Bonz, Tobias
Welchen Fingersatz soll ich wählen?
Ein Praxisbeispiel aus den Etüden des Cellopädagogen Justus Johann Friedrich Dotzauer (1783-1860)
Beim Musizieren auf einem Streichinstrument stellt sich die Frage des Fingersatzes immer wieder neu. Meist stehen dabei künstlerische oder instrumentaltechnische Überlegungen im Vordergrund. Doch gibt es auch eine historische Dimension, die in diesem Beitrag im Fokus steht.
Der Fingersatz beim Streichinstrumentenspiel beeinflusst künstlerische Aussagen und wird bei fortgeschrittenen Lernenden für die bestmögliche Darstellung der musikalischen Linien gewählt. Andererseits kann die Wahl des Fingersatzes im Lernprozess gezielt eingesetzt werden, um besondere Finger-, Hand- und Armbewegungen zu lehren und zu lernen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf einen dritten Bereich bei der Frage der Wahl des Fingersatzes. Denn neben instrumentaltechnischen und künstlerischen Gründen sollte eine historische Dimension bedacht werden, da in unterschiedlichen Zeiten völlig verschiedene Ausgangspositionen die Wahl des Fingersatzes beeinflussten.
Bedeutung des Lagenwechsels
In der Streicher- und besonders der Cellopädagogik1 bestand bis etwa um das Jahr 1800 eine generelle Maxime, die das Spiel in gleichbleibenden Lagen bevorzugte und dementsprechend Saitenübergänge in Kauf nahm, um Lagenwechsel zu vermeiden. Insofern findet man in den Lehrwerken dieser Zeit wenig oder keine Informationen zur Ausführung der Lagenwechsel. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich dies und Homogenität im Klang – also das Spiel auf ein und derselben Saite, welches durch Lagenwechsel erreicht wird – wurde nach und nach als ästhetischer Wert angestrebt. Dementsprechend räumen die Instrumentalschulen am Ende des 19. Jahrhunderts der Übung des Lagenwechsels mehr und mehr Raum ein.
Dies ist speziell beim Cellospiel wichtig, da hier innerhalb einer Griffstellung (Lage) von der Hand nur eine Terz gespannt werden kann – im Gegensatz zur Quartspannung bei Geige und Bratsche.2 Über die Bedeutung des Lagenwechsels bestand anschließend im 20. Jahrhundert weitgehend Einigkeit, jedoch lässt sich in den vergangenen Jahren bei Popularmusik eine Tendenz erkennen, welche die Bedeutung des Lagenwechsels wieder einschränkt und andere klangliche Werte in den Vordergrund stellt.
Schwierig ist die Entscheidung des Fingersatzes in Zeiten des Übergangs, des Umbruchs der Konventionen, wie etwa beim Repertoire in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bereits früh nach der Gründung des Pariser Konservatoriums (1795) finden sich in Lehrbüchern für Cello explizite Hinweise darauf, dass aus klanglichen Gründen Saitenwechsel innerhalb einer Melodie möglichst vermieden und somit die Lage gewechselt werden sollte (etwa bei Joseph Muntzberger 1802).3 Gleichzeitig lehrte die richtungweisende Celloschule von Jean-Louis Duport (1805) mit den dort im Anhang befindlichen 21 Etüden anhand zahlreicher Beispiele das Spiel in gleichbleibenden Lagen auch innerhalb einer Melodie. Verallgemeinern und in den Lehrwerken nachweisen lässt sich jedoch eine „moderne“ Tendenz erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Spieltechnik und Ästhetik der Beethoven-Zeit
Was sagt uns dieser Sachverhalt für den heutigen Zugang zum Repertoire der Beethoven-Zeit? Sicherlich ist es bei einem historisch genauen Blick auf unser Standardrepertoire der Spätklassik und Frühromantik hilfreich wenn nicht notwendig, die damalige Klangästhetik zu bedenken. Dabei sollte neben dem Vibrato und der Bogengeschwindigkeit, um nur zwei Unterschiede zwischen damaliger und heutiger Streichertechnik zu nennen, auch die Wahl des Fingersatzes bedacht werden, die – wie bereits angedeutet – beim Cello wegen der auf eine Terz beschränkten Handspannung allgegenwärtig ist.
1 Der folgende Beitrag bezieht sich auf die Cellopädagogik, es gibt aber durchaus Parallelen zu den anderen Streichinstrumenten.
2 Der Kontrabass entwickelte erst nach und nach seine solistischen Aufgaben, die selbstverständlich auch die Lagenwechselproblematik berücksichtigten.
3 abgedruckt in: Bonz, Tobias: Barockcello: Ein Lehrbuch für fortgeschrittene Schüler, Lehrer und interessierte Laien, Beeskow 2017, S. 113.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2024.