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Nonte, Sonja

Was ist guter Unterricht?

Was wissen wir über die Unterrichtsqualität im Fach Musik sowie in musizierpraktischen Angeboten?

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 12

Im Bereich des schulischen Musik­unterrichts und im Bereich musizier­praktischer Unterrichtsangebote gibt es bisher kaum eine Verständigung über Qualitäts­kriterien. Ein Blick in verschiedene Länder und andere Fachdisziplinen scheint lohnenswert. Zudem erlauben empirische Erkenntnisse zur Unterrichtsqualität in Musik erste Anknüpfungspunkte für die Praxis.

Zieldimensionen von Musikunterricht

Zunächst muss konstatiert werden, dass im Fach Musik sowie für den Instrumentalunterricht bisher erstaunlich wenige Publikationen vorliegen, die sich mit dem Aspekt Unterrichtsqualität befassen. Eine Recherche in der Literaturdatenbank FIS-Bildung unter dem Schlagwort „Unterrichtsqualität UND Musik“ führt insgesamt zu nur 21 Treffern, darunter wurden etwa die Hälfte der Beiträge vor dem Jahr 2000 veröffentlicht. Unter den verbleibenden aktuelleren Texten befinden sich nur wenige, die explizit Befunde aus empirischen Studien zeigen. Dies kann als erster Hinweis dafür dienen, dass die Frage nach gutem Unterricht im schulischen Musikunterricht sowie in musizierpraktischen Angeboten kaum unter Berücksichtigung empirisch belastbarer Daten diskutiert wird. So berichtet auch Ulrike Kranefeld, dass für die Musikdidaktik bisher weder ausgearbeitete noch empirisch fundierte theoretische Modelle vorliegen.1 Als mögliche Ursache führt sie die Vielzahl an Konzeptionen von Musikunterricht der vergangenen fünf Jahrzehnte an, die eine einheitliche Verständigung auf Zieldimensionen erschwere. Tatsächlich va­riieren die Ziele zum Teil deutlich zwischen den Curricula und Bildungsplänen der Länder.
Allgemein betrachtet wird angestrebt, die musikalische Bildung der SchülerInnen zu fördern, kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, die künstlerische Ausdrucksfähigkeit zu fördern und grundlegende Kenntnisse über Musik zu vermitteln. So finden sich im gemeinsamen Bildungsplan für die Sekundarstufe I in Baden-Württemberg die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche (1) Musik gestalten und erleben, (2) Musik verstehen und (3) Musik reflektieren. Übergeordnet werden die Befähigung „zu einem bewussten – aktiven und rezipierenden – Umgang mit Musik sowie einer selbstbestimmten Teilhabe am kulturellen Leben“2 gesehen. Der Musikunterricht trage wesentlich zu kultureller Bildung bei, fördere die Entwicklung emotionaler, kreativer, psychomotorischer, sozialer und kognitiver Kompetenzen und leiste einen unverzichtbaren Beitrag zur allgemeinen Bildung. Damit bleibt dieser Lehrplan, ebenso wie viele weitere auch, unkonkret. Es werden Ziele fokussiert, die sowohl die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung von Heranwachsenden betreffen als auch Ziele, die als Voraussetzung von gesellschaftlicher (kultureller) Teilhabe angesehen werden.
Dass die fehlende Spezifität kein deutsches Phänomen ist, zeigt ein Blick in die USA, in die „National Core Arts Standards for Music Education“ der National Associa­tion for Music Education (NAfME).3 Dort wird das international anschlussfähige Konzept der literacy herangezogen. Musikkompetenz zeichnet sich dabei insbesondere durch die drei künstlerischen Prozesse des creating, performing und responding aus und unterscheidet sich damit deutlich von den Lehrplänen der Bundesländer in Deutschland. Im Vereinigten Königreich finden sich im „National Curriculum for Music“ ebenfalls drei Zieldimensionen, wonach die SchülerInnen ihre bisherigen Kenntnisse und Fähigkeiten durch Musizieren, Komponieren und Hören ausbauen sollen.4 In Ontario in Kanada hingegen werden als Zieldimensionen übergeordnete und musikunspezifische Ziele unter dem Begriff arts education subsummiert.5 Danach ist kulturelle Bildung für die intellektuelle, soziale, körperliche und emotionale Entwicklung und das Wohlbefinden der SchülerInnen von wesentlicher Bedeutung. Erfahrungen in den Künsten – in Tanz, Theater, Musik und bildender Kunst – spielen dabei eine wichtige Rolle, um den SchülerInnen zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen und in vollem Umfang an ­ihrer Gemeinschaft und der Gesellschaft als Ganzes teilzuhaben.
Aus fachdidaktischer Perspektive befasst sich Christopher Wallbaum im Kontext des Klassenmusizierens mit der Beschreibung von Zieldimensionen. Zentrales Ziel sei es, den SchülerInnen „erfüllte musikalische Vollzüge“6 zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang skizziert er fünf Kriterien für guten Musikunterricht: (1) Klassenmusizieren als erfüllte musikalisch-ästhetische Praxis, (2) Formale Orientierung: das Kriterium des Neuen, (3) Beispiel und Reflexion zur verständigen musikalischen Praxis, (4) Materiale Orientierungen und (5) Gruppenarbeit – Ästhetische Praxis und Lehrerbelastung. Eine theoretische Auseinandersetzung über Kriterien einer qualitätvollen Praxis in der Musikdidaktik ist von großer Relevanz und befeuert die Frage nach den Zielen sowie die Konkretisierung musikalischer Bildung sowohl an Schulen als auch im außerschulischen Bereich.
Die Diskussion von Qualitätskriterien von Unterricht spielt darüber hinaus insbesondere dann eine Rolle, wenn Angebote mit einem Wirkungsanspruch versehen sind und diese Wirkung entsprechend messbar sein soll. In diesem Zusammenhang sind die deutschlandweit als einmalig zu bezeichnenden Programme zu „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) zu nennen, die ab 2008 großflächig im Ruhrgebiet und in Hamburg umgesetzt wurden. GrundschülerInnen erhielten im Kontext von JeKi das Angebot, zunächst im Rahmen einer so genannten Grundmusikalisierung verschiedene Instrumente kennenzu­lernen und im Anschluss daran ein ausgewähltes Ins­trument zu erlernen. Der Instrumentalunterricht fand in Kleingruppen statt und wurde von InstrumentalpädagogInnen regionaler Musikschulen in den Grundschulen durchgeführt. Eine Besonderheit war dabei auch das gemeinsame Unterrichten von Grundschullehrkräften und InstrumentalpädagogInnen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte die wissenschaftliche Begleitevaluation laut einer Ausschreibung mit bis zu einer Million Euro pro Jahr bei einer Laufzeit der Projekte von vier bis fünf Jahren. In diesem Zusammenhang wurde die Frage nach Qualitätsstandards erneut aufgeworfen. Hermann Josef Abs argumentierte, eine Qualitätsprüfung eines derartigen Angebots könne nur dann erfolgen, wenn die Zieldimensionen geklärt seien.7

Basisdimensionen guten Unterrichts

Die naturwissenschaftlichen Didaktiken haben sich bereits früh im Kontext von empirischen Studien – etwa in der TIMSS-Videostudie von 19958 – mit Qualitätsdimensionen guten Unterrichts befasst. Im Zuge dessen kam es auch zur empirischen Bestätigung von fachunabhängigen Konzepten zur Beschreibung von Unterrichtsqualitätsdimensionen. Diese fachunabhängige bzw. fachübergreifende Auseinandersetzung mit der Frage nach einem qualitätvollen Unterricht, der Lernprozesse befördert, wurde vielerorts vor dem Hintergrund der sogenannten Basisdimensionen guten Unterrichts9 diskutiert, die im Folgenden erläutert werden.10

1 Kranefeld, Ulrike: „Der Diskurs um Unterrichtsqualität in der Musikdidaktik zwischen generischen und fachspezifischen Dimensionen“, in: Unterrichtswissenschaft, Heft 2, 2021, S. 221-233.
2 Gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I – ­Bildungsplan 2016. Musik vom 23. März 2016, Ministe­rium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, S. 3, www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/ BP2016BW_ALLG_SEK1_MUS.pdf (Stand: 20.2.2024).
3 National Association for Music Education: „Standards“, https://nafme.org/publications-resources/standards (Stand: 20.2.2024).
4 Department of Education: „Music programmes of study: key stages 1 and 2. National curriculum in England“, September 2013, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5a7b7f8c40f0b645ba3c4b8a/PRIMARY_national_curriculum_-_Music.pdf (Stand: 20.2.2024).
5 The Ministry of Education Ontario: The Arts. The Ontario curriculum, Grades 1-8, revised edition 2009, www.edu.gov.on.ca/eng/curriculum/elementary/arts18b09curr.pdf (Stand: 20.2.2024).
6 Wallbaum, Christopher: „Klassenmusizieren als einzige musikalische Praxis im Zentrum von Musikunterricht?“, in: Schäfer-Lembeck, Hans U.: Klassenmusizieren als Musikunterricht? Theoretische Diskussion unterrichtlicher Praxen, München 2005, S. 71-94, hier: S. 72.
7 Abs, Hermann Josef: „Qualitätskriterien zu ,Jedem Kind ein Instrument‘ und Paradigmen der Evaluationen“, in: Noten für alle? Musika­lische Bildung macht Schule, Dokumentation der Tagung vom 16. August 2008, Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, hg. vom Landesmusikrat NRW, S. 50-62, www.lmr-nrw.de/fileadmin/user_upload/ lmr-nrw.de/downloads/musikalische_bildung/Noten_fuer_alle_Innenteil.pdf (Stand: 20.2.2024).
8 Reusser, Kurt/Pauli, Christine/Zollinger, Andreas: „Mathematik­lernen in verschiedenen Unterrichtskulturen. Eine Videostudie im ­Anschluss an TIMSS“, in: Beiträge zur Lehrerbildung, Heft 3, 1998, S. 427-438.
9 Klieme, Eckhard/Rakoczy, Katrin: „Empirische Unterrichtsforschung und Fachdidaktik. Outcome-orientierte Messung und Prozessqualität des Unterrichts“, in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2, 2018, S. 222-237. Die Basisdimensionen dienen der Beschreibung und Analyse von Unterricht, vgl. Decristan, Jasmin/Hess, Miriam/Holzberger, Doris/ Praetorius, Anna-Katharina: „Oberflächen- und Tiefenmerkmale. Eine Reflexion zweier prominenter Begriffe der Unterrichtsforschung“, in: Praetorius, Anna-Katharina/Grünkorn, Juliane/Klieme, Eckhard (Hg.): Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 66: Empirische Forschung zu Unterrichtsqualität: Theoretische Grundfragen und quantitative Modellierungen, Weinheim 2020, S. 102-116.

10 Willems, Ariane S.: „Individuelle Schüler*innenprofile des situa­tionalen und dispositionalen Interesses und ihre Bedeutung für die Wahrnehmung der Unterrichtsqualität im Fach Mathematik“, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Heft 2, 2022, S. 377-404.

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