Rostal, Max

Violin-Schlüssel-Erlebnisse

Erinnerungen. Mit einem autobiografischen Text von Leo Rostal

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ries & Erler, Berlin 2007
erschienen in: üben & musizieren 3/2008 , Seite 57

Max Rostal (1905-1991) zählt zu den wichtigsten Violinpädagogen des 20. Jahrhunderts. Dietmar Schenk und Antje Kalcher gaben in einer sorgfältigen und mit vielen hilfreichen und gut recherchierten Anmerkungen versehenen Edition die Lebenserinnerungen dieses bedeutenden Geigers heraus. Rostals Autobiografie ist bedauerlicherweise ein Torso geblieben. Sie umfasst die Zeit seiner Kindheit bis zum Ende des 2. Weltkriegs. Allerdings sind diese Jahre für den heutigen Leser sicherlich die interessantesten.
Rostal wuchs im schlesischen Teschen auf. Dort wurde seine außergewöhnliche Begabung entdeckt und schon bald erregte er als Wunderkind Aufsehen. Sein Vater, Inhaber eines Hutgeschäfts und ein guter Dilettant auf der Geige, zog wegen seines Sohnes sogar nach Wien um, wo Max von dem Geiger Arnold Rosé unterrichtet wurde. Gleichzeitig durchlief Rostal eine erstaunliche Wunderkindkarriere, was allerdings den Verlust einer unbeschwerten und natürlichen Kindheit mit sich brachte. Nach der Trennung der Eltern zog Rostal mit seiner Mutter nach Berlin, wo er Schüler von Carl Flesch wurde.
Als einer seiner begabtesten Studenten holte ihn Flesch nach dem Studium zu sich als Assistent. Bereits mit 25 Jahren wurde er der jüngste Professor der Berliner Musikhochschule. Außerdem war er ein gefragter Solist und Kammermusiker. 1933 musste er seine Stelle aufgeben, da er Jude war. Er emigrierte 1934 nach London. Dort war er noch unbekannt und musste wieder von vorne anfangen. Schon nach wenigen Jahren entfaltete er vor allem für die BBC eine umfangreiche künstlerische Tätigkeit.
Rostals Erinnerungen sind ein wichtiges Zeitdokument. Sie spiegeln die Lebensbedingungen der Juden und das kulturelle Leben im alten österreichischen Kaiserreich wider. Sie schildern eindrucksvoll das fulminante Kulturleben in Berlin vor Hitlers „Machtergreifung“. Doch vor allem sind diese Erinnerungen für Musiker interessant, da sie zeigen, wie im 20. Jahrhundert musikalische Hochbegabungen gefördert wurden und authentisch den Unterricht bei Carl Flesch beschreiben, den Rostal als Musikpädagoge hoch verehrte.
Ihren besonderen Reiz erhält diese Veröffentlichung durch die Beifügung der Erinnerungen von Rostals älterem Bruder Leo. Leo musste zugunsten seines Wunderkindbruders auf ein Violoncellostudium verzichten und wurde stattdessen als Dentist ausgebildet. Doch die Liebe zur Musik und seine Neigung zum leichten Leben führten ihn zur „leichten Muse“: Er nahm verschiedenste Jobs als Kaffeehausmusiker im Berlin der 20er und 30er Jahre an. Später kam Leo Rostal über das Orchester des jüdischen Kulturbundes zur ernsten Musik. Nach seiner Emigration in die USA spielte er als Cellist im NBC Symphonie Orchestra unter Arturo Toscanini. Insgesamt ein spannender und facettenreicher Lesestoff!
Franzpeter Messmer