Borges, Yara

Wie beurteile ich eine Klavierschule?

Praktischer Leitfaden für den Klavierunterricht

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2020
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 57

Wie finde ich für meinen Unterricht die ideale Instrumental- oder Gesangsschule? Diese Frage hat sich sicher jedem Musiklehrenden schon einmal gestellt – spätestens dann, wenn die Unterrichtspraxis verdeutlicht, wie unterschiedlich die Bedürfnisse, Interessen und Fähigkeiten von Lernenden sind. Yara Borges möchte mit ihrer Publikation für das Fach Klavier ein „Werkzeug mit Praxisbezug“ anbieten, um Instrumentalschulen kritisch zu beleuchten.
Nach ersten theoretischen Überlegungen (Was ist eigentlich eine Klavierschule? Welche Bedeutung hat sie für Lehrende und Lernende?) stellt Borges 50 durchaus praxisnahe und leicht verständlich als Fragen formulierte Kriterien als Hilfe bei der Analyse von Klavierschulen vor, wobei sie die Fragen in acht recht schlüssig eingeteilte Unterkategorien wie „pädagogische Hinweise“ oder „Repertoire“ unterteilt und erläutert, wie diese ihrer Ansicht nach idealerweise umgesetzt sein sollten. Dabei fehlt leider jeder Hinweis auf die Altersgruppe oder Unterrichtsform, jedoch lässt sich mit der Zeit aus ihren Antworten am ehesten ein Bezug zum Einzelunterricht mit jungen SchülerInnen ableiten.
Anhand der aufgestellten Kriterien nimmt Borges die vier meistverkauften Klavierschulen genauer in den Blick: Europäische Klavierschule, Wir musizieren am Klavier, Rico-Klavierschule und Russische Klavierschule. Allerdings können die Verkaufszahlen aus dem Jahr 1999, die zu dieser Auswahl geführt haben (erhoben für ihre Diplomarbeit), mehr als 20 Jahre später nicht mehr als repräsentativ gelten, da inzwischen zahlreiche neue Schulen oder aktualisierte (bzw. um CDs ergänzte) Auflagen den Markt erobert haben. Wer eine Analyse neuerer Klavierschulen erhofft, wird also enttäuscht, auch wenn z. B. die Russische Klavierschule sicher nach wie vor ein „Dauerbrenner“ ist.
Die Analysen der Schulen selbst schwanken im Grad der Differenzierung und Reflexion zwischen einfacher analytischer Bestandsaufnahme und Wertung in Bezug auf die von Borges mitgedachte Zielgruppe junger SchülerInnen. So nimmt die Autorin bisweilen wie bei der Betrachtung von Repertoire und Vierhändigspiel nur eine quantitative Erfassung vor. Wünschenswert wäre bei diesen wie auch anderen Kriterien jedoch eine qualitative Einordnung – vor allem mit Blick auf unterschiedliche Lerntypen, Zielsetzungen, Altersgruppen oder Unterrichtsformate.
Denn die eine ideale, ausgewogene Schule, die sich immer verwenden lässt, gibt es sicher nicht und wird es wahrscheinlich auch nie geben. Es bedarf der individuellen Betrachtung von Kategorien, angepasst an den oder die Einzelne. Dafür lassen sich Borges’ Fragen sicherlich mit einigen Ergänzungen sinnvoll nutzen, gerade in Bezug auf den frühen Anfangsunterricht, auf Partner- und Gruppenformate, mit Blick auf Erwachsene und Senioren sowie auf digitale Ergänzungsmaterialien wie Klangbeispiele oder Mitspielsätze.
Anne Fritzen