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Engelhardt, Sandra

Was übst du eigentlich, wenn du übst?

Zur Notwendigkeit der Reflexion von Übungen und Übegewohnheiten

Rubrik: Methodik
erschienen in: üben & musizieren 5/2020 , Seite 42

Die Antwort auf die Frage „Was übst du eigentlich, wenn du übst“ scheint im ersten Moment klar: „Na, mein Instrument!“, oder: „Dieses Stück, diese Stelle“, vielleicht auch: „Fingertechnik“, „Artikulation“, „Atmung“. Aber wenn wir uns mit diesen allgemeinen Ant­worten noch nicht zufriedengeben, einen Schritt weitergehen und fragen: „Was denn dabei genau?“ – dann wird’s interessant!

Ist Ihren Schülerinnen und Schülern bewusst, was sie genau mit einer bestimmten Übung trainieren sollen? Müssen sie das überhaupt so genau wissen? – Die Überschrift ist ein wunderbares Beispiel für eine „denkanregende Frage“. Und die Studierenden meiner Methodik-Seminare werden Ih­nen bestätigen, dass ich meine Kurse gern mit solchen Fragen einleite. Denn „selber denken“ ist doch viel besser zum Lernen und Verstehen geeignet, als Merksätze von der Tafel abzuschreiben.
Für mich ist ein wichtiges Ziel des Unterrichts die Befähigung zur Selbsttätigkeit. Damit selbstständiges Üben und Trainieren gelingt, müssen Lernende wissen, was genau mit einer Übung trainiert wird, welche Bewegungen koordiniert werden müssen oder allgemeiner: worauf genau sie achten müssen, damit etwas gelingt. Und was sie tun müssen, damit etwas gelingt. Nach meiner Erfahrung gibt es keine Übung, die „automatisch“ hilfreich ist und für jeden und jede zu einer Verbesserung bestimmter Fertigkeiten führt – einfach nur dadurch, dass sie diese Wunderübung oft und ausdauernd wiederholen. Weil das schon Generationen von Lernenden vor ihnen so gemacht haben. Weil die Übung eben zum Standardprogramm gehört.
Und schließlich stellt sich dabei auch die Frage: Was unterrichtest du eigentlich, wenn du unterrichtest? Sowohl für den Einzelunterricht, aber auch für das Unterrichten von Gruppen sowie für die Proben­arbeit mit einem Ensemble ist es interessant und notwendige Voraussetzung, sich immer mal wieder zu überlegen, warum ich mit meinen Schülerinnen und Schülern bestimmte Übungen mache oder mit meinem Ensemble in dieser und jener Weise probe.

Was üben Sie?

Also beginnen wir mit der Fragerunde bei den eigenen Gewohnheiten: Was üben Sie, wenn Sie üben? Überlegen Sie vorher genau, was Sie heute machen möchten, worauf Sie achten werden? Welche „Trainingseinheiten“ zurzeit wichtig sind? Und spielen Sie sich ein? Warum? Was versprechen oder erhoffen Sie sich davon? Worauf achten Sie dabei? Und was ist anders, wenn Sie sich nicht einspielen?
Schon irgendwie nervig, diese Fragen über eigentlich selbstverständliche Abläufe. Wie bei einem kleinen Kind, das immer nur „Waru-hum?“ fragt. Wir versuchen, geduldig die Zusammenhänge zu erklären, etwa warum ein Vogel fliegen kann, warum Butter auf das Brot geschmiert wird, warum man nicht immer Ferien haben kann… Bis wir es schaffen, das Kind mit etwas anderem abzulenken oder es schlicht keine Lust mehr auf die Fragerei hat. Ein „Das macht man eben so“ wird in der Regel nicht als Antwort akzeptiert und von Erwachsenen auch ungern benutzt.
Seltsamerweise beobachte ich aber genau dies, wenn ich beispielsweise meine Erstsemester nach deren Übegewohnheiten frage. „Einspielen, Technik, Zunge, Tonleitern, Stück…“. Die Nachfrage „Und warum übst du das?“ führt meist zu großer Verwirrung und der Gegenfrage: „Aber macht man das denn nicht so?“
Sicher ist Routine wichtig. Auch Rituale und immer wiederkehrende Übungen haben ihre Berechtigung und sind für den Lernerfolg nötig. Vorausgesetzt, ich bleibe mit wachem Kopf dabei; bin mir bewusst, was ich in diesem Moment üben, trainieren will. Nur so kann ich mein Tun reflektieren und gegebenenfalls verändern.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2020.