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Nastoll, Corina

„We are family“

Ein generationenverbindendes Konzertprojekt an der Sing- und Musikschule Würzburg

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 30

Das im Folgenden beschriebene ­generationenverbindende Konzertprojekt ­entstand aus zwei Gedanken: einerseits Menschen unterschiedlichen Alters durch das gemeinsame Musi­zieren zusammenzubringen, andererseits SchülerInnen, die das Instrumentalspiel größtenteils im Einzelunterricht lernen, mehrstimmiges Musizieren im Ensemble zu ermöglichen. Corina Nastoll ­skizziert Konzeption und Verlauf des Projekts, das sie mit ihrer Querflötenklasse an der Sing- und Musikschule Würzburg durchgeführt hat.1

Es ist kurz vor 14 Uhr an einem Sonntag im Sommer. Gleich beginnt das Schülerkonzert meiner Querflötenklasse. Aber dieses Mal ist es anders: Einige Angehörige und Freunde der SchülerInnen, die sonst gemütlich ihren Platz auf den Stühlen im Saal einnehmen, halten sich gespannt mit ihren eigenen Ins­trumenten neben den FlötistInnen bereit. Und zu den Konzertbesuchern gesellen sich noch wesentlich ältere Menschen hinzu. Es sind PatientInnen der geriatrischen Rehaklinik, in der das heutige Konzert stattfindet.
Alle 31 SchülerInnen meiner Querflötenklasse an der Sing- und Musikschule Würzburg waren eingeladen, an diesem Projekt teilzunehmen. Bedingung war, selbstständig nach Personen aus der Familie bzw. aus dem Bekanntenkreis (z. B. Nachbarschaft, Freunde) zu suchen, mit denen sie gerne Musik machen würden. Wegen der zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Probenzeit wurde die Anzahl der SpielerInnen pro Ensemble auf maximal fünf Personen beschränkt. Die Auswahl der externen MusikerInnen sollte unabhängig davon geschehen, ob diese Personen bereits ein Instrument beherrschten bzw. auf welchem Niveau sie ihr Instrument spielten.2
Hinsichtlich des generationenverbindenden Kerngedankens gab es jedoch eine andere Bedingung für die Zusammenstellung der Gruppe: Zwischen mindestens zwei MitspielerInnen sollte ein Altersunterschied von 20 Jahren oder mehr sein. Mit Blick auf den organisatorischen Aufwand, die Probenzeit sowie die angestrebte Konzertlänge von 45 bis 60 Minuten ohne Pause durften insgesamt nicht mehr als acht bis zehn Ensembles an diesem Konzertprojekt teilnehmen. Für den Konzertauftritt sollten sich die SchülerInnen zusätzlich zu den Mitspielenden noch eine weitere Person aus der Familie bzw. aus dem Bekanntenkreis zur Verstärkung in ihr Team holen, die den Musikbeitrag im Konzert anmoderieren sollte. Um den generationenverbindenden Gedanken weiter durchzuziehen, wurde das Konzert in einer Senioreneinrichtung präsentiert.

Angestrebte Ziele des Projekts

An erster Stelle ging es mir darum, das Mit­einander verschiedener Generationen durch das gemeinsame Musizieren zu stärken und die Beschäftigung mit Musik innerhalb der Familie bzw. im sozialen Umfeld der SchülerInnen anzuregen. Durch die Beteiligung von Personen aus dem sozialen Umfeld der SchülerInnen erhoffte ich mir, die Übe-Motivation der heranwachsenden FlötistInnen zu steigern. Darüber hinaus freute ich mich darauf, meinen SchülerInnen die Möglichkeit zu geben, trotz des Einzelunterrichts, den die meis­ten von ihnen besuchen, kammermusikalische Erfahrungen zu sammeln.
Hinsichtlich des Konzerts rechnete ich im Vergleich zu üblichen Klassenvorspielen mit einer angenehmeren Konzertatmosphäre:
– Aus Sicht der Akteure, weil keine Schülerin und kein Schüler solistisch auf der Bühne stand, sondern alle von nahestehenden Personen beim Auftritt unterstützt wurden.
– Aus Sicht des Publikums, weil sich durch die bunte Zusammenstellung von auftretenden Personen, Instrumenten und Stilen ein sehr abwechslungsreiches und kurzweiliges Konzertprogramm ergeben sollte.
Nicht zuletzt erhoffte ich mir mit dem Konzertprojekt auch eine positive Wirkung meiner Lehrtätigkeit nach außen. Denn durch die gemeinsame Probenarbeit erhielten die beteiligten Eltern, Verwandten und Freunde der SchülerInnen einen detaillierten Einblick in meine Art zu unterrichten. Auf diese Weise öffnete ich externen Personen meine Unterrichtstür und erhoffte mir, dass dadurch die Identifikation der Familien mit der Institution Musikschule gestärkt werden würde.

Erfahrungen aus dem Projekt

Nachdem ich die ersten organisatorischen Hürden hinter mir hatte (inhaltliche und zeitliche Planung des Projektverlaufs, Festlegung des Konzertorts etc.), erhielten alle SchülerInnen meiner Querflötenklasse nach den Weihnachtsferien eine schriftliche Einladung zur Teilnahme am Projekt mit dem Titel „We are family“ sowie das dazugehörige Anmeldeformular. Die Projektidee wurde von den meisten SchülerInnen mit Begeisterung aufgenommen. Schließlich meldeten sich neun Ensembles mit insgesamt 24 mitwirkenden MusikerInnen verbindlich an – darunter waren zwölf SchülerInnen aus meiner Querflötenklasse.
Noch vor den Osterferien ging ich gemeinsam mit den Ensembles auf Literatursuche. Einige SchülerInnen hatten bereits mehr oder weniger konkrete Ideen, anderen Ensembles schlug ich Musikstücke vor.3 Bei vier Gruppen war es aufgrund des spieltechnischen Könnens einzelner Ensemblemitglieder nötig, maßgeschneiderte Arrangements anzufertigen, die zum Teil während der Probenphase noch spezifischer auf die individuellen Fähigkeiten am Instrument abgestimmt wurden.

Die MusikerInnen, die sich die Probenzeit zur regulären Flötenstunde einrichten konnten, lernte ich in den Wochen nach den Osterferien kennen. Mit anderen Ensembles arbeitete ich ausschließlich an drei zusätzlichen Probentagen zusammen, die an Wochenenden im Juni und Juli stattfanden. Die Atmosphäre während der Probenarbeit war äußerst angenehm. Durch die Anwesenheit von vertrauten Personen der SchülerInnen gewann ich oft einen erfrischend anderen Blick auf die einzelnen Schülerpersönlichkeiten. Und natürlich war es möglich, durch die Kammermusik wichtige Grund­lagen des Ensemblespiels zu vermitteln wie zum Beispiel:
– Verbesserung der Intonation,
– gemeinsames Empfinden von Puls, Met­rum und Rhythmus,
– gemeinsames Atmen,
– Einsatz geben,
– Führen und Folgen.
Die Generalprobe fand einen Tag vor dem Konzerttermin zur gleichen Uhrzeit im Konzertraum statt. Die Teilnahme an der Generalprobe war die Voraussetzung für die Mitwirkung im Konzert und besonders wichtig, weil sich die Ensembles nun erstmals gegenseitig kennenlernten. Die Musikstücke wurden in der Konzertreihenfolge vorgetragen und auch die Verbeugung aller Ensemblemitglieder am Ende des Auftritts wurde geübt. Zwischen den einzelnen Musikbeiträgen besprachen wir gemeinsam, welche Umbautätigkeiten nötig waren (z. B. Notenständer auf die richtige Höhe einstellen, Percussion-Ins­trumente bereitlegen, Stuhl für Gitarristin hin- oder wegräumen) und welche Person welche Aufgabe übernehmen konnte. Auf diese Weise halfen alle zusammen, damit der Ablauf reibungslos funktionierte.

Am darauf folgenden Tag war es soweit: Nach einer offiziellen Begrüßung durch eine Mitarbeiterin der Geriatrischen Rehabilita­tionsklinik begann das Konzert mit der Anmoderation des ersten Ensemblestücks. Alle Ensembles traten gleichzeitig mit ihrem Moderator auf. Auf diese Weise hatten die MusikerInnen während der Anmoderation kurz Zeit, sich auf der Bühne zu akklimatisieren, um so den musikalischen Vortrag mit mehr Ruhe zu beginnen. Im Anschluss an das etwa 45-minütige Konzert lud die Geriatrische Rehabilitationsklinik alle Mitwirkenden zu einem Eis in die Cafeteria des Hauses ein. Dies war eine willkommene Gelegenheit, um sich direkt nach dem Konzert über die individuellen Erfahrungen auszutauschen. Einige Ensembles schmiedeten dabei bereits Pläne für ihre nächsten Auftritte auf Familienfeierlichkeiten u. Ä. Andere TeilnehmerInnen baten mich, ein solches Konzertprojekt unbedingt bald zu wiederholen.

1 Die Initialzündung zu diesem Konzertprojekt kam im Frühjahr 2016 durch meine Teilnahme an der Fortbildung „Intergeneratives Musizieren“ an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen.
2 Personen ohne instrumentale Vorerfahrungen sollten mit Orff-Instrumenten, Bodypercussion, Boomwhakers, Singen o. Ä. eingebunden werden. Bei Ensembles mit heterogenen instrumentalen Fähigkeiten sollten passgenaue Arrangements angefertigt werden.
3 Für Gruppen mit heterogenem Spielniveau wurde ich u. a. fündig in: Jörg Sommerfeld: Addizio! Bläserunterricht in Klassen, Gruppen und Ensembles, Wiesbaden 2016.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2021.