Buchborn, Thade
Was passiert, wenn der Lehrer nicht mehr hinschaut?
Wie Schülerinnen und Schüler in Unterrichtspausen miteinander musizieren und voneinander lernen
Auch wenn in der Fachdiskussion die Rahmenbedingungen von Schule oft als Nachteil für qualitativen Instrumentalunterricht beschrieben werden, werden in diesem Artikel die Vorteile des Lernorts Schule beleuchtet. Anlass dazu bietet eine Studie, die sich mit dem Lernen von Instrumenten in Bläserklassen beschäftigt. Dort wurde nicht gefragt, welche Auswirkungen das gemeinsame Musizieren auf das Sozialverhalten, die Lernleistung, die Konzentrationsfähigkeit etc. hat, sondern umgekehrt analysiert, wie sich die sozialen Bedingungen des Klassenverbandes auf das Erlernen eines Instruments auswirken. Die Ergebnisse bieten Anlass, über neue, in Kooperation mit Schulen entwickelte Formen des Instrumentalunterrichts nachzudenken.
Die Schülerinnen und Schüler einer Bläserklasse haben die erste Stunde ihrer wöchentlichen Doppelstunde Musikunterricht hinter sich. Sie könnten auf den Hof gehen, am Büfett ein Pausenbrot kaufen, mit den Mitschülerinnen und -schülern über das aktuelle Geschehen in der Bundesliga diskutieren… Sie müssen den Musiksaal allerdings nicht verlassen und die wenigsten Schüler tun dies. Auf den ersten Blick herrscht daher lautes Chaos. Eine Gruppe von Schülerinnen hämmert immer wieder die ersten Takte des Flohwalzers auf dem Klavier, zwei Kinder bearbeiten das Drumset, eine Gruppe von Schülerinnen tauscht die Instrumente und bläst erste, falsche Töne auf einem fremden Instrument, zwei Trompeter spielen den Schlager Aber bitte mit Sahne. All dies mischt sich zu einem lauten Wirrwarr an Tönen, Melodiefetzen und Klängen.
Zum Entspannen zwischen den Stunden ist das für die Lehrkräfte nicht immer angenehm. Doch irgendwie scheint klar, dass die Schülerinnen und Schüler von diesen individuellen Lernzeiten profitieren und Spaß am gemeinsamen Ausprobieren und freien Spielen haben. Aus diesem Grund ist das Musizieren in den Pausen auch nicht verboten. Im Gegenteil.
In einer Studie wurde untersucht, was in den musikalischen Pausen im Detail passiert und wie die Schülerinnen und Schüler der Bläserklassen das Lernen eines Instruments im Klassenverband erleben.1 Dafür wurden die Pausen von zwei Bläserklassen über einen Zeitraum von zwei Monaten auf Video aufgezeichnet und alle Schülerinnen und Schüler in 20-minütigen Interviews dazu befragt, wie sie das gemeinsame Musizieren in der Klasse und ihre individuelle Beschäftigung mit dem Instrument erleben. Die Ergebnisse der Studie geben einen guten Einblick in die Prozesse innerhalb der Lerngruppe der Schüler. Sie zeigen, was passiert, wenn der Lehrer nicht mehr hinschaut.
Die Pausenaktivitäten im Detail betrachtet
Das mehrmalige Ansehen der Videos und das Analysieren der oben beschriebenen Einzelszenen im Detail macht deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit die Schülerinnen und Schüler sich in ihrer Pausenzeit mit Musik und ihren Instrumenten auseinandersetzen.
In der Schülergruppe am Klavier stehen zwei Mädchen im Zentrum, die den Flohwalzer bereits spielen können. Mehrfach zeigen sie ihren Mitschülerinnen, wie die ersten Takte funktionieren. Die anderen schauen konzentriert zu und probieren dann selbst einmal. Die Schülerin am Drumset übt einen Rhythmus. Der Schüler neben ihr, der an der Musikschule Schlagzeug lernt, gibt offenbar Anweisungen und Tipps. Die Schülerinnen, die die Instrumente getauscht haben, zeigen sich gegenseitig die ersten Schritte auf dem fremden Instrument. Sie geben weiter, was sie selbst erst vor gut einem Jahr gelernt haben. Und die beiden Trompeter spielen das Lied, das in der vergangenen Stunde in der Klasse gesungen wurde. Einer von ihnen weiß schnell, welche Töne man braucht – er ist gut in Gehörbildung.
1 Thade Buchborn/Margit Painsi: „The wind band class as a special music learning environment – musical activity and interaction in the peer group and self-beliefs about musical abilities and beliefs about musical learning“, in: Airi Liimets/Marit Mäesalu (Hg.): Music Inside and Outside the School, Frankfurt am Main 2011, S. 253-264.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2011.