Boeckh, Albrecht
Wechseln Sie die Perspektive!
Überlegungen zur Supervision an Musik(hoch)schulen
Sie merken, dass Ihr anfänglicher Enthusiasmus bei der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern oder den Studierenden verflogen ist. Die Stimmung im Kollegium ist eher angespannt. Von der Verwaltung kommen ständig neue Vorschriften, die Ihre Arbeit erschweren. Sie fragen sich, ob Ihre Tätigkeit an der Musikschule oder Musikhochschule wirklich auf Dauer der richtige Beruf für Sie ist. Hier könnte Supervision helfen, um Konflikte zu lösen, die Zusammenarbeit zu verbessern, neue Perspektiven zu entwickeln und so wieder mehr Freude an der Arbeit zu bekommen.
Das Wort Supervision könnte man mit Überblick übersetzen; es ist der Blick von oben, von außen, der eine neue Perspektive eröffnet und so möglicherweise Wege aus gefühlt ausweglosen Situationen erkennen und beschreiten lässt. Im Gegensatz zum traditionellen angelsächsischen Sprachgebrauch, wo „supervision“ ursprünglich eine interne Kontroll- und Leitungsfunktion darstellte, wird unter Supervision heute allgemein eine arbeitsbezogene Form der externen Beratung für Einzelne, Teams und Gruppen verstanden, die mit Menschen innerhalb unterschiedlicher institutioneller Zusammenhänge arbeiten. Das können Schulen, Beratungsstellen, Jugendhilfeeinrichtungen, Kliniken und andere Einrichtungen sein, in denen pädagogisch, beratend, therapeutisch oder versorgend gearbeitet wird. Supervision bewegt sich dabei im Spannungsfeld: Person – Rolle – Institution.
Ziel der Supervision ist die Reflexion der beruflichen Tätigkeit in ihren verschiedenen Aspekten. Im Vordergrund stehen dabei die Beziehungsaspekte in der Arbeit jener Personen, die sich beraten lassen – den „SupervisandInnen“. Es geht hierbei um die gemeinsame Reflexion und Bearbeitung von Störungen in den Arbeitsbeziehungen zur jeweiligen Klientel,1 zu KollegInnen oder MitarbeiterInnen, um Konflikte und ihre Lösungsmöglichkeiten, um Rollenklärungen innerhalb der Organisation, um Entwicklung und Förderung der Zusammenarbeit, um die Arbeitszufriedenheit, um beruflich bedingte Belastungen, um Über- oder Unterforderungen in der beruflichen Tätigkeit – durchaus auch im Sinne einer „Burnout-Prophylaxe“. Zur Sprache kommen der erlebte Sinn der Tätigkeiten, deren Anerkennung und die aus all diesen Faktoren resultierende Arbeitsmotivation. Somit zielt Supervision auf die Verbesserung der gesamten Arbeitssituation und ergibt in der Summe eine Verbesserung der Arbeitsergebnisse.
Supervision wird in der Regel von externen Supervisorinnen und Supervisoren durchgeführt, die selbst nicht im Kontext der Organisation angesiedelt sind. Dies hat den Vorteil, dass sie nicht der Weisungsbefugnis der internen Hierarchie unterstehen oder in Beziehungsstrukturen der Organisation verstrickt sind. Somit gewährleisten sie den Blick von außen.
Ihre Aufgabe besteht allerdings nicht darin, ihre eigene Einschätzung der Situation als richtige Beschreibung der Wirklichkeit durchzusetzen, sondern die SupervisandInnen dabei zu unterstützen, einen neuen Blick auf ihre Arbeitssituation zu entwickeln.
Aus der Praxis der Supervision
Die Moderation und Bearbeitung von Konflikten ist ein Hauptthema von Supervision. Konflikte sind in der Kommunikation und Zusammenarbeit von Menschen unvermeidlich und positiv betrachtet die Triebfeder für das Finden von sinnvollen Lösungen, die dann von allen Beteiligten getragen werden können. Das Vermeiden von Konflikten würde diese auf die Dauer vertiefen und eine konstruktive Zusammenarbeit unmöglich machen. Diese Grundhaltung ermöglicht in der Supervision ein Vorgehen, bei dem die Akzeptanz von Unterschiedlichkeiten der Sichtweisen, Absichten und Gefühle der Beteiligten nicht als Störung wahrgenommen wird, sondern Ausgangspunkt für die gemeinsame Bearbeitung ist. Die Harmonie ist also in der Konfliktbearbeitung nicht der Beginn, sondern allenfalls das Ziel der Bewegung. Was dies im Einzelnen bedeuten kann, illustrieren die folgenden Beispiele.
Perspektivwechsel wagen
Eine Lehrkraft kommt in Einzelsupervision, weil sie ihre Unterrichtstätigkeit enorm stresst. Vor der Klasse zu stehen, sei für sie ein Gefühl, wie in Feindesland zu sein. Ihre Vermutung, dass die SchülerInnen nur darauf warteten, dass sie einen Fehler mache, bringe sie dazu, enorm viel Zeit – manchmal bis nach Mitternacht – für die Unterrichtsvorbereitungen aufzuwenden. Trotzdem werde sie das Gefühl nicht los, ungenügend zu sein. Folge davon seien inzwischen gesundheitliche Probleme verschiedenster Art. In der Supervision ließ ich sie für die SchülerInnen, von denen sie sich am stärksten bedroht fühlte, Stühle aufstellen. Als sie sich dann gegenüber dieser imaginären Klasse aufstellte, spürte sie den ganzen Druck, der sie immer wieder in Stress versetzt hatte. Anschließend nahm sie auf jedem der Schülerstühle Platz und versuchte, sich selbst aus deren Perspektive wahrzunehmen. Für sie erstaunlich war die Erkenntnis, dass die SchülerInnen ihr gegenüber eher interessiert und positiv eingestellt waren. Als sie anschließend wieder ihre eigene Position einnahm, bemerkte sie eine deutliche Entspannung und auch Lust darauf, wieder zu unterrichten.
Auch wenn die Ursache für die negativen Projektionen dieser Lehrkraft möglicherweise in ihrem biografischen Hintergrund zu suchen sind, brauchte in dieser Supervision die Grenze zur Therapie nicht überschritten zu werden. Die Auflösung der Projektion war durch die Arbeit mit den „leeren Stühlen“ einfach zu erreichen. Hier zeigt sich, dass die Anleitung zum Perspektivwechsel eine der wichtigsten Methoden der Supervision ist.
Organisationsstrukturen bedenken
In einer Fachschule war seit zwei Jahren die Rolle der Schulleitung vakant. Als diese schließlich besetzt wurde, bemühte sich die neue Leitung, die nach ihrer Ansicht fehlenden Strukturen, z. B. genaue curriculare Pläne und Verordnungen für die unterschiedlichsten Bereiche schriftlich festzulegen und regelmäßig zu überprüfen. Das Ergebnis war, dass die Stimmung bei den SchülerInnen sowie im Kollegium zunehmend schlechter wurde. Unmut machte sich breit, und es entstand ein latenter und teils auch offener Widerstand gegen die Vielzahl der Richtlinien und Verordnungen. Dies führte bei der Schulleitung zu einer Verschärfung der Kontrollen. Als schließlich gar nichts mehr ging, schlug der Schulträger eine Teamsupervision vor. Die Supervision machte deutlich, dass die Schule in der Zeit der Vakanz des Leitungspostens durchweg gut funktioniert hatte, da die Kolleginnen und Kollegen die Leitungsaufgaben untereinander aufgeteilt und in regelmäßigen, meist informellen Absprachen für die Koordination gesorgt hatten. Hier traf also eine informelle kollegiale Struktur, die gut funktioniert hatte, auf ein hierarchisches Modell, das durch die Rolle einer verantwortlichen Leitung vorgegeben war und von der Leitung in dieser Weise ausgeübt wurde.
Nachdem die Supervision erreicht hatte, dass Schulleitung und Kollegium die Handlungsweise der jeweils anderen Seite als redliches Bemühen anerkannt hatten, ergab sich als Lösung, dass die in der Zeit der Vakanz der Leitungsstelle informell etablierte kollegiale Leitungsform offiziell anerkannt und als neue Organisationsstruktur formal etabliert wurde. Die KollegInnen wurden in dieser teamorientierten Leitungsform wieder in die Entscheidungen eingebunden und die neue Leitung konnte ihre Leitungsrolle eher als Dienstleitung für das Team im Sinne eines partizipatorischen Führungsstils ausfüllen.
Es wird deutlich, dass es sich in diesem Fall um ein Problem der Organisationsstruktur und des entsprechenden Führungsstils handelte und nicht um persönliche Stärken oder Schwächen der am Konflikt Beteiligten. Auch wenn es sich bei dieser Supervision nicht um Organisationsentwicklung handelt, ist die Reflexion der Organisationsstruktur und ihres Verständnisses durch die Beteiligten ein wichtiges Werkzeug, um Konflikte in Teams oder Organisationen zu bearbeiten.
Eigene Probleme wahrnehmen
Der IT-Beauftragte eines Instituts kam wegen Burnout-Anzeichen in Einzelsupervision. Seine Erklärung der Überforderungssituation bestand darin, dass er sich gegenüber den vielfältigen Wünschen der InstitutsmitarbeiterInnen nicht genügend abgrenzen könne. Er sei eben zu gutmütig. Bei genauerer Analyse seiner Situation erwies sich dieser persönliche Faktor allerdings nicht als Hauptursache seiner Überforderung. Diesen konnte er durch die Einführung von Sprechzeiten auch relativ gut beheben. Als ausschlaggebender für seinen Stress zeigte sich die Einführung eines neuen IT-Systems, mit dem er selbst nur mäßig zurechtkam. Diese Kompetenzlücke hatte er aus Sorge, sein zeitlich begrenzter Vertrag würde nicht verlängert werden, gegenüber seiner Vorgesetzten verschwiegen. Das Offenlegen des Problems und daraufhin die Genehmigung einer Schulung erwies sich als die richtige Lösung.
Auch wenn hier eine sachlich-fachliche Anleitung letztlich die Problemlösung darstellte, ist diese selbst nicht Gegenstand der Supervision. In diesem Fall war die Ermutigung ausschlaggebend, offen zu seinen Problemen zu stehen.
Anhand der drei Fallbeispiele ist zu erkennen, dass Supervision als methodische Anleitung zur Selbstreflexion der eigenen Tätigkeit zu verstehen ist, bei welcher die Sach- und Fachkenntnis in erster Linie bei den SupervisandInnen liegt oder, wenn nötig, von Fachleuten eingeholt werden muss. Diese Selbstreflexion bezieht sich dabei nicht nur auf das professionelle Handeln, sondern – wie oben schon gesagt – vor allem auch auf die Beziehungen innerhalb des Handlungskontextes: auf die Beziehungen der SupervisandInnen innerhalb der Arbeitsteams sowie auf die Beziehung zu Vorgesetzten und unterstellten MitarbeiterInnen, zu Personen außerhalb des institutionellen Rahmens wie z. B. Eltern im schulischen Bereich oder zu externen Personen, z. B. der lokalen Politik.
1 Allgemein spricht man in der Supervision von Klientinnen und Klienten der SupervisandInnen. Im Kontext der Musikschulen und Musikhochschulen sind dies SchülerInnen und Studierende.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2020.