine, Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Philosophie und Pädagogik), einer mehrjährigen Tätigkeit als Orchestermusiker und Gymnasiallehrer baute Richter zunächst an der Musikhochschule Lübeck die neu gegründete Schulmusikabteilung auf. 1973 folgte er dem Ruf auf eine Professur für Musikpädagogik an die damalige Staatliche Hochschule für Musik, die später in der heutigen Universität der Künste Berlin aufging. Mit Verve leitete er den Studiengang Schulmusik und engagierte sich in weiteren diversen Leitungsfunktionen, unter anderem als Dekan und Erster Vizepräsident. Eine Gastprofessur in Wien kam hinzu. Christoph Richter bildete Generationen von Lehrenden an Gymnasien aus und betreute zahlreiche im späteren Berufsleben außergewöhnlich erfolgreiche Promovenden, von denen etliche heute Professuren an deut­schen und österreichischen Hochschulen und Universitäten innehaben.
Nach seiner Emeritierung entdeckte Christoph Richter die Musikvermittlung für Erwachsene als ein neues Arbeitsfeld. Er begründete und leitete an der UdK Berlin eine Reihe mit Kursen für Laien und Liebhaber, die bis heute besteht und viele ältere Menschen anzieht. Regelmäßiges Musizieren in diversen Kammermusikformationen war und blieb ebenfalls eine kontinuierlich ausgeübte Tätigkeit.
Das Schriftenverzeichnis von Richter ist von überbordender Fülle. Philosophisch und anthropologisch fundierte Musikpädagogik, Aufgaben und Möglichkeiten der Schulmusik, Instrumentalpädagogik und Musikvermittlung sind Arbeitsfelder, auf denen er kontinuierlich tätig war und zu denen er zahlreiche Bücher und Aufsätze vorgelegt hat. Ein besonderes Anliegen blieb ihm der enge Bezug zur Musik. Ihn hat er besonders im Rahmen seiner Schriften zur Didaktischen Interpretation von Musikwerken immer wieder ideenreich entfaltet. Bis an sein Lebensende war er als Autor produktiv. Noch kurz vor seinem Tod konnte er ein Buchmanuskript fertigstellen.
Auch als Zeitschriftenmacher blieb Christoph Richter aktiv. Nach seiner Zeit als Schriftleiter von Musik & Bildung begründete er 1999 die Zeitschrift Diskussion Musikpädagogik, um die wissenschaftliche Musikpädagogik zu stärken.
Christoph Richter wurde von Studierenden und Lehrenden hoch geschätzt. Er vereinte kritischen Geist und energisches Handeln mit menschlicher Güte und intensiver persön­licher Zuwendung. Mich selbst verbindet ­eine über 35-jährige berufliche Zusammen­arbeit und Freundschaft mit ihm. Ich vermisse ihn schmerzlich. Stellvertretend für viele, die ihm nahe standen, nicht zuletzt auch im Namen unserer Zeitschrift, danke ich ihm von Herzen für sein segensreiches Wirken als Wissenschaftler, Lehrer und – allem voran – als Mensch.

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