Mahlert, Ulrich

Was ist Leistung?

Zehn Überlegungen zum Musizierunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 06

Die pädagogische Verwendung des Begriffs “Leistung” ist häufig ent­weder emphatisch bejahend oder deutlich kritisch geprägt. Für viele Menschen ist “Leistung” ein positiv oder ein negativ besetztes Reizwort. Parolen wie “Ja zur Leistung”, “Leis­tung fordern”, “Leistungsbereitschaft früh wecken” stehen im Widerspruch zu einer Sichtweise, die Kinder und Jugendliche vor den deformierenden Ansprüchen einer “Leistungsgesellschaft”, vor der Dominanz des “Leistungsprinzips”, vor “Leistungs­terror” in Schule und Beruf, vor einem übersteigerten Ehrgeiz von Eltern schützen will. Wie positionieren sich Musiklehrkräfte zu diesen polaren Auffassungen?

Beim Musizieren und im Musizierunterricht kommt der Begriff „Leistung“ sehr unterschiedlich zur Geltung. Es gibt hier vielerlei Vorstellungen von Leistung, diverse Sichtweisen und Erwartungen. Etliche Personengruppen haben ihre besonderen Ansichten über Leistungen beim Musizieren: Lehrende, Lernende, Eltern von Schülern, Laien, Berufsmusiker. Wettbewerbe wie „Jugend musiziert“ operieren mit Leistungsnormen für verschiedene Altersstufen. Um ein Musikstu­dium aufzunehmen, muss ein hoher musikalischer Leistungsstand nachgewiesen werden. Musikalische Berufe stellen spezielle und vielfach enorm hohe Leistungsanforderungen. Wer mehr leistet, hat bessere Aussichten auf eine Stelle – das ist beim Musik­machen und -unterrichten nicht anders als in anderen Berufen. Für Orchesterstellen werden Höchstleistungen in jungen Jahren verlangt. Wer nicht genug Leistung erbringt, bleibt auf der Strecke. Auch für das Musizieren und den Musikunterricht gilt: Wir leben in einer „Leistungsgesellschaft“. Leistung wird großgeschrieben.
Andererseits wünschen sich viele Menschen im Musizieren einen Ausgleich zu dem Leistungsdruck, von dem sie tagtäglich geplagt sind. Kinder sollen nach den Wünschen ihrer Eltern schon frühzeitig im Musizieren einen solchen geschützten Bereich finden. Musik soll ihnen Freude, Entspannung, Spaß und vielerlei Anregungen bringen, ohne jedoch mit dem rigiden Anspruch des Leistenmüssens belastet zu sein. Kann das funktionieren?
Die Antwort kann nur lauten: Nein! Es gibt kein leistungsfreies Musizieren. Musikmachen ist eine anspruchsvolle und komplexe Leistung – auch dann, wenn die Ansprüche an die Qualität bescheiden bleiben. Auch dann stellt Musizieren vielerlei Leistungsanforderungen: Musik auffassen, eine Hörvorstellung bilden, Hören und Ausführen koordinieren, die dazu nötige Körperkontrolle und -flexibilität entwickeln, klanglich Produziertes rückkoppeln zu Vorgestelltem, es mit ihm vergleichen, aus dem Vergleich Verbesserungen entwickeln – das sind nur einige wenige der vielen zum Musizieren unabdingbaren Leistungen. Musizieren selbst stellt Leistungsanforderungen, bevor die eigenen Leistungsnormen und die von Lehrenden, Lernenden, Musizierpartnern und anderen Menschen ins Spiel kommen.
Beim Instrumental- und Vokalunterricht hängen Leistungsvorstellungen und -erwartungen vor allem von den gesetzten Zielen ab. Soll wirklich „nur zum Spaß“ musiziert werden? Manche Eltern formulieren das so, wenn sie ihre Kinder zum Unterricht anmelden. Sind Wunschvorstellungen vorhanden – etwa die, bestimmte Stücke zu spielen, in Musik ein persönliches Ausdrucksmedium zu finden, in einem Ensemble mitzumachen? Geht es darum, eher standardisierte Ziele zu erreichen, z. B. an einem Wettbewerb teilzunehmen und dabei gut abzuschneiden, eine Aufnahmeprüfung, ein Examen zu schaffen, eine Anstellung zu erhalten, Karriere zu machen? Wer oder was setzt die Ziele, mit denen bestimmte Leistungserwartungen verbunden sind? Sind sie eher selbst- oder eher fremdbestimmt? Wer erwartet was, wenn mehrere Personen beteiligt sind? Wie wirken sich voneinander abweichende Leistungs­erwartungen aus, etwa die von Schülern, Leh­rern, Eltern?

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2016.