Kinzler, Burkhard

Wenn alle Brünnlein swingen

Volks- und Studentenlieder zwischen Jazz, Latin und Moderne für gemischten Chor a cappella

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 58

„Können wir nicht mal ’was Cooles singen?“ Gemeint ist damit in der Regel etwas auf Englisch; nach Möglichkeit zuvor performed durch eine eher weniger bekleidete Pop-Ikone einschließlich ihrer technisch wie für ein Raumfahrtkommando hochgerüsteten Bühnencrew. Das ist coole Musik. Aha?! Und wer kennt eigentlich noch deutschsprachige Volkslieder?
Nun ist das ja so eine Sache mit der Tradition: In diesem Fall haftet dem Volksliedgut ein Schatten an, der sich durch die folgenreiche Geschichte der Deutschen nicht so leicht abschütteln lässt. Es gibt die vielen Bilder volksliedsingender BDM-Mädchen, Konnotationen mit schwerstem Missbrauch unter den Nationalsozialisten, die es jahrzehntelang unmöglich gemacht haben, Lieder wie Wenn alle Brünnlein fließen zu singen. Allenfalls parodistische Streifzüge durch die Volksliedlandschaft fanden ihre Liebhaber – wer hätte nicht als junger Chorist mit viel Vergnügen Siegfried Ochs’ oder Franz Schöggls Versionen der Schubert’schen Forelle im Stile diverser Komponisten gesungen. Allein, wer kennt heute im nichtprofessionellen Nachwuchsbereich Mozart oder Schubert noch so genau, dass er den feinsinnigen Witz an diesen Kabinettstückchen verstehen könnte?!
Musik kann neue Türen öffnen, Zugänge schaffen, miteinander verbinden: Der vorliegende Band verjazzter Volkslieder bietet einen geradezu idealen Einstieg in die Welt der alten Lieder. Natürlich muss der gemischte Chor, der sich diesem gut liegenden und mitreißend komponierten Programm stellt, versiert im A-cappella-Singen sein, sollte trotz häufiger Stimmteilungen und damit verbundenen stiltypischen Dissonanzen, Blue Notes, Chromatik sattelfest im Stimmhalten sein.
Es ist auch kein Schaden, wenn diese Sammlung wunderbarer Kleinode nicht die erste Aus­einandersetzung mit Jazz, Latin oder Moderne darstellt. ChorsängerInnen sind jedenfalls gut beraten, sich auch mal das eine oder andere Big-Band-Arrangement zu Gemüte zu führen, bevor sie sich an ein zunächst „harmlos“ erscheinendes Stück wie Als wir jüngst in Regensburg waren in der Partita-Fassung heranwagen. Aber nur los: Eine Fülle intelligenter Stücke wartet darauf, in Angriff genommen zu werden! Die Kompositionen haben Witz, Respekt vor dem tradierten Liedgut – ohne Staub und „falsches Pathos“ (Vorwort) – und musikantisches Denken und sind bestens geeignet, um sowohl den Ausführenden als auch dem Publikum mit Verve Lust auf die Lieder zu machen!
Burkhard Kinzlers Anliegen, ein junges Publikum anzusprechen, lässt sich sicher mit einem ambitionierten Vokalensemble verwirklichen. Vergnüglich wird das Proben, die „Aha-Effekte“ groß, wenn man auch durch die Klangwelten der Originale streift und sie im Konzert gegenüberstellt. Das wäre echt cool!
Christina Humenberger