Bierther, Jan
Was nicht passt, wird passend gemacht
Jazzakkorde nach Maß, für Gitarre
GitarristInnen lernen Akkorde oft nach Griffbildern. Das geht schnell und ist am Anfang inspirierend, fördert aber nicht gerade das harmonische Verständnis. Statt einen Ton im Akkord zu ändern, um ein bestimmtes Voicing oder eine Akkorderweiterung zu erhalten, werden Bücher wie „10000 Akkorde für Gitarre“ bemüht. Jan Bierther, Jazzgitarrist aus Essen, findet, dass das nicht sein muss, und versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.
Sein Konzept bezeichnet er als „Schweizer Taschenmesser für Jazzer“. Im Prinzip geht es darum, Akkorde zu verstehen und anzupassen, also z. B. aus einem Cmaj7-Akkord einen C7 zu machen, anstatt sie aus einer Grifftabelle abzulesen. Am Anfang steht daher etwas theoretischer Background. Bierther erklärt das chromatische und diatonische Tonsystem und überträgt es auf die Gitarre. Dann folgt eine Einführung in Akkordstrukturen, von Dreiklängen bis Jazz-Septakkorden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann anhand eines offenen D7 angewandt, der zum Dmaj7 umgestaltet wird.
So weit, so verständlich, obwohl die Erklärungen sehr knapp gehalten sind. Das dürfte bei manchem Powerchord-Rocker die eine oder andere Frage offen lassen, die dann mithilfe anderer Quellen wie Internet, Lehrperson oder eines weiteren Buchs geklärt werden muss.
Als nächstes steht das Thema Shell-Chords auf dem musikalischen Speisezettel. Bierther erklärt kurz das Konzept des Voicings aus Grundton, Terz und Septim, demonstriert es anhand eines Beispiels in D auf der Saitengruppe A-D-G und fordert anschließend dazu auf, die Stufenakkorde in C zu finden. Hier wären ein paar gut klingende Beispiele sicher inspirierend gewesen, aber manchmal hilft ja auch der kalte Sprung ins Wasser, um ans Ziel zu gelangen. Für die Saitengruppe E-D-G wird nur noch ein Voicing (G7) gezeigt, den Rest soll man sich selbst erschließen. Eine recht zackige Vorgehensweise.
Auf den nächsten Seiten werden die Shell-Chords dann auf typische Jazzakkord-Folgen wie Blues, Mollblues und Rhythm Changes angewandt. Bierther notiert meist nur die ersten zwei Akkorde und fordert dann zum Selbstfinden der Voicings auf. Glücklicherweise gibt es einen Lösungsteil. Als Abschluss gibt es einige Anschlagsmuster für Swing, Bossa Nova und Jazz-Waltz. Bierther notiert hier in klassischer Weise zweistimmig, was die Rhythmik der Patterns sehr schwer lesbar macht. Ein QR-Code zum YouTube-Kanal des Gitarristen schafft aber mit Hörbeispielen Abhilfe.
Die Idee dieser Ausgabe – Verstehen statt Auswendiglernen – finde ich sehr gelungen. Das angebotene Material ist jedoch recht dünn. Ob es einem Jazzgitarren-Anfänger ohne Anleitung gelingt, sich all diese Akkorde zu erschließen, wage ich zu bezweifeln. Etwas mehr Beispiele, wie man zu den geforderten Akkorden gelangt, wären hilfreich gewesen, falls man dieses Buch im Selbststudium verwenden will.
Martin Schmidt