Mahlert, Ulrich
Was will ich für wen sein?
Zum beruflichen Selbstkonzept von MusikschulleiterInnen
Mit welchen Personen haben es MusikschulleiterInnen zu tun? Welche Rollen nehmen sie ein? Und gibt es den idealen Musikschulleiter? Ulrich Mahlert diskutiert grundlegende Fragen, die für die persönliche Erarbeitung eines beruflichen Selbstkonzepts als MusikschulleiterIn maßgeblich sind.
Überall dort, wo wir etwas verändern und weiterentwickeln wollen, kommt es darauf an, Ermutigung zu fördern und Entmutigung zu vermeiden. Das gilt für den Umgang mit anderen Menschen wie für den Umgang mit uns selbst. In der pädagogischen Arbeit stellt jede Unterrichtsstunde die Lehrkraft vor diese Forderung: Schülerinnen und Schüler wollen dazulernen, sie wollen im Musizieren ein persönliches Ausdrucksmittel finden, ihre individuellen Potenziale entfalten. Lehrkräfte wollen ihnen dabei helfen. Gerade dann aber, wenn sie sich besonders engagieren und ihre Arbeit auf hohe Maßstäben ausrichten, stellt sich bei manchen SchülerInnen leicht ein Gefühl von Überforderung ein. Und so werden Kräfte eher gehemmt als entfaltet.
Nicht viel anders ist es in Führungspositionen wie denen von MusikschulleiterInnen. Hier geht es darum, Kolleginnen und Kollegen zu stärken und zu ermutigen. Vielleicht noch mehr als im Unterricht ist hier zusammen mit der konstruktiven Einwirkung auf andere der positive Umgang mit mir selbst gefordert – die Entwicklung eines zuträglichen Verhältnisses zu mir selbst, also: Selbstführung. Die Aufgabenbereiche und Anforderungen sind so vielfältig, dass man oft nicht weiß, wie man ihnen gerecht werden soll. Und es gibt eben nicht immer nur Erfolge und positive Rückmeldungen. Jeder, der eine Musikschule oder einen ihrer Bereiche leitet, kennt auch Gefühle von Zweifel und Unsicherheit. Sie bleiben niemandem erspart, der engagiert arbeitet, mit anderen und für andere wirkt, für Ziele einsteht, anderen und sich selbst gegenüber anspruchsvoll ist und sich über die eigene Arbeit definiert.
Die unverzichtbare Aufgabe jedes glaubwürdig und überzeugend handelnden Menschen mit Führungsaufgaben liegt nicht zuletzt darin, eine persönlich stimmige Art des Agierens zu entwickeln. Die grundlegende Voraussetzung dazu ist ein persönliches berufliches Selbstkonzept. Damit meine ich, verkürzt ausgedrückt, ein selbstbestimmtes, wohl erwogenes und den eigenen Möglichkeiten gemäßes Programm für die eigene Berufsausübung. Doch bevor wir zum beruflichen Selbstkonzept kommen, müssen wir über dessen Grundlagen nachdenken:
– Welche prinzipiellen Aufgaben gehören zur Führung einer Musikschule?
– Mit welchen Personengruppen habe ich es als Musikschulleiter vor allem zu tun? Welche Interessen und Erwartungen haben diese Personengruppen?
– Welche Rollen erwachsen aus meinen Aufgaben und aus den Erwartungen der Personengruppen, mit denen ich es beruflich zu tun habe? Wie verhalten sich die Rollen zueinander?
– Wie gehe ich mit der Rollenpluralität und mit Rollenkonflikten um?
– Welche Leitbilder für die Leitung einer Musikschule gibt es? Welche sagen mir zu, welche weniger?
– Gibt es den idealen Musikschulleiter?
Und bei der Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzepts stellen sich folgende Fragen:
– Was ist ein persönliches berufliches Selbstkonzept?
– Was beinhaltet es für Musikschulleiter?
Welche prinzipiellen Aufgaben gehören zur Führung einer Musikschule?
Musikschulen sind Bildungseinrichtungen und kommunale Kulturzentren. MusikschulleiterInnen haben die Aufgabe, ihre Einrichtungen so zu führen, dass sie die Doppelausrichtung auf Bildung und Kultur wahrnehmen und bestmöglich erfüllen können. Wie verhalten sich Bildung und Kultur zueinander? Bildung sei die subjektive Seite von Kultur, hat Theodor W. Adorno bündig formuliert. Demnach gilt umgekehrt: Kultur ist die gesellschaftliche Seite von Bildung. Diese Doppelheit von individualisierender Bildung und kultureller Breitenwirksamkeit erscheint mir als ein Leitideal einer guten Musikschulführung. Musikschulen sind dafür verantwortlich, dem Einzelnen musikalische Bildung zu ermöglichen. Jeder Mensch soll und darf sich nach seinen eigenen musikalischen Bedürfnissen und Potenzialen entfalten. Ebenso sollen Musikschulen aber auch repräsentativ in die Öffentlichkeit ihrer Gemeinden hineinwirken, Menschen zusammenführen und ihnen Musik in vielfältigen Erscheinungsformen vermitteln.
Was sind Bildungsqualitäten des Musizierens? Wann und wodurch sind ästhetische Erfahrungen, die im Musizieren gemacht werden, wertvoll für das Leben unserer Schülerinnen und Schüler? Was ist bildender Musikunterricht? Solche Fragen zu unseren Bildungsaufgaben müssen Dauerthema im Kollegenkreis bleiben. Das Gleiche gilt für Fragen, die unsere kulturellen Aufgaben betreffen: Wie erreichen wir mit unseren Aktivitäten und „Produkten“ möglichst wirkungsvoll die kommunale Öffentlichkeit? Wie „bilden“ wir Gemeinschaften, wie vermitteln wir Musik an unterschiedliche Zielgruppen?
Oft hören wir das Wort „Bildung“ – grammatikalisch gesprochen – vor allem intransitiv, ohne Akkusativ: Der Zweiwortsatz „Musik bildet“ ist das einfachste Beispiel. Gerade als Musikschulleiter tun wir gut daran, uns immer wieder auch die transitiven Möglichkeiten unserer Bildungs- und Kulturarbeit zu vergegenwärtigen, also immer wieder danach zu fragen, was durch sie „gebildet“ wird. Musik und Musizieren bilden die Persönlichkeit unserer Schülerinnen und Schüler, ihre Sinne, ihr Selbstbewusstsein, ihre Urteils- und Kritikfähigkeit, ihre sozialen Kompetenzen, ihren Sinn für Zuhören und Toleranz, ihre Erlebnis- und Genussfähigkeit – und manchmal gar ihren Lebenssinn. Diese Bildungsfunktionen weiten sich ins Kulturelle: Musik und Musizieren bilden Gemeinschaften, bilden Brücken zwischen Menschen, Generationen, zwischen Teilkulturen und Kulturen, summa summarum: Sie bilden einen unverzichtbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Leben einer Gemeinde. MusikschulleiterInnen stehen für dieses Aufgabenspektrum. Es muss ihnen gelingen, auch in der kleinteiligen Alltagsarbeit immer wieder das Bewusstsein für die großen Wirkungsmöglichkeiten von Musikschularbeit aufleben zu lassen.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2018.