© Bernhard Zingler

Holak, Regina

Wenn die Tonleiter Musik macht …

Lernen aus Sicht der Begeisterung

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 30

Als Lehrkraft ist man immer auf der Suche: Wie kann ich meine Schüle­rInnen beim Lernen unterstützen? Wie schaffe ich Abwechslung? Und vor allem: Wie kann ich die natürliche Musizierfreude mit dem notwendigen Üben von Technik verbinden? Die folgenden Über­legungen beziehen sich auf den Flöten-Anfangs­unter­richt mit Kindern, sind aber durchaus auf andere Melodieinstrumente übertragbar.

Sich eine Fremdsprache anzueignen, ist mit dem Lernen von Vokabeln verbunden. Doch um sich umfassend ausdrücken zu können, ist das bloße Zusammensetzen einzelner Wörter zu Sätzen zu wenig. Erst durch das Üben typischer Redewendungen kann eine neue Sprache zu einem vertrauten Zuhause werden. In der Sprache der Musik wären unter Redewendungen wohl Tonabfolgen zu verstehen, die dem Großteil von Stücken zugrunde liegen: Tonleitern in den verschiedensten Tonarten, Formen und Mustern, Triller, Schlusswendungen – die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen.
Im April 2012 folgte ich mit großem Interesse dem Vortrag „Bildung der Zukunft aus Sicht der Hirnforschung“ des Neurobiologen Gerald Hüther. Er erläuterte lebendig, wie Lernen mit Begeisterung im Gehirn selbst erzeugtes Doping verursacht. Es werden genau jene Stoffe produziert, die für Wachstums- und Umbauprozesse von neuronalen Netzwerken gebraucht werden. Kurz gesagt: Das Gehirn entwickelt sich so, wie und wofür es mit Enthusiasmus benutzt wird. Begeisterte SchülerInnen sind motiviert. In weiterer Folge ließe sich ableiten, dass Motivation die Grundlage dafür ist, dass zu Hause geübt wird. Daraus entsteht im Normalfall ein Lernerfolg, der sich wieder anregend auf die Begeisterung auswirken wird: Ein positiver Rückkopplungsprozess entsteht.
Doch welche SchülerInnen lernen schon mit Begeisterung Vokabeln und Redewendungen? Und das auch noch nach einem langen Schultag und anstrengenden Hausaufgaben? Gerald Hüther beschrieb anschaulich, wann eine Fremdsprache mit Begeisterung erlernt wird: Verliebt man sich z. B. in einen anderssprachigen Menschen, wird diese Sprache zum persönlichen Anliegen. Das Gehirn stellt durch die Intensität des Gefühlssturms unglaubliche Ressourcen zur Verfügung.
Wie lässt sich das auf den Instrumentalunterricht anwenden? Wenn SchülerInnen von Mu­sikstücken begeistert sind, wachsen ihnen Flügel. Das Üben wird zur Herzenssache, Hürden werden lediglich als Herausforderung gesehen. Deshalb stellte ich mir die Frage, ob es möglich sei, Tonleiterübungen, Dreiklangszerlegungen und schwierige Tonverbindungen nicht nur isoliert in Form von technischen Studien und Etüden zu üben. Ich wollte herausfinden, ob es zielführend sein kann, mit Hilfe von entsprechend strukturierten Instrumentalstücken die notwendige Fingertechnik zu trainieren und auf diese Weise eine Motivationslücke zwischen dem Erlernen von Musikstücken (Begeisterung) und dem Üben von Technik (Pflicht) zu schließen.

Die Herausforderung

Ich beschloss, Flötenstücke zu schreiben, die ich gezielt mit dem unerlässlichen Üben von Fingertechnik verbinden wollte. Dabei galt es, einige Fragen zu klären:
– Welchen Tonumfang sollen die Instrumentalstücke haben?
– In welchen Tonarten sollen sie stehen?
– Welche Länge sollen sie haben?
– Wie sollen die Stücke geordnet sein?
– Welche Taktarten sollen vorkommen?
– Welche rhythmischen Anforderungen möch­te ich stellen?
– In welchem Schwierigkeitsgrad soll die Klavierbegleitung sein?
– Welche technischen Herausforderungen sol­len besonders trainiert werden?
Haben junge FlötenschülerInnen die ersten Hürden überwunden und eine Flötenschule zur Gänze durchgearbeitet, so findet man eine heterogene Gruppe vor: Zunächst gibt es jene, denen das Überblasen in die zweite und vielleicht sogar das Erklimmen der dritten Oktave leichtfällt. Andere haben ihren Flötenansatz und die Luftführung noch nicht so weit entwickelt, dass das zweite Register klanglich ausgeglichen geblasen werden kann. Und manche Kinder haben noch mit lesetechnischen bzw. feinmotorischen Problemen zu kämpfen. Die weiterführende Literaturauswahl wird dadurch zur Herausforderung. Für diesen Übergang ist daher ein großes Auffangbecken wichtig, das möglichst viele Bedürfnisse abdecken kann. Ich ging daher von folgender Basis aus:
– Tonumfang d’ (tiefster Ton der kindgerechten Waveline-Flöten ohne Fußstück) bis g”,
– kurze Stücke,
– vergrößerte Notenschrift,
– rhythmisch einfach gehalten,
– schnellster Notenwert ist die Achtelnote,
– Stücke im 3/4-, 4/4- und 6/8-Takt.
Folgende technische Anforderungen wollte ich in Melodien verpacken:
– Durtonleiterabschnitte ab drei Tönen in unterschiedlichen Mustern,
– Dreiklangszerlegungen,
– Terzentonleitern,
– Oktavsprünge,
– schwierige Griffverbindungen.

Der erste Versuch

Meinem ersten Tonleiterstück liegt die vertraute Fünftonleiter von Alle meine Entchen zugrunde:

Regina Holak: Auf die Leiter! © Wien 2019, Musikverlag Doblinger

Die beiden Viertel­noten am Ende des ersten Takts bieten die Möglichkeit zu atmen und teilen die Tonleiter in zwei Gruppen. Das erleichtert gerade für den Anfängerbereich das Erfassen von Mustern und das Üben von Abschnitten. Die zwei schwierigen Griffwechsel von c” auf d” und weiter zum e” werden dadurch voneinander getrennt. Mit der Achtelfigur zu Beginn des zweiten Takts versuche ich einen melodiösen Übergang für die „Rückreise“ zum Anfangston und Beginn der Tonleiter zu schaffen:

Regina Holak: Auf die Leiter! © Wien 2019, Musikverlag Doblinger

Die am Ende des dritten Takts und am Beginn des Einser-Schlusses aus vier Achtelnoten bestehenden Figuren stellen bereits größere technische Anforderungen auf dem Weg zum Grundton dar.

Hörbeispiel: Die eilende Ente

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2020.