Dietrich, Albert / Robert Schumann / Johannes Brahms
Violinsonate a-Moll (F.A.E.-Sonate)
hg. von Michael Struck
Sie erwarten einen besonders guten Musiker-Freund zu Besuch und halten deshalb Ausschau nach einem passenden Willkommensgeschenk? Dann tun Sie sich doch mit zwei geschätzten Kollegen zusammen, schreiben gemeinsam eine Sonate für ihn und lassen ihn erraten, welcher Satz von welchem der drei Komponisten stammt! Ganz einfach – sofern man halt ein Genie wie Robert Schumann ist, es sich bei den Kollegen um Johannes Brahms und Albert Dietrich handelt und der Besuch Joseph Joachim heißt.
Ende Oktober 1853 erwartet man Joachim in Düsseldorf zur Premiere zweier neuer Kompositionen Robert Schumanns. Schumann notiert am 15. Oktober die Idee, den Freund mit einer gemeinsam komponierten Sonate zu überraschen. Bis zur Ankunft Joachims verbleiben nur ganze elf Tage, in denen das Stück in Reinschrift zu Papier gebracht und von Schumanns Kopisten eine saubere Abschrift der Partitur und einer separaten Violinstimme erstellt werden muss. Als thematische Keimzelle wählt Schumann die Tonfolge „f-a-e“, Anspielung auf das Lebensmotto Joachims zu dieser Zeit: „Frei, aber einsam“.
Schumann selbst schreibt Intermezzo und Finale, Dietrich steuert den Kopfsatz, Brahms das Scherzo bei. Wohl um Joachim irrezuführen, spart Brahms das f-a-e-Motiv aus, zitiert aber im Seitenthema das Hauptthema aus Dietrichs Kopfsatz. Wenig später wird „f-a-e“ jedoch im Finale von Brahms’ 3. Klaviersonate Verwendung finden.
Umgekehrt gibt Schumann dem Freund versteckte Hinweise auf seine Autorenschaft, wenn er z. B. im Finale aus der Violinfantasie op. 131 zitiert. Am 28. Oktober präsentiert man Joachim im Hause der Familie Schumann das Opus, das er sogleich mit Clara am Klavier für die Freunde vom Blatt spielt. Es scheint ihm nicht schwergefallen zu sein, das Motto des Werks sowie die Autorenschaft der einzelnen Sätze zu erraten.
Die FAE-Sonate fiel in der Folgezeit der Obskurität anheim, wurde komplett erst 1912 öffentlich uraufgeführt und 1935 erstmals als Notenausgabe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heutzutage erklingt das vollständige Werk gelegentlich in den Konzertsälen, Brahms’ Scherzo gehört sogar zum Standardrepertoire jedes Geigers.
Erstaunlich ist das recht homogene Niveau der einzelnen Teile. Dietrichs Kopfsatz fällt keineswegs ab, umso bemerkenswerter, als sein Schöpfer und sein sonstiges Œuvre nahezu komplett vergessen sind, zu Unrecht, wie u. a. seine Sinfonie und das Violinkonzert beweisen. Dietrich teilt dieses Schicksal mit anderen Spätromantikern „aus der 2. und 3. Reihe“. Hier verbirgt sich noch einiges an Schätzen, die es wiederzuentdecken gilt.
Die Neuausgabe besticht durch übersichtlichen Druck, ein sehr informatives Vorwort, sorgfältige Anmerkungen zum Notentext, zwei Violinstimmen (editiert und uneditiert) und nicht zuletzt durch Ulf Wallins kompetente geigerische Einrichtung mit Fingersätzen und Bogenstrichen.
Herwig Zack