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Schabram, Kai Marius

Was ist Musikgeragogik?

Zur Entwicklung einer jungen Disziplin

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , Seite 46

Für immer mehr Lehrkräfte musikalischer Bildung nimmt das Arbeitsfehld Musikgeragogik einen stetig größer werdenden Stellenwert ein. Kai Marius Schabram gibt einen kurzen Überblick über Geschichte und Bedeutung dieser noch jungen Disziplin.

Vorgeschichte

In Deutschland entstanden ab den 1970er Jahren die ersten Konzepte, die sich speziell mit der Theorie und Praxis musikalischer Altenbildung auseinandergesetzt haben. Diese Ansätze waren zunächst sozialpädagogisch orientiert und konzentrierten sich auf ältere Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen oder Altentagesstätten lebten. Die institutionelle Fokussierung hatte unter anderem zur Folge, dass die theoretischen Leitbilder eine Defizitsicht auf ältere Menschen aufwiesen: Die Alten wurden auf mangelnde soziale Kontakte, eingeschränkte Mobilität und geminderte Selbstsicherheit reduziert. Die Berücksichtigung körperlich und geistig aktiver sowie sozial gut integrierter älterer Menschen blieb häufig aus. Dadurch wurde ein Stereotyp gestärkt, das die Zielgruppe älterer Menschen in die Rolle einer zu therapierenden Klientel drängte. Musik sollte vor diesem Hintergrund primär als ein Beschäftigungsmedium fungieren, um Defizite wie soziale Isolation, steigende Lebensangst oder körperliche Beeinträchtigung zu kompensieren.
In den 1990er Jahren konzentrierten sich die Ansätze zwar weiterhin auf die Einrichtungen Alten- und Pflegeheim, jedoch versuchte man zunehmend auf die wachsende Pluralität gesellschaftlicher Altersbilder methodisch zu reagieren. Im Konzept von Heidrun Harms und Gaby Dreischulte (1995) wurde beispielsweise gezielt zwischen einer therapeutischen und einer aktivierenden Funktion der Musik unterschieden.1 Die Autorinnen distanzierten sich dabei von älteren Vorstellungen, dass musikalisches Handeln im Alter vorrangig der Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung der psychisch-physischen Gesundheit dienen sollte. Vielmehr ging es ihnen um einen psychosozialen Einsatz von Musik, um die Kommunikation, Kreativität und Selbstbestätigung älterer Menschen zu aktivieren.

1 Heidrun Harms/Gaby Dreischulte: Musik erleben und gestalten mit alten Menschen, Stuttgart 1995.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2015.