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Busch, Thomas

Was mag ich und was kann ich?

Zur Entwicklung des musikalischen Selbstkonzepts

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 06

Ein hohes musikalisches Selbstkon­zept hat wesentliche positive Auswir­kungen auf Leistung, Motivation und Lernerfolg. Insofern kommt ihm auch in der musizierpädagogischen Arbeit eine wichtige Rolle zu. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die Eigenschaften des psychologischen Konstrukts beschrieben und Möglichkeiten für die Entwicklung des musikalischen Selbstkonzepts im Instrumental- und Gesangsunterricht umrissen.

Der Dschungel der psychologischen Theorien rund um das Selbst ist dicht. In der Literatur lassen sich unter anderem Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen oder Selbstwirksamkeit von zahlreichen anderen Konstrukten unterscheiden. Als eines der wesentlichsten hat sich das Selbstkonzept herausgeschält. Das Selbstkonzept stellt die Selbstwahrnehmung einer Person dar, welche durch Umwelterfahrungen und deren Interpretation durch das einzelne Individuum geformt wird.1 Eine wesentliche Rolle spielen also Inter­aktionen mit Bezugspersonen, die einen Einfluss auf das Individuum ausüben, und der soziale Vergleich des Individuums mit diesen Personen und den eigenen Kompetenzen. Auch Instrumental- und Vokallehrkräfte können so zu wichtigen Bezugspersonen werden und das Selbstkonzept ihrer SchülerInnen beeinflussen.

Das Selbstkonzept stellt die Selbstwahrnehmung einer Person dar, welche durch Umwelterfahrungen und deren Interpretation durch das einzelne Indivi-duum geformt wird.

Die Einschätzung des eigenen Selbst bezieht sich auf einen Zeitraum von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, umschließt also keine konkreten Erwartungen für die Zukunft.2 Die so entwickelten Selbstkonzepte gelten als recht stabil und damit nur langsam veränderbar. Herbert W. Marsh3 entwickelte zur Beschreibung weiterer Eigenschaften des Selbstkonzepts das Bezugsrahmenmodell, nach dem die Selbsteinschätzung eines Individuums von der Stärke der Vergleichsgruppe abhängig ist: In einer leistungsstarken Gruppe führt der soziale Vergleich zu einem weniger positiv ausgeprägten Selbstkonzept des Individuums als in einer weniger leistungsstarken. Darüber hinaus vergleichen sich Individuen auch innerpsychisch mit sich selbst: Ein positives Selbstkonzept in einem Bereich bringt oftmals ein weniger positives in einem anderen Bereich mit sich; z. B. könnte sich eine Instrumentalschülerin, die sich als gut im Cellospiel ansieht, durch internen Vergleich als weniger gut im Malen oder Zeichnen empfinden – oder umgekehrt.

Fünf Quellen des Selbstkonzepts

Fünf Quellen gelten als wesentlich für die Entwicklung des Selbstkonzepts.4 Zum ersten ist der persönliche Referenzrahmen des Individuums von Relevanz, der aus gesellschaftlichen Normen und sozialen Vergleichen entsteht: In Situationen hoher Konkurrenz und starkem sozialen Vergleich, z. B. in einer studienvorbereitenden Musikausbildung, kann das Selbstkonzept leiden.
Zweitens sind die Ursachen, denen ein Individuum Erfolge und Misserfolge zuschreibt, von Wichtigkeit. Als günstig für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts gilt hier die Zuschreibung von Erfolgen auf stabile, dem Individuum zugehörige interne Ursachen, z. B. auf das eigene Können bei einem Vorspiel. Bei Misserfolgen hingegen ist die Zuschreibung auf externe und veränderliche Ursachen dem Selbstkonzept zuträglich, z. B. Pech mit dem ausgewählten Blättchen beim Saxofonvortrag.
Als dritte Quelle des Selbstkonzepts gelten externe Bewertungen relevanter Bezugspersonen, z. B. Lob oder Ansporn zum Üben. Viertens sind Erfahrungen des eigenen Gelingens in Ernstsituationen wie das erfolgreiche Konzert mit dem Musikschulorchester wesentlich. Zuletzt zählt die Wichtigkeit des jeweiligen Bereichs des Selbstkonzepts für das gesamte Selbst: Wird das eigene Musizieren für nicht so wichtig gehalten, sind auch die Auswirkungen auf das Selbstkonzept geringer.

Die Struktur von ­Selbstkonzepten

Zu Beginn der Forschung zum Selbstkonzept ging die kognitive Psychologie davon aus, dass das Selbstkonzept viele Dimensionen hat, die streng hierarchisch angeordnet sind:5 Demnach ließe sich das übergreifende generelle Selbstkonzept eines Individuums zwar in viele verschiedene Bereiche – die sogenannten Domänen – aufgliedern, die aber dennoch in das übergreifende Selbstkonzept münden. Damit wurde die Untersuchung von Einflüssen vom generellen Selbstkonzept auf die darunter liegenden Bereiche (Top-Down-Effekte) sowie von Einflüssen von einzelnen Bereichen auf das generelle Selbstkonzept (Bottom-Up-Effekte) zu einem Fokus wissenschaftlicher Betrachtung.
Dagegen konnten neuere Untersuchungen die Existenz eines übergreifenden Selbstkonzepts nicht bestätigen.6 Bereits früh in der Kindheit liegen demnach schon ausdifferenzierte Teil-Selbstkonzepte in verschiedenen Domänen vor, die sich in gewisser Weise unabhängig voneinander entwickeln. Diese Teil-Selbstkonzepte können entweder einen akademischen Charakter haben (z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen) oder einen nicht-akademischen (z. B. soziale Eingebundenheit oder Stimmungsregulation). Im Bereich des akademischen Selbstkonzepts gilt es mittlerweile als sehr wahrscheinlich, dass dieses sowohl eine emotionale Dimension („was ich mag“) als auch eine evaluative Dimension der eigenen Kompetenzeinschätzung („was ich kann“) zu haben scheint. Insbesondere die Dimension der eigenen Kompetenzeinschätzung scheint nach derzeitigen Erkenntnissen wesentlichen und beständigen Einfluss auf die tatsächliche Kompetenzentwicklung und den Lernerfolg zu haben: Wer seine Kompetenz als positiv einschätzt, kann in der Regel in der Folge den größeren Lernerfolg aufweisen.

1 Richard Shavelson/Judith Hubner/George Stanton: „Self Concept: Validation of construct interpretations“, in: Review of Educational Research 46 (1976), S. 415.
2 Mimi Bong/Einar Skaalvik: „Academic Self-Concept and Self-Efficacy: How Different Are They Really?“, in: Educational Psychology Review 15.1 (2003), S. 3.
3 Herbert W. Marsh: „Verbal and Math Self-Concepts: An Internal/External Frame of Reference Model“, in: American Education Research Journal 23 (1986), S. 129-149.
4 Bong /Skaalvik, S. 3 f.
5 Shavelson/Hubner/Stanton, S. 416.
6 Marcus Hasselhorn/Andreas Gold: Pädagogische ­Psychologie. Erfolgreiches Lehren und Lernen, Stuttgart 2017, S. 112 f.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2021.