Meyer, Claudia

Von rüstig bis dement

Seniorinnen und Senioren als neue Zielgruppe in der Elementaren Musik­pädagogik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2011 , Seite 51

Viele ältere Menschen sind gesund, aktiv, unternehmungslustig und kulturell interessiert. Längst wurde die häufig als “Generation Silver” oder “best ager” bezeichnete Gruppe der 60- bis 75-Jährigen vom Markt als kapitalkräftige Konsumentengruppe entdeckt. Doch welche Ziele könnten damit verbunden sein, in einer Gruppe aktiv zu musizieren, und was ist im Rahmen der Elementaren Musikpädagogik zu beachten, wenn körperliche und geistige Einschrän­kungen zunehmen?

In Deutschland leben gegenwärtig mehr Men­schen im Rentenalter als Menschen unter 20 Jahren. Laut Prognose des statistischen Bundesamts steigt bis zum Jahr 2060 der Anteil der über 65-jährigen Personen kontinuierlich an, jeder dritte Mensch (34%) wird dann mindestens 65 Jahre alt und etwa jeder siebte (14%) 80 Jahre oder älter sein.1 Die Zahl älterer Menschen mit dem Wunsch nach musikalischen Aktivitäten wächst. Diese reichen von Einführungskursen zur aktuellen Konzert- und Opernkultur in Volkshochschulen über instrumentale Angebote an Musikschulen und Seniorenakademien, Instrumental- und Singkreisen in Stadtteiltreffs und Kirchengemeinden bis hin zu Seniorenorches­tern, -chören und auch -bands. Als medienwirksamstes Beispiel ist hier die Seniorenband „The Zimmers“ zu nennen, die mit einem Durchschnittsalter von 78 Jahren im Jahr 2007 Platz 26 der britischen Charts eroberte. Das älteste Mitglied der ca. 40 Personen umfassenden Rockband ist 100 Jahre alt.
Musik ist aber nicht nur für Menschen von Bedeutung, die ihr Wissen über Musik steigern möchten oder in der Lage sind, auch anspruchsvolle Werke auf dem Instrument zu interpretieren bzw. zu singen, sondern entspricht auch dem Bedürfnis nach persönlichem Ausdruck, nach Bewegung und nach Kommunikation. Gemeinsames Singen und Hören von Musik, sich zu Musik zu bewegen, sie instrumental zu begleiten und sich über Musik zu verständigen, können wesentlich zur Steigerung der Lebenszufriedenheit und Lebensqualität beitragen, auch wenn die beteiligten Personen krank und gebrechlich sind. So werden musikalische Angebote in Alters- und Pflegeeinrichtungen zunehmend auch für Hoch- und Höchstbetagte eine wertvolle Bereicherung des Alltags.

Elementare Musik­geragogik als Teil­bereich der EMP

Um kompetent mit älteren und alten Menschen arbeiten zu können, bedarf es eines geragogischen Grundwissens. Alte Menschen werden dabei als Experten und Expertinnen ihrer Lebenswelt angesehen und nicht fremdbestimmten Fördermaßnahmen unterworfen. Elementare Musikgeragogik ist also nicht erzieherisch im Sinne einer „Späterziehung“ oder therapeutisch intendiert, sondern zielt auf die Unterstützung musikalischer Bildung und musikbezogener Erfahrungen im Alter. „Aufgabenfeld der Musikgeragogik ist der alte Mensch und sein individueller Bezug zur Musik; daher ist dem alten Menschen nicht über Problemsichten wie Pflegebedürftigkeit, Krankheit, Behinderung und andere Defizite zu begegnen, sondern über seine persönlichen musikalischen Kompetenzen und Interessen. […] Selbstbestimmte Bildungs- und Erfahrungsprozesse können nicht gelenkt, sondern nur initiiert und inszeniert werden, auch bei demenziell erkrankten Personen muss dieser Grundsatz so weit wie möglich beachtet und daher jederzeit den Absichten und Bedürfnissen des Kranken einfühlend nachgespürt werden.“2

1 vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. koordinierte Bevölkerungsvoraus­berechnung, Wiesbaden 2009.
2 Theo Hartogh/Hans Hermann Wickel: Musizieren im Alter. Arbeitsfelder und Methoden, Mainz 2008, S. 25.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2011.