Fenner, Sören

Welche Kultur wollen wir?

Die Initiative „art but fair“ kämpft für angemessene Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen in den Künsten

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

Es war eigentlich nur der Impuls, dass es „irgendwann reicht“, so Johannes Maria Schatz, Vorsitzender von „art but fair“ über die Gründung der Initiative. Seine Freundin, eine Musical-Darstellerin, hat­te wieder einmal von einem Theater ein so lächerlich niedrig dotiertes Arbeits­angebot bekommen, dass sie es ablehnen musste, obwohl es sie künstlerisch gereizt hätte.

Nach dieser Erfahrung setzte sich Johannes Maria Schatz an den Computer und schrieb sich auf Facebook alles von der Seele. Was zunächst als persönliche Wut-Therapie gedacht war, entwickelte sich in kürzester Zeit zum Sturm: Seine Seite wurde tausendfach „geliked“, Hunderte von KünstlerInnen bestätigten die nega­tive Erfahrung und berichteten von eigenen schlimmen Erlebnissen.
Nun ist es das eine, sich aufzuregen und „alles mal rauszulassen“. Lösungen ent­stehen dadurch aber nicht. Deshalb ging Schatz einen Schritt weiter. Er suchte sich Gleichgesinnte und gründete mit ihnen den Verein „art but fair“. Der Verein setzt sich für faire Arbeitsbedingungen sowie angemessene Gagen in den Darstellenden Künsten und der Musik ein.
Das ist keine leichte Aufgabe. Denn die Verhältnisse, unter denen KünstlerInnen und DozentInnen in den Darstellenden Künsten und der Musik arbeiten, sind schlecht. Dies ist eigentlich überraschend, denn der größte Geldgeber in diesem Bereich ist die Öffentliche Hand, also Kommunen, Länder und der Bund. Und so sollte man meinen, dass diese Geldgeber, die ja auch z. B. die Stadtreinigung, den Straßenbau und die öffentliche Verwaltung finanzieren, anständige Vergütungen bezahlen und gerechte Arbeitsbedingungen ermöglichen.
Dem ist nicht so. Vielmehr arbeiten Künst­lerInnen und Kunst-DozentInnen in permanenter Unsicherheit mit befristeten Verträgen. Sie arbeiten als akademisch ausgebildete SpezialistInnen für Stundensätze, für die ein Handwerker nicht einmal sein Werkzeug in die Hand nähme. Sie sind gezwungen, Arbeitsverträge anzunehmen, die nicht den Gesetzen entsprechen – z. B. auf Honorarbasis zu arbeiten, obwohl ganz klar ist, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handelt. Und falls sie unbequeme Fragen stellen, wird damit gedroht, dass auch ein anderer den Job zu den genannten Konditionen machen würde. Und das stimmt sogar meistens, denn im Bereich Kunst und Kultur hat die Öffentliche Hand das Monopol – und bestimmt daher die Bedingungen.

Wollen wir so ein „Kulturland“ Deutschland?

Unsere Gesellschaft leistet sich einen Kulturbereich, der in vielerlei Hinsicht dem Turbo-Kapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts ähnelt: starke Hierarchien, geringe Möglichkeiten der Partizipation, Fokus allein auf das Endprodukt, der Weg dorthin spielt keine Rolle. Wollen wir wirklich so eine Kultur? Wollen wir wirklich, dass unsere KünstlerInnen in der Darstellenden Kunst und der Musik so arbeiten? Wie kann ich einem Theater glauben, das in seinen Aufführungen Werte vertritt, die es im eigenen Betrieb nicht beachtet?
„art but fair“ hat 2015 gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Kulturpolitischen Gesellschaft in einer Studie die Missstände bei den Arbeitsbedingungen in den Darstellenden Künsten und der Musik untersuchen lassen. Dazu wurden 2635 Kunstschaffende befragt. Vier von fünf ­Befragten gaben an, von schlechter Vergütung, drohender Altersarmut und einer unsicheren Beschäftigungssituation betroffen zu sein. 60% beklagten die Unvereinbarkeit von Familie und ihrem künstlerischen Berufsleben. Das sind schlimme Erkenntnisse für das Kulturland Deutschland.
Bei „art but fair“ setzen wir uns dafür ein, dass sich das ändert. Kunst braucht Freiheit. Zunächst einmal Angst-Freiheit bei den Arbeitsbedingungen und eine angemessene Vergütung. Wir haben dazu klare Positionen: Nicht nur das Ergebnis zählt – auch der Weg dorthin muss stimmen. Wenn es nicht möglich ist, unter angemessenen Bedingungen Kunst zu produzieren, dann muss darauf verzichtet werden – oder es muss mehr Geld bereitgestellt werden. Es kann nicht sein, dass wir auf dem Rücken der KünstlerInnen Kunst produzieren.

Zertifizierung fairer ­Arbeitsbedingungen

Dies zu überprüfen, ist Sache der Geldverteiler – also der Kommunen und Länder. Es reicht nicht, zu budgetieren und Ziele zu vereinbaren. Man muss auch kont­rollieren, ob die Ergebnisse zu Bedingungen hergestellt werden können, die unsere Gesellschaft als „fair“ definiert hat – und die in anderen Bereichen völlig selbstverständlich sind. Wir fordern daher, alle Kulturinstitutionen, die Steuermittel erhalten, zu zertifizieren. Das bedeutet, dass dort – wie beim TÜV – eine regelmäßige Überprüfung der Arbeitsbedingungen stattfindet. Die Mittelvergabe wird dann an die Erteilung einer Plakette geknüpft. Auf diese Weise hätten die Leitenden von Kulturinstitutionen ein hohes Interesse daran, ­angemessene Arbeitsbedingungen zur Verfügung zu stellen. „art but fair“ ist gerade dabei, gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main die Kriterien eines solchen Zertifikats zu erforschen.

Eigenverantwortung der ­Künstlerinnen und Künstler

Aber auch die KünstlerInnen haben eine Eigenverantwortung, die sie nicht genügend wahrnehmen. Würden sie sich zusammenschließen und gemeinsam in Gewerkschaften oder Vereinigungen dafür sorgen, dass sich ihre Situation verbessert, würde sich vieles ändern. Ein Beispiel dafür sind die OrchestermusikerInnen. Sie haben einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von über 90%. Dadurch ist ihre Gewerkschaft, die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), stark. Das hat dazu geführt, dass niemand im Theater bessere Arbeitsbedingungen und eine so hohe Vergütung hat wie OrchestermusikerInnen. DarstellerInnen hingegen haben einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von unter 20%. Daher verdient auch ein Solo-Trompeter doppelt so viel wie ein Solo-Sänger und hat auch noch eine wesentlich kürzere Arbeitszeit.
Es ist noch ein langer, steiniger Weg zu besseren Arbeitsbedingungen in der Darstellenden Kunst und der Musik. Aber „art but fair“ hat in den vergangenen Jahren – gemeinsam mit anderen Vereinigungen wie dem ensemble-netzwerk – einen hohen Aufmerksamkeitsgrad in den Medien und bei den Akteuren erreicht. Und auch in der Politik gibt es ein wachsendes Bewusst­sein für diese Themen und damit eine Bereitschaft zur Veränderung.

Wie es besser gemacht werden könnte

Zuletzt noch ein Best-Practice-Beispiel: Der Bundesverband Freie Darstellende Kunst hat sich 2015 selbst eine Honoraruntergrenze auferlegt. Das war deshalb ein großer, mutiger Schritt, weil in diesem Verband viele Theaterleitende und Auftraggeber sitzen, die die Honorare von ihren schmalen Budgets bezahlen müssen, und weil auch den KünstlerInnen im Verband klar war, dass durch die Honorar­untergrenze weniger Projekte in einer Kommune gefördert werden würden, es also weniger Arbeit gibt. Trotzdem haben sie sich dafür entschieden, weil es richtig, wichtig und fair ist, den teilnehmenden KünstlerInnen an einer Produktion ein Mindestmaß an finanziellem Ausgleich für ihre Arbeit zu ermöglichen.
Inzwischen haben viele Kommunen die Honoraruntergrenze akzeptiert und umgesetzt. In Projektanträgen darf ein Antragsteller seinen KünstlerInnen nicht weniger bezahlen, sonst wird der Antrag nicht bearbeitet. Das führte für kurze Zeit tatsächlich zu einer Verringerung der Produk­tionszahlen. Inzwischen jedoch haben viele Kommunen ihre Budgets erhöht, um trotz Einhaltung der Honoraruntergrenze wieder mehr Produktionen anbieten zu können. Es geht also. Man braucht nur gu­te Argumente, Mut und Zeit.