Schuster, Thomas

Warum sinkt mein Chor?

Über das Detonieren von Laienchören

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: BOD, Norderstedt 2021
erschienen in: üben & musizieren 3/2022 , Seite 58

Chorarbeit ist eine Mammutaufgabe. Zweifellos! Dabei ist ein erfolgreicher Chorleiter immer zuerst auch ein guter Stimmbildner, der die stimmlichen Anforderungen der Chorliteratur seinem Chor vermitteln kann. Dazu gehört ein fundiertes stimmphysiologisches Wissen, um stimm­technische Hilfen bereitzustellen. In der Arbeit mit Laien bietet das „Einsingen“ für jeden Sänger und jede Sängerin eine einzigartige Möglichkeit, um die eigene Stimme zu reflektieren, kennenzulernen und weiterzubilden, um sie dann in einen gemeinsamen Chorklang einbringen zu können. Insofern kann man durch solches Einsingen ein hohes Maß an stimmbildnerischer Erziehung leisten. Dabei sollte man als ChorleiterIn immer nur Übungen auswählen, die man selbst beherrscht und über deren stimmbildnerisches Ziel man sich bewusst ist.
Thomas Schuster stellt in seinem Buch seine persönlichen Chorerfahrungen am Phänomen des „Detonierens“ dar, das auf multiplen Faktoren und Einflüssen beruht. Der promovierte Physiker argumentiert wie ein Naturwissenschaftler und stellt zunächst physikalische Voraussetzungen der Akustik vor, die man als Musiker und Musikerin bis zu einem gewissen Grad ver­innerlicht hat. Reine und gleichschwebende Stimmung, Obertöne und Kommata: Alles angereichert mit Hertz und Cent!
Auf Seite 63 findet Schuster dann doch wieder den Weg zurück: „Nach diesen ganzen Vorüberlegungen kommen wir endlich zurück zum eigentlichen Thema dieses Buches, nämlich den aus meiner Sicht wichtigsten Diagnosen und Verordnungen beim Detonieren des Chors.“ Schusters naturwissenschaftliche Expertise steht nicht selten mit den ästhetischen Implikationen der Chormusik im Konflikt. Und das ist sehr schade. „Die ,Chorleitungskunst‘ ist keine Wissenschaft und wird nicht von Wissenschaftlern gelehrt.“ Gott sei Dank, möchte man hinzufügen.
Und auch Thomas Schuster selbst sieht sein Buchprojekt skeptisch: „Außerdem denke ich, dass Fragen rund um die Intonation von Chören, speziell die Frage nach Ursachen des Detonierens, heutzutage sehr gut empirisch untersucht werden könnten. Wenn ich schon mangels Zeit und entsprechender finanzieller Mittel nicht in der Lage bin, das zu tun, dann möchte ich es wenigstens anregen.“ Tatsächlich gibt es auch positive Anregungen, dem Phänomen auf den Grund zu gehen, nämlich Interpretationen miteinander zu vergleichen.
Doch auch dieser Versuch, Philippe Herreweghe und seine Interpretation mit dem Collegium Vocale Gent vergleichend einzuordnen, verläuft im Sande: „Man kann spekulieren, dass eine reine Intonation angestrebt war und auch sicher bewältigt wurde, was bei diesem Spitzenensemb­le nicht verwundern würde.“ Letztendlich führt neben inhalt­lichen und sprachlichen Ungereimtheiten auch die grafische Gestaltung nicht zu einer gewinnbringenden Lektüre.
Martin Hoffmann