© Peter Spotka

Polziehn, Julia

„Wie eine zweite Familie“

Der Fachbereich Musiktheater an der Musikschule der Stadt Krefeld

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 34

Lagebericht Anfang 2020: Lange Wartelisten, kontinuierlich wachsende Kinder- und Jugendensembles und – um diese zu regulieren – lange Anmeldefristen für die Bewerbung zur Teilnahme an einer Produktion. Ein regelrechter Ansturm auf die Vorstellungen des Musiktheaters. Aktuell wurde die Obergrenze der Mit­gliederzahlen beider Ensembles von 65 auf 70 Kinder und Jugendliche erhöht…

Von einer solch rasanten Entwicklung und derart großem Zuspruch hätte ich vor fünf Jahren, als ich meine Arbeit als Leiterin des Fachbereichs Musiktheater an der Musikschule der Stadt Krefeld aufgenommen habe, nicht zu träumen gewagt. Groß ist sie geworden, unsere Musiktheaterfamilie, sehr groß!

„Das Musiktheater ist für mich wie eine zweite Familie. Ein Ort, an dem wir alle miteinander Spaß haben und das tun, was wir lieben: Singen, Tanzen und Spielen!“ (Louisa, 15 Jahre)

Freitagnachmittag, 16 Uhr: Mit meinem vollbeladenen Musiktheater-Lastenfahrrad, das die Kinder nach der Namensgeberin unserer aktuell laufenden Musiktheaterproduktion auf den Namen Wilma getauft haben, fahre ich über die Brücke, die über den Wassergraben auf den Hof unserer Musikschule führt und werde mit großem „Hallo!“ lautstark empfangen. Es herrscht „Freitagsstimmung“: fröhlich, temporeich, turbulent. Für gewöhnlich wird in der Probenphase bereits auf dem Hof gesungen, es werden noch rasch ein paar Tanzschritte geübt, man geht den Text der anstehenden Probe gemeinsam durch, spielt Fangen, kichert und lacht, je nach Altersgruppe in den verschiedensten Tonlagen.
Heute liegt eine besondere Spannung in der Luft. Das Treffen zur Vorstellung unserer nächsten Produktion, deren Arbeitsphase Ende Februar startet, beginnt eigentlich erst um 17 Uhr, viele Ensemblemitglieder haben es aber zu Hause nicht mehr ausgehalten, sind neugierig, worum es im neuen Stück gehen wird. Es ist die vierte Eigenproduktion, die ich gemeinsam mit meinem Kollegen Markus Giesen geschrieben habe. Ich liefere ihm eine Idee, eine Geschichte und äußere Liedwünsche ganz nach den Bedürfnissen meiner jungen Stimmen; er komponiert in ihrem Sinne, dann texte ich auf die Melodien. Wenn die Zusammensetzung des neuen Ensembles grundsätzlich feststeht, schreibe ich das Lib­retto.
Wilde Gerüchte über Inhalt und Musik kursieren schon seit Wochen, ein paar Brocken habe ich ihnen bereits hingeworfen: Victor oder: Vom Jungen, der nicht singen durfte wird es heißen. Es spielt in zwei Welten, der realen und einer fantastischen. Es gibt 18 Gesangsnummern, neun teils mehrstimmige Solo- und Ensemblelieder unterschiedlicher Stilrichtungen und neun Solfège-Nummern „magischen“ Charakters, mehr darf an dieser Stelle nicht verraten werden. Die Geschichte kennen sie in groben Zügen, aber heute wollen sie viel mehr erfahren: Was für Solorollen gibt es für das Jugendensemble, welche Aufgabe bekommen die Mitglieder des Kinderensembles, wie klingen die Lieder, wovon handeln sie? Und ganz wichtig: Wer ist noch dabei und wer ist neu in welchem Ensemble? Fragen über Fragen eines Ensembles, das aus rund 70 Kindern und Jugendlichen besteht, erfüllen den Helmut-Mönkemeyer-Saal der Musikschule, den die Mitglieder des Fachbereichs Musiktheater in einer an eine Übernahme erinnernden Wortwahl Theatersaal oder kurz: Theater nennen.

Organisation des Fachbereichs

Sein eigentlicher Name erinnert an den Begründer der Musikschule: Helmut Mönkemeyer. 1905 geboren, studierte er zunächst Architektur und war Mitglied eines studentischen Motettenchors, mit dem er 1925 eine Konzertreise unternahm, die ihn dazu bewog, dieses Studium abzubrechen, um an der Akademischen Hochschule für Musik, der heutigen Universität der Künste in Berlin Musik zu studieren. Er begann seine berufliche Laufbahn als Horn- und Musiklehrer und erhielt 1934 den Auftrag, in Krefeld eine Musikschule zu gründen und aufzubauen.
Beispiellos war sein Einsatz, um durch den Zweiten Weltkrieg verarmten Kindern und Jugendlichen das Erlernen eines Instruments zu ermöglichen und über das Singen Zugang zur Musik zu verschaffen. Sein Geist prägt das Miteinander von Lehrkräften und SchülerInnen an der Krefelder Musikschule bis heute und schlägt sich in der Arbeit des Fachbereichs Musiktheater ganz besonders deutlich nieder.

„Seitdem ich im Musiktheater bin, kann ich mich an keine einzige Probe erinnern, die mir nicht Freude bereitet, die ich nicht mit einem Lächeln im Gesicht verlassen hätte. Diese Gemeinschaft, wie wir sie dort erleben, habe ich nirgendwo anders erfahren.“ (Máxima, 16 Jahre)

Als Fachbereichsleiterin erfreue ich mich eines Teams, das sich aus insgesamt vier Kolleginnen und fünf Kollegen zusammensetzt. Drei Gesangslehrerinnen, die Kollegen aus den Bereichen Schlagzeug, E-Gitar­re, Kontrabass und Keyboard sowie unser Hausmeister, ausgebildeter Bühnenbauer und damit prädestiniert als Herr über Ton- und Lichttechnik, Bühne und Ausstattung, arbeiten die gesamte Produktion über Hand in Hand und gewährleisten so einen reibungslosen Ablauf des Arbeitsprozesses und der „en suite“ folgenden Aufführungen. Alle Kollegen sind als Lehrkräfte für ihre jeweiligen Instrumente basismäßig in ihren Fachbereichen tätig und organisatorisch eingeteilt, auch ich bin im Fachbereich Streicher mit einer halben Stelle als Cellolehrerin und Ensembleleiterin beschäftigt. Den Fachbereich Musiktheater leite ich im Rahmen einer weiteren halben Stelle, meine Kollegen sind je nach Bedarf stundenweise diesem Fachbereich zugeteilt.

Was bietet der Fachbereich?

Wer sich entscheidet, in eines der beiden Ensembles des Musiktheaters einzutreten, bekommt für einen relativ geringen Jahresbeitrag von aktuell 270 Euro ein großes Gesamtpaket an Leistungen. Ziel ist es, möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen, sie über Gesang, Tanz und Thea­ter an die Musik heranzuführen und ihnen darüber hinaus Einblick in das instrumentale Musizieren zu verschaffen. Schließlich ist das Singen Basis und in meinen Augen Grundvoraussetzung für das Erlernen eines Instruments. Aufgrund der langen Schulzeiten der Kinder und Jugendlichen haben wir uns entschieden, die Bereiche Gesang, Stimmbildung und Sprecherziehung von der szenischen Arbeit zeitlich zu trennen und sie in beiden Ensembles auf zwei Tage zu verteilen.
Der Donnerstag widmet sich voll und ganz den stimmlichen Belangen, freitags finden unter meiner Leitung die szenischen und choreografischen Proben in zwei Ensemb­les statt, die nach Alter eingeteilt werden. Im Verlauf der Einstudierungsphase werden die Probenzeiten dahingehend verändert, dass die beiden Ensembles sowohl unabhängig voneinander als auch gemeinsam arbeiten können, denn am Ende des Prozesses steht immer eine gemeinsame Produktion. Die wird von Jugendensemb­lemitgliedern in eigenständiger Organisa­tion und Ausführung mit Kostümen, Bühnenbildern und Maske ausgestattet. Die Choreografien werden von einer jungen Frau entwickelt und umgesetzt, die in der vergangenen Produktion noch Ensemblemitglied war und deren Berufswunsch Gesangs- und Tanzpädagogin ist. Zwei Besetzungen teilen sich in der Regel im Wechsel Solo/Ensemble zwölf Aufführungen, die von der aus Kollegen zusammengesetzten Band unter der Leitung des Komponisten begleitet werden.
Das Kinderensemble richtet sich an Kinder, die die Grundschule oder zum Zeitpunkt der Aufführungen die 5. und 6. Klasse einer weiterführenden Schule besuchen. Basis der stimmbildnerischen Arbeit ist der speziell für die Mitglieder des Kinderensembles erweiterte Kinderchor. Neben der Einstudierung der Lieder der Produktion wird in dieser Unterrichtseinheit mit viel Freude und Bewegung der Schwerpunkt auf kindgerechte Stimmbildung gelegt.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2020.