Hofacker, Ernst

Von Edison bis Elvis

Wie die Popmusik erfunden wurde

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Reclam, Stuttgart 2012
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 55

Ein Tatsachenroman im Stile von C. W. Cerams Götter, Gräber und Gelehrte schwebte Ernst Hofacker, der als Journalist für Bravo und Rolling Stone schrieb, wohl vor – nur eben auf dem Gebiet der Popmusik. Entstanden ist ein über vierhundertseitiges, überbordendes Wimmelbuch, das nicht weiß, wovon es eigentlich handeln möchte. Von den Vätern der Popmusik? Die werden streng chronologisch abgehandelt: etwa der „Vater des Delta­blues“, der „mystische Übervater des modernen Blues“, der „Vater des modernen Bassspiels“, der „Gründungsvater des Bebop“ und so weiter.
Dieses fortwährende Namedropping bis ins fünfte Glied, das nicht nur von Edison bis Elvis reicht, sondern am Ende etwas hastig den Anschluss ans Heute sucht und mit Infos über MySpace und StudiVZ beeindrucken möchte, langweilt schnell: „Geboren wurde James Charles Rodgers am 8. September 1897 in Meridian als jüngster von drei Söhnen eines Angestellten der Mobile and Ohio Railroad.“
Dabei schert der Autor sich manchmal wenig um die korrekten Fachtermini der jeweiligen Genres, parliert munter von „Stromspannung“, wenn von Nikola Tesla die Rede ist, und stellt einmal aufgeregt fest: „Was Arnold Schönberg trieb, atonale Musik wurde es genannt, führte zu heftigsten Kontroversen.“ So plätschert das Buch im Stil eines allenfalls grob redigierten Tonbandmitschnitts vor sich hin – und wird neben einigen schlichten Anekdoten manchmal sogar unfreiwillig komisch: „Hätte Emil gewusst, dass nur wenige Wochen später der Deutsch-Französische Krieg ausbrechen würde, ihm würde wohl nachträglich das Blut in den Adern gefroren sein.“
Als rasant geschnittenes Hörbuch mit vielen Musikbeispielen wäre dieser muntere Geschichtsgalopp gerade noch vorstellbar. Wer aber sollte sich für den Sänger Wayne „Buzzin’“ Burton und für den Hip-Hopper Tupac Shakur, für Lindy-Hop und Jitterbug, Freak-Folk und Metal-Gaze gleichermaßen in geschriebener Form erwärmen? Da scheint ein akustischer Spaziergang durchs Internet auf Plattformen wie last.fm, Simfy oder Spotify wesentlich lohnender, will man sich einmal über Hörgewohnheiten, Musikstile und Genreprotagonisten der vergangenen hundert Jahre kundig machen.
Die tiefsinnige „Message“ seines Kompendiums, das leider kein Literaturverzeichnis hat, aber immerhin in den Anmerkungen einige Recherche-Quellen nennt (darunter simple Wikipedia-Links), verrät Hofacker bereits auf Seite 18: „Alles ist im Fluss.“ Dabei hat sich – so lautet sein bedeutungsschwerer letzter Satz – in den vergangenen hundert Jahren Musikproduktion „eigentlich gar nicht so viel verändert“.
Immerhin – drei interessante Fakten hält das Buch bereit. Erstens: Irving Berlin konnte das Klavier lediglich in einer einzigen Tonart spielen. Zweitens: Tesla ekelte sich körperlich vor Perlenohrringen. Und drittens: Der Preis einer Jungfrau betrug im New Orleans der 1890er Jahre „fürstliche achthundert Dollar“.
Martin Morgenstern