Cerletti, Christine / Thomas Voigt (Hg.)

Voices

Prägende Musik- und Theatererlebnisse

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag für moderne Kunst, Wien 2022
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Seite 60

Die Idee ist einfach: Man frage in Zeiten, in denen durch die Pandemie das kulturelle Leben nicht mehr existent war, große KünstlerInnen, SängerInnen, aber auch DirigentInnen und RegisseurInnen nach ihrem persönlichen Zugang zur Musik. So entsteht ein Buch, das vor allem aus Interviews und Bildern besteht. Hier erfährt man gleichsam aus erster Hand Spannendes neben arg Belanglosem und Überraschendes neben Altbekanntem.
So ist der erste Kontakt, die Ini­tialzündung, die schließlich fast zwangsweise zu einer professionellen Karriere führt, häufig – wie könnte es anders sein – vom Elternhaus geprägt. Antonio Pappano gesteht: „Wie so viele Kinder von Musikern und Sängern bin ich quasi unter dem Klavier groß geworden. Mein Vater war Sänger…“ Aber auch die Plattensammlung des Großvaters kann inspirierend wirken, wie sich Barry Kosky erinnert: „Meine ersten prägenden Erfahrungen mit Musik waren zwei Platten aus der Sammlung meines Großvaters, der aus Belarus stammt: Tschaikowskys Nussknacker und Strawinskys Petruschka.“
Natürlich finden sich auch Stimmen, die der Schule wichtige musikalische Impulse verdanken. Okka von der Damerau denkt da gerne zurück: „Ich komme aus einer Familie, die eher eine Leidenschaft für bildende Kunst hat. Die Welt des klassischen Gesangs habe ich irgendwie alleine für mich entdeckt, zunächst im Schulchor.“ Und selbst ein auratischer, mit Tradition und Geschichte verknüpfter Ort kann musikalisches Interesse, kompromisslose Leidenschaft und Emotionen hervorrufen. Luca Pisaroni erzählt von Busseto: „Als meine Eltern von Venezuela nach Italien zogen, war ich vier. Ich bin in Busseto aufgewachsen, der Heimat Giuseppe Verdis. In dieser Region spürt man den Geist Verdis an jeder Ecke, und es klingt vielleicht klischeehaft, wenn ich sage: In dieser Umgebung konnte ich fast nur Sänger werden.“
Tatsächlich trifft man in vielen der Texte bisweilen auf abgestandene Klischees und undifferenzierte Selbstinszenierungen. Aber manchmal verführt das Konzept dieses Bandes auch zu fast intimen Geständnissen und offenen Worten. Insbesondere, wie man als „Einspringer“ Karriere macht;  wie man also etwa einen seit frühen Kindheitstagen hoch verehrten Weltstar einfach mal auf der Bühne ersetzen darf, muss, kann oder soll. Das ist durchaus spannend zu lesen.
Gerne hätte man gewusst, nach welchen Kriterien die porträtierten KünstlerInnen ausgewählt wurden. Haben vielleicht auch einige Stars dankend abgelehnt? Vor allem kann man sich bei dem opulent gestalteten Bildband an den zum Teil spektakulären Bildern und Bühnenfotos erfreuen. Eine einleitende „Chronik“ führt auf eine musikalische Spur, die von der Stunde Null im Jahr 1945 bis zu „Pandemie, Krieg und Kultur“ des Jahres 2022 reicht. Alles in allem ein bildmächtiges Lesebuch.
Martin Hoffmann