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Hölscher, Florian

Wechsel-Beziehungen

Chancen, Empfindlichkeiten, Machtspiele bei Wechseln im ­künstlerischen Instrumentalunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2025 , Seite 06

Ein Wechsel in der Betreuung des Instrumentalunterrichts („Lehrer­wechsel“) kann sinnvoll oder notwendig werden. Grundlage dafür können didaktische oder persönliche bzw. zwischenmenschliche Überlegungen sein. Schwierigkeiten im Umfeld eines solchen Wechsels ergeben sich oft aus genau jenen Feldern ­heraus. Die Tat­sache, dass Lehrverhältnisse auch Machtverhältnisse sind, die sich nicht nur auf den Unterricht erstrecken, wirkt häufig auf problema­tische Weise in Entscheidungen und Pro­zesse hinein.

Über Lehrverhältnisse ist viel nachgedacht worden. Universitäten und Musikhochschulen beschreiben sie oft als Lehr- und Lerngemeinschaften, in denen Lehrende und Studierende gemeinsam Verantwortung übernehmen für das Erreichen von Studienzielen. Vielfach wird gefordert, dass sich pädagogische Führung im Laufe der Zeit hin zu einem Coaching zu verändern hat und schließlich in ein kollegiales Verhältnis übergehen soll. In einem solchen Grundverständnis ist bereits angelegt, dass ein Betreuungsmandat in der Lehre zeitlich begrenzt und in den Kompetenzen beschränkt ist. Warum kommt es dennoch häufig zu Missverständnissen, unguten Situationen oder zu Verwerfungen, wenn es um einen Betreuungswechsel gerade im künstlerischen Einzelunterricht geht?

Einzelunterricht – unverzichtbar, aber nicht grenzenlos

Der Einzelunterricht im Instrumental- und Gesangsbereich ist als wichtige Unterrichtsform in der Ausbildung trotz wirtschaftlichem Druck und manchen Bedenken nach wie vor unangetastet, weil er als besonders gut geeignet angesehen wird, um präzise auf Lernbedürfnisse einzugehen, individuelle Frage- und Problemstellungen intensiv zu behandeln, in einer stabilen und vertrauensvollen Lernatmosphäre am persönlichen Ausdrucksvermögen und an Fähigkeiten zur künstlerischen Äußerung zu arbeiten sowie um eine Entwicklung hin zu spezifischen Profilen zu fördern. Lehrende können direkt und über einen langen Zeitraum einen für eine Person (oder gemeinsam mit dieser) konzipierten Plan verfolgen, der jederzeit überprüft, angepasst, intensiviert sowie im praktischen Musizieren angewandt werden kann. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen – allerdings liegen bereits in den genannten Aspekten unverzichtbare Vorzüge und gewünschte Qualitäten einerseits sowie Schwierigkeiten bis hin zu problematischen Grenzüberschreitungen andererseits nah beieinander. Dazu einige Beispiele:
– Eine erfolgreiche individuelle Betreuung, die sich Feldern wie dem musikalischen Ausdruck oder der spieltechnischen Entwicklung widmet, impliziert ein differenziertes empathisches und diagnostisches Vermögen; Lehrende rühmen sich, Personen „lesen“ zu können. Damit kann allerdings, und sei es ungewollt, eine Abhängigkeit befördert werden, die in einem Lehrverhältnis nicht angebracht ist. Auch kann eine Diagnose falsch und eine Hilfestellung nutzlos sein – wo erhalten die Studierenden eine „Zweitmeinung“?
– Lehrende bringen häufig viel Energie und Einfühlungsvermögen auf, um Studierenden zu helfen, sie leisten Extrastunden, geben vielleicht auch Einblicke in persönliche Erkenntnisse und Erlebnisse: Welchen Anspruch leiten sie daraus ab?
– Gelegentlich begreifen Lehrende die intensive Betreuung im Einzelunterricht dahingehend, dass sie Studierende auch in Bezug auf Lebensplanung und Persönlichkeitsentwicklung beraten und beeinflussen. Woher nehmen sie sich dieses Recht?
– Wenn sich der vereinbarte langfristige Lehr- und Lernweg mühsam gestaltet und aus Sicht der Studierenden zunächst keine spür- und hörbaren Erfolge bringt: Mit welchen Mitteln und auf welchen Ebenen sichern sich Lehrende dennoch Vertrauen oder gar Einfluss und Macht?

Lehrerwechsel – problematische Begleitumstände

Vermutlich haben alle, die diese Zeilen lesen, schon einmal von problematischen, schmerzhaften oder konfliktträchtigen Begleitumständen eines Lehrerwechsels gehört. Zu beobachten sind wiederkehrende Muster, einige seien im Folgenden anhand von dokumentierten oder von teilkonstruierten Begebenheiten skizziert:
– Die Flötenschülerin der Jugendförderklasse einer Hochschule erhält vom Hauptfachlehrer bereits vor der Aufnahmeprüfung ungefragt die Zusage, dass ihr ein Platz in seiner Klasse sicher sei (was, nebenbei bemerkt, gegen Regeln der Wettbewerbsgerechtigkeit und der Studienplatzvergabe verstößt). Als die Schülerin ihrem Lehrer erzählt, dass sie sich auch an einer anderen Hochschule bewerben möchte, weil man dort zusätzlich Traversflöte im Hauptfach studieren kann, reagiert der Lehrer verärgert und widerruft seine Zusage.
– Ein Student hat bereits sechs Jahre im Hauptfachunterricht bei einem Lehrer gelernt und äußert, dass er für den geplanten Master-Studiengang den Studienort wechseln möchte. Der Lehrer ist vor den Kopf gestoßen, schließlich erhält der Student Anrufe von der Ehefrau des Lehrers, die ihn moralisch unter Druck setzt: Er solle bedenken, was ihr Mann alles für ihn getan habe; ob er denn gar kein Gefühl der Dankbarkeit kenne?
– Igor Levit beschreibt in seinem Buch Hauskonzert seine Schwierigkeiten eines Lehrerwechsels innerhalb derselben Institution – nach Levits Ankündigung sagt sein Lehrer: „Dann werde ich die Hochschule verlassen […] und der ganzen Welt erzählen, dass Igor Levit dafür gesorgt hat.“1 Jahre ohne jegliche Kommunikation folgen.
– Der Schüler offenbart seinem Lehrer Pläne zu einem Hochschulwechsel. Der Lehrer reagiert grundsätzlich verständnisvoll, lässt in den verbleibenden Stunden aber keine Gelegenheit aus, die ausgewählte Kollegin zu diskreditieren und ihre Eignung in Frage zu stellen: „Ich hätte mir für Sie ja etwas Besseres und Glanzvolleres gewünscht – aber das ist Ihre Entscheidung.“ Gleichzeitig kündigt er an, in Zukunft sein Netzwerk nicht mehr für die Förderung des Studenten zu nutzen, etwa indem er ihm bekannte Orchestermitglieder nicht mehr auf Probespiele seines „Schützlings“ aufmerksam macht: „Sie glauben doch nicht, dass ich mich jetzt noch für Sie und Ihre Karriere einsetze?“
– Die erfolgreiche Lehrerin an einer Musikschule pflegt eine langjährige Verbindung zu einem Hochschulprofessor, der gut ausgebildete StudienbewerberInnen gerne in seine Klasse aufnimmt. Die jeweiligen Unterrichtskonzepte sind aufeinander abgestimmt. Ein Wechsel ist von langer Hand vorbereitet. Die Schülerin entscheidet sich für ein Musikstudium, wählt aber einen anderen Studienort. Daraufhin wird Druck auch über die Eltern ausgeübt, von „Verrat“ ist die Rede.

Hierarchien und Machtasymmetrien

Im künstlerischen Einzelunterricht führt das Zusammentreffen von ausgesprochen individueller Arbeit mit emotionalen und persönlichkeitsbildenden Elementen einerseits sowie Hierarchie- und Machtkonstellationen andererseits immer wieder zu Schieflagen, die gerade im Zusammenhang mit Lehrerwechseln wenig thematisiert werden. Es kann hilfreich sein, dass sich alle Beteiligten – Lehrende, Lernende, aber auch Verantwortliche in den Ausbildungsinstitutionen – die Hierarchien und die damit verbundenen Machtasymmetrien bewusst machen, um verantwortungsvoll und transparent mit ihnen umzugehen, wo sie nicht veränderbar scheinen.

1 Levit, Igor/Zinnecker, Florian: Hauskonzert, München 2021, S. 132.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2025.