Doerne, Andreas

Vom Fußball lernen?

Gedanken zum Interview mit Markus Kiefer, pädagogischer Leiter der Freiburger Fußballschule

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2013 , Seite 40

Nach dem “fachfremden” Interview mit dem pädagogischen Leiter der Freiburger Fußballschule (Ausgabe 2/2013) mag sich mancher Leser fragen: Was können wir denn nun von der Fußballschule lernen? Andreas Doerne hat einige Denkanregungen zusammengestellt.

Es ist gut, sowohl über den Zeitverlauf der eigenen Lernbiografie hinweg als auch aktuell in der Gegenwart verschiedene Lehrerinnen und Lehrer und somit verschiedene Lernquellen zu haben. Wichtig ist dabei allerdings, dass sich die verschiedenen Lehrkräfte in ihrem Grundverständnis darüber einig sind, was Musizieren ist und sein kann. In der Musizierpädagogik sind wir sowohl vom Prinzip eines Lehrendenteams als auch von der Formulierung und Umsetzung moderner Musizierphilosophien weit entfernt.
Beim Training von Spielsportarten steht zunehmend das Spiel selbst – also das eigentliche Ziel des Trainings – inhaltlich und methodisch im Mittelpunkt. Spielfernes, propädeutisches Lernen wird so weit wie möglich vermieden. Es findet somit eine aktive Förderung von Spielverständnis und Spielintelligenz der Trainierenden statt. Darüber hinaus führt das Spiel als Spannungszustand, als regelgeleitete Aktivität mit ungewissem Ausgang, zur Herausforderung: „Werde ich es schaffen?“ Das sich vielleicht auch erst nach mehreren Versuchen schließlich einstellende Gelingen ist begleitet durch lernmotivational hoch bedeutsame Freude und Stolz auf das Erreichte. Musizieren als Spiel mit Tönen, dem Instrument und den eigenen menschlichen Ressourcen hat ein noch größeres Potenzial als der Sport, über das Spiel selbst das Spielen zu erlernen.
Selbstständiges Explorieren und Ausprobieren der Spieltätigkeit sowie ein improvisatorischer Umgang mit dem Lerngegenstand jenseits von Unterricht, aber in Gemeinschaft mit anderen, enthält ein hohes, in der Musizierpädagogik jedoch oft brach liegendes Lernpotenzial. Wo sind unsere Entwürfe informeller Lernumgebungen für das Musizierenlernen? Wo gibt es von MusizierpädagogInnen eingerichtete „Spielplätze“, die eine kreative eigenständige Auseinandersetzung mit der Musik und dem Musizieren fördern?
Im Bereich der Musikausbildung gibt es nach wie vor einen Hang dazu, musikalisch hochbegabte Jugendliche so früh wie möglich in Musikgymnasien, hochschulische Pre-Colleges oder private Spezialschulen zu stecken. Einmal dort angekommen, sind sie vom Breitenförderungssystem separiert. Ein intensives Zusammendenken, eine enge Verzahnung von Spitzen- und Breitenförderung nicht bloß in Bezug auf Konzerte der Hochbegabten für die Durchschnittlich- und Minderbegabten, sondern in Bezug auf ein gemeinsames Voneinander-Lernen findet noch zu wenig statt. Konzerte mit Titeln wie „Die Großen von morgen“ schüren unnötigerweise hohe Erwartungen bei den erwachsenen Bezugspersonen, setzen die jungen MusikerInnen unter Erfolgsdruck und verstärken ein für die Persönlichkeitsentwicklung nicht unbedingt förderliches Selbstbild, bedeutender als andere Gleichaltrige zu sein und schon jetzt einer gesellschaftlichen Elite anzugehören. Wie sieht eine „gesunde“, entwicklungspsychologisch durchdachte, das Prosperieren der regionalen Kultur im Auge habende Verzahnung von musikalischer Spitzen- und Breitenförderung aus? Welche Hausaufgaben hätten in diesem Punkt vor allem auch die Musikhochschulen zu erledigen?
Ein Leistungsbegriff, der sich radikal am Subjekt orientiert (Leistung ist, wenn jemand sein individuelles Leistungspotenzial realisiert), scheint nicht im Widerspruch zu einer erfolgreichen Begabtenförderung zu stehen. Würden wir im Bereich der Ausbildung von MusikerInnen diesen subjektbezogenen Leistungsbegriff der Fußballschule anlegen, gäbe es wahrscheinlich
a) mehr Musikstudierende und BerufsmusikerInnen, die ihrem künstlerischen Tun auf Basis einer realistischen Selbsteinschätzung nachgehen und daher glücklicher sind,
b) weniger Lehrkräfte, die ihre SchülerInnen zu einer Karriere drängen, die ihnen nicht entspricht,
c) mehr musikpädagogisches Gespür für die persönliche und künstlerische Individualität jedes einzelnen Schülers und
d) mehr Wertschätzung für die „kleinen“ Erfolge musikpädagogischer Basisarbeit.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2013.