© Nico Herzog

Stahmer, Friederike

Vom Hören zum Singen

Kinderchorleitung nach den Prinzipien der Music Learning Theory

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2017 , Seite 26

In einer kreativen und motivierenden, aber auch fördernden und fordernden Kinderchorpraxis wollen wir mehr als “nur singen”. In neue Kklangwelten einzutauchen, musikalisches Hören neu zu entdecken und die Stimme als individuelle Ausdrucksmöglichkeit zu entwickeln sind nur einige Beispiele übergeordneter Lernziele, die mit adäquatem Repertoire verknüpft werden.

Seit einigen Jahren schöpfe ich meine wichtigsten methodischen Impulse aus der Music Learning Theory. Der Frage nachgehend, in welcher Art und Weise Musik im günstigsten Fall gelernt werden kann, entwickelte der auch hierzulande unter Musiklehrenden anerkannte amerikanische Begabungsforscher und Musikpädagoge Edwin E. Gordon (1927-2015) in über 40 Jahren der Forschung und Unterrichtspraxis seine Music Learning Theory. In seiner Theorie benennt Gordon als oberstes Lernziel die Audiation, die er definiert als „das Hören und Verstehen von Musik, die nicht physikalisch erklingt oder auch nie er­klungen ist“.* Gordon vergleicht Musiklernen immer wieder mit dem Erstsprach­erwerb. Audiation im Verhältnis zur Musik ist für ihn analog zum Denken im Verhältnis zur Sprache. Die Entwicklung der Audiations­fähigkeit umfasst rhythmische und tonale Inhalte wie auch Artikulation, Intonation, Phrasierung, musikalische Gestaltung…
Aus musikpädagogisch idealer Sicht wüchsen nach Gordon alle Kinder ab ihrer Geburt in einer musikalisch reichen Umgebung auf. Sie würden Musik so absorbieren, wie sie es auch mit ihrer Muttersprache tun, und kämen somit bereits mit einem großen musikalischen Hör- und Sprachvokabular in unsere Kinderchorproben. Leider wissen wir, dass dies bei vielen Kindern nicht der Fall ist. Wenn wir Kinder also befähigen wollen, musikalisch „sprechen“ zu können, ist es zunächst von elementarer Bedeutung, ihnen vor allem vielfältige Gelegenheit zu geben, unterschiedlichste Musik zu erleben und das Hören beizubringen. Dies gelingt durch verschiedene Bausteine, die ich im Folgenden an­hand eines Praxisbeispiels vorstellen möchte.

* “Audiation: Hearing and comprehending in one’s mind the sound of music that is not, or may never have been, physically present. It is not imitation or memorization.” Definition aus: Edwin E. Gordon: Learning Sequences in Music, Chicago 2007, S. 399.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2017.