Menze, Jonas / Govinda Wroblewsky

Vom Karrieretraum zum Portfolio!?

Teil 1: Stabilität und Veränderungen in den Berufszielen von Studierenden musikpraktischer Studiengänge

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 6/2020 , Seite 52

Anhand der Daten einer Absolventenbefragung des Netzwerks Musikhochschulen untersuchen die Autoren, welche konkreten Berufsziele Studierende bzw. AbsolventInnen musikpraktischer Studiengänge verfolgen und inwieweit sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Studien- bzw. Berufsbiografie Veränderungen in ihren Berufszielen erleben. Ferner sollen die Motive betrachtet werden, die zu einer beruflichen Neuorientierung führen, und Erkenntnisse aus früheren Studien aktualisiert werden.

Während Deutschland einerseits über eine weltweit einzigartige Dichte und Vielfalt an Sinfonieorchestern, Musiktheater- und Konzertensembles verfügt,1 zeichnet sich der Arbeitsmarkt für MusikerInnen andererseits durch eine große Diskrepanz von Angebot und Nachfrage aus: Jährlich verlässt eine steigende Anzahl hervorragend ausgebildeter MusikerInnen die Studiengänge der Hochschulen und trifft insbesondere im Bereich der klassischen Musik auf einen schwierigen Arbeitsmarkt.2 Dies bedeutet für viele MusikerInnen, dass sie ihre Karrieren auf Mehrfachbeschäftigung (Portfolio-Tätigkeit) in mitunter zeitlich befristeten und schlecht entlohnten Erwerbstätigkeiten aufbauen oder ihre bestehenden Berufsziele hinterfragen müssen.3 Vor diesem Hintergrund werden die Berufsziele der Studierenden und ihre Veränderungen im Laufe des Studiums und Berufseinstiegs in den Blick genommen.

Methode

In einer umfangreichen Fragebogenstudie im Sommer 2018 wurden Alumni und Alumnae elf deutscher Musikhochschulen4 quer durch alle Studiengänge zu ihrem Bildungsweg, ihren Erfahrungen im Studium, ihrem Berufseinstieg, ihren Berufszielen, ihrem musikalischen Kompetenzerwerb, ihrer Lebenssituation und ihrer Erwerbstätigkeit sowie ihrer Lebenszufriedenheit befragt. Die Online-Befragung wurde vom Netzwerk Musikhochschulen5 unter Beteiligung von elf Hochschulen als Vollerhebung der AbsolventInnen der Abschlussjahrgänge vom Wintersemester 2012/13 bis zum Sommersemester 2015 durchgeführt und der Fragebogen sowohl in einer deutschsprachigen als auch englischen Variante eingesetzt. Von den 3562 AbsolventInnen, die um Teilnahme an der Befragung gebeten wurden, riefen 1159 den Fragebogen auf. Nach Bereinigung des Datensatzes umfasst dieser 906 Personen, was einer Nettorücklaufquote von rund 25 % entspricht.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf die 528 AbsolventInnen musikpraktischer Studiengänge mit Schwerpunkt auf der künstlerischen Ausbildung an einem Instrument oder im Gesang (inkl. Studiengänge zur Alten Musik bzw. Historischen Aufführungspraxis, jedoch ohne Kirchenmusik). In dieser Teilstichprobe sind weibliche (54 %) und männliche (46 %) Befragte etwa gleich stark vertreten sowie 1 % (n = 2) mit dritter Geschlechts­identität. Die Anteile männlicher und weib­licher Befragter entsprechen der Verteilung in den befragten Jahrgängen an den angeschriebenen Musikhochschulen.
Das Alter wurde anhand der Geburtsjahrgänge erfasst. Diese reichen von 1967 bis 1995, der Median liegt bei 1987. Somit waren die Befragten zum Zeitpunkt der Befragung im Sommer 2018 durchschnittlich etwa 31 Jahre alt. Sie hatten ihr Studium zwischen rund drei und fünfeinhalb Jahren vor der Befragung abgeschlossen. Als höchsten Abschluss an der jeweiligen Musikhochschule hatten 39 % einen Masterabschluss erworben, 22 % ein Diplom, 19 % einen Bachelorabschluss, 17 % ein Meisterklassen-/Konzertexamen und 1 % einen sonstigen Abschluss. 3 % verließen die Hochschule ohne Abschluss.
Die Hauptinstrumente der InstrumentalistInnen verteilen sich auf Streichinstrumente (23 %), Tasteninstrumente (20 %), Holzblasins­t­rumente (16 %), Blechblasinstrumente (9 %), Zupfinstrumente (7 %) und Percussioninstrumente (6 %); die übrigen 20 % machen SängerInnen aus. Als Lebensmittelpunkt gaben 75 % der Befragten Deutschland an, gefolgt von Südkorea und der Schweiz (jeweils 3 %). Die Antworten der verbleibenden 20 % umfassen Einzelnennungen verschiedener Länder, deren überwiegende Mehrheit auf europäische Staaten entfällt.

1 Carroll Haak: Wirtschaftliche und soziale Risiken auf den Arbeitsmärkten von Künstlern, Wiesbaden 2008, S. 63 ff.
2 Heiner Gembris/Jonas Menze: „Zwischen Publikumsschwund und Publikumsentwicklung. Perspektiven für Musikerberuf, Musikpädagogik und Kulturpolitik“, in: Martin Tröndle: Das Konzert II. Beiträge zum Forschungs­feld der Concert Studies, Bielefeld 2018, S. 305-331.
3 Heiner Gembris/Daina Langner: Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt: Erfahrungen von Absolventen, Arbeitsmarktexperten und Hochschullehrern, Augsburg 2005; Haak, S. 62 ff.; Thomas Renz: Jazzstudie. Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusiker/innen in Deutschland, http://jazzstudie2016.de/jazzstudie2016_small.pdf (Stand: 7.5.2020).
4 Beteiligt waren die Musikhochschulen an den Standorten Detmold, Dresden, Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Köln, Leipzig, Lübeck, Saarbrücken, Trossingen und Würzburg.
5 Das Netzwerk Musikhochschulen ist ein Verbund von elf Musikhochschulen in Deutschland, siehe www.netzwerk-musikhochschulen.de. Diese sind nicht vollständig deckungsgleich mit den an der Studie beteiligten Hochschulen.

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