Fahrner, Dieter

Wie kann ich meinen Unterricht verbessern?

Unterrichtsqualität als entscheidender Faktor für Lehren und Lernen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

PISA war zwar gestern, aber immer noch sucht man in Deutschlands Bildungswesen nach dem Stein der Weisen: G8 oder G9? Vier oder sechs Jahre Grundschule? Gesamtschule oder dreigliedriges Schulsystem? Einen Beitrag zur Orientierung könnte die jüngste Studie John Hatties – Lernen sichtbar machen – leisten.1 Sein Befund: Auf den Unterricht kommt es an. Die Qualität unseres Unterrichts, also das Handeln von uns Lehrpersonen habe primären Einfluss auf gelingendes Lernen.
Darauf, dass wir Lehrpersonen als Regisseure von Lernprozessen uns der Wirksamkeit unseres Handelns bewusst sein sollten, verwies bereits im Jahr 2004 der bekannte Bildungsexperte Hilbert Meyer.2 2010 regte der Deutsche Städtetag ein „ge­sichertes schulisches Konzept, um qualitäts­volle Musikausbildung zu gewährleisten“, an und begründete dies: „die Arbeitsqualität der Musikschule kann durch Methoden des Qualitätsmanagements entscheidend verbessert und durch die mit ihnen verbundenen Ergebnisnachweise effektiv verantwortet werden“.3 Seit PISA wird die Bedeutung der Unterrichtsqualität also nicht nur fortlaufend thematisiert, sondern auch immer mit dem Appell verbunden, entsprechende Qualitätsoffensiven zu starten.

Das QualitätsSicherungsModul-Unterricht (QSM-U)

An der Musikschule Weil am Rhein wurde unter der wissenschaftlichen Begleitung von Anselm Ernst4 in zehnjähriger Laborarbeit der Prototyp eines Modells zur Entwicklung und Sicherung der Unterrichtsqualität erarbeitet: unser QualitätsSicherungsModul-Unterricht (QSM-U). Unser Konzept beruht auf zwölf Merkmalen guten Unterrichts.5 Anhand derer ist es möglich, auf jeden einzelnen Aspekt des Unterrichtens differenziert zuzugreifen, sodass wir Entwicklungsbedürftiges präzise diagnostizieren und dann gezielt beheben können.
Unsere Merkmale stellen Grobziele dar, die aussagen, welche Faktoren das Lernen fördern. Sie sind dem Unterricht als verbindliche Normen zwar übergeordnet, aber nicht in Stein gemeißelt. Eine der wichtigsten Aufgaben der KollegInnen ist es nämlich, die Merkmale zu operationalisieren, das heißt: Sie bringen eigene Ideen ein, indem sie aus jedem Merkmal sogenannte Indikatoren (Anzeiger) ableiten und damit selbst festlegen, mit welchen konkreten Handlungen die zwölf Unterrichtsziele (Merkmale) erreicht werden sollen.
Obwohl wir auch in der Person der Lehrkraft einen wichtigen Faktor in Bezug auf gutes Unterrichten sehen – jeder soll entsprechend seinem Wesen unterrichten –, sind bei uns weder Persönlichkeitsattribute noch fachdidaktische Inhalte (wie Bogenhaltung, Fingersätze etc.) Gegenstand der Evaluation, sondern einzig und allein das objektiv bewertbare methodische Handeln. In Bezug darauf, was unser Unterricht leisten soll, verfolgen wir dabei vornehmlich folgende Ziele:
1. Wir helfen unseren SchülerInnen, Vertrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit zu erwerben – lassen sie z. B. erleben, dass systematisches Üben zum Erfolg führt, indem wir ihnen Arbeitsmethoden vermitteln und sie dann während des Unterrichts auch selbstständig üben und musizieren lassen.
2. Im Gruppenunterricht nutzen wir die Heterogenität – beziehen die SchülerInnen ständig aufeinander (indem sie sich gegenseitig vorspielen, verbessern, bewerten und zuhören). Das spornt dazu an, voneinander zu lernen.
3. Wir berücksichtigen das individuelle Leistungsvermögen der SchülerInnen – legen für sie angemessene Anforderungen fest (z. B. in Form von unterschiedlichen Kompetenzstufen6).
Aufgrund unserer Handlungsorientierung avancierte die Methodik zum wichtigsten Lern- und Kompetenzbereich. Gleichermaßen bedeutsam ist es, uns in der Kommunikation auch als Person weiterzuentwickeln, z. B. im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, wo wir uns fragen: Wie gehen wir auf Schüler, Eltern und Kollegen zu? Welche Resonanz rufen wir mit unserem Verhalten bei ihnen hervor? Sind wir dazu in der Lage, über Feedback an uns herangetragene Tatsachen anzunehmen? Bringt sich jeder als Teil des Systems Musikschule auch in diese ein? Sich als Person zu entwickeln, heißt für uns, sich gewisser Tugenden bewusst zu werden und diese ins eigene „Verhaltensrepertoire“ zu integrieren.

Selbstevaluation als „Selbst-Lern-Prozess“7

Die Qualifizierung des persönlichen Unterrichts besteht im Wesentlichen darin, unser vielschichtiges Handeln selbst zu bewerten und unseren Unterricht daraufhin in einem Selbst-Lern-Prozess eigenständig zu entwickeln. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Einsicht, dass, wenn die Leistungen der SchülerInnen nicht den Erwartungen entsprechen, man dies auch auf sein Unterrichten bezieht. Im Verhalten der SchülerInnen sieht man also das Spiegelbild seiner selbst und leitet daraus ab, was auf der Ebene des eigenen mensch­lichen und methodischen Handelns zu verändern ist.
In diesem Sinne aktiv zu werden, heißt: sich den notwendigen Hintergrund erarbeiten – ca. 60 Indikatoren guten Unterrichts verinnerlichen; seinen Unterricht auf Video aufnehmen und sich „im stillen Kämmerlein“ selbst beim Unterrichten zusehen; dabei seine Wahrnehmungen in einem Beobachtungsbogen protokollieren.8 Dann nimmt man einen Ist-Soll-Vergleich vor: Man überprüft, inwieweit die Merkmale schon verwirklicht bzw. noch nicht verwirklicht sind. Im Zuge dessen kommen Stärken, aber auch Defizite zum Vorschein, die in Form einer Selbstbewertung in der Bewertungstabelle des Beobachtungsbogens festgehalten werden. Jetzt wird sichtbar, in welchen Zielbereichen man seinen Unterricht noch entwickeln sollte, sodass man seine persönlichen Lernziele, in unserem Beispiel Entwicklungsziele genannt, konkret auflisten kann. Das Beispiel oben verdeutlicht, inwiefern Herrn Paukers Unterricht entwickelt werden sollte.
Um sich in der kollegialen Unterrichtshospitation9 auch den Blickwinkel Außenstehender nutzbar zu machen, sollte die Unterrichtsentwicklung anschließend zum An­liegen des gesamten Kollegiums werden.

Zusätzliche Effekte

Neben vielen inneren und äußeren Nutzeffekten (Rückmeldung auf die eigene Arbeit, Berufszufriedenheit, Wirtschaftlichkeit usw.) besteht ein großer Vorteil der Unterrichtsqualifizierung an unserer Musikschule darin, dass es, abgesehen vom Fach Klavier, keine Wartelisten gibt. Wir sind also von dem kürzlich publizierten Problem, freie Unterrichtsplätze an Musikschulen seien Mangelware, nicht betroffen. Dies ist eindeutig auf die Gruppen­unterrichtskompetenz der KollegInnen zurückzuführen.
Im Rahmen unseres QSM-U haben einige unserer KollegInnen auch die Befähigung zum Großgruppenunterricht erworben. Somit sind sie in der Lage, in Grundschulen ihren Beitrag zur musisch-kulturellen Bildung (als Teil der Allgemeinbildung für alle) zu leisten. Gerade hierdurch steigt die Wertschätzung um ein Vielfaches und damit auch die Aussicht, dass kommunale Träger eher zögern, bei einer Musikschule als Bildungseinrichtung den Rotstift anzusetzen.

Voraussetzungen für Qualifizierungsmaßnahmen

Sowohl die Einführung des QSM-U als auch des damit verbundenen Modells „Inst­rumentaler Grundschulunterricht“ (IGrU)10 erforderte bei uns keine zusätzlichen Finanzmittelmittel: Die Steuerung der internen Qualitätsentwicklung obliegt dem Musikschulleiter; die TVöD-Angestellten leisten ihren Aufwand im Rahmen ihrer Zusammenhangstätigkeiten; die im Bereich Unterrichtsentwicklung geleisteten Zusammenhangstätigkeiten der Honorarkräfte werden honoriert. Die gesamten Personalkosten – die Finanzierung des in der Grundschule eingesetzten Musikschulpersonals eingeschlossen – sind durch das Regel-Budget abgedeckt. Dies beruht auf unserer sogenannten 70/30-Regelung: Für unser Kerngeschäft benötigen wir – dank der Gruppenunterrichtskompetenz – nur ca. 70 Prozent unserer Jahreswochenstunden, 30 Prozent können somit für die Bildungskooperationen mit allen Weiler Grundschulen verwendet werden. Sondermittel (Spenden) sind lediglich zur Beschaffung der Instrumente für den Grundschulunterricht erforderlich.
Zur idealen Anwendung schülerzentrierter Unterrichtsmethoden wären zwar Räume wünschenswert, in denen die SchülerInnen während des Unterrichts selbstständig arbeiten können, da diese aber selten vorhanden sind, behelfen wir uns mit alternativen Methoden wie z. B. dem simulierten Spielen auf dem (lautlosen) „Luftinstrument“.
Unerlässlich ist natürlich, dass auch die SchülerInnen und deren Eltern ihre Rolle im Lernprozess wahrnehmen. Das heißt: Auch wenn wir als Lehrkräfte unseren Schülern noch so gute und bildungswirksame Angebote machen, der Unterrichtserfolg ist nicht alleine an unseren Handlungen festzumachen. Lernen kann nur ­gelingen, wenn alle am Prozess Beteiligten – Schule, Schüler und Eltern – einvernehmlich zusammenarbeiten.

Innovationen in Bezug auf unsere Zukunftsfähigkeit

Das hier vorgeschlagene Modell eignet sich für alle Musikschulen, auch für solche, die über eine große Anzahl an Honorarlehrkräften verfügen. Den von der Berliner Senatsentscheidung betroffenen KollegInnen gilt mein Mitgefühl. Dennoch würde ich an ihrer Stelle bedenken: Die Schüler und Eltern sollten von der Institution Musikschule erwarten dürfen, dass die Unterrichtsqualität, ungeachtet des Anstellungsstatus der Lehrkräfte, ein einheitliches Niveau aufweist. Das heißt, falls keine schulischen Qualifizierungsmaßnahmen möglich sind, würde ich eigenverantwortlich handeln und, wie hier beschrieben, Selbstevaluation betreiben – aus Verantwortung den SchülerInnen gegenüber, aber auch, um mich als Lehrperson aufzuwerten und damit zu meiner Existenz­sicherung beizutragen.
Nach Lage der Dinge ist es kaum mehr von der Hand zu weisen, dass die Einführung von verbindlichen Leistungsstandards und Methoden der Selbstevaluation von Unterricht dringend notwendig ist. Zum einen, um zu bewirken, dass die vielen hilfreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in unserem Unterricht ankommen, was unsere Bildungswirksamkeit spürbar erhöht. Zum anderen, um die Gesellschaft spüren zu lassen, dass sie aus dem Bildungsgehalt des Musikschulunterrichts einen hohen Nutzen ziehen kann. Dann, aber wirklich erst dann, wäre aus meiner Sicht zu erwarten, dass den Musikschulen auch seitens der Kommunal- und Bildungspolitik die gebührende Anerkennung widerführe.

1 John Hattie ist ehemaliger Musiklehrer und Professor an der Uni Melbourne – und laut Times Educational Supplement „der vielleicht einflussreichste Bildungsforscher der Welt“. John Hattie: Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2013.
2 Hilbert Meyer: Was ist guter Unterricht?, Cornelsen, Berlin 2004.
3 Leitlinien zur Sicherung und Weiterentwicklung der öffentlichen Musikschulen, 24. Februar 2010, Nr. 5, Absatz IV.
4 Anselm Ernst ist emeritierter Professor für Instrumentalpädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg.
5 Anselm Ernst: Was ist guter Instrumentalunterricht? Beispiele und Anregungen, Nepomuk, Aarau 2007; Dieter Fahrner: Begeisternd und kompetent unterrichten. Menschliche und fach­li­che Professionalität für Instrumental- und Musik­lehrer, Schott, Mainz 2013, S. 105 ff.
6 s. Fahrner, S. 35: Kompetenzorientiertes Denken, Planen, Unterrichten.
7 s. Fahrner, S. 163.
8 Die Merkmale 11 und 12 sind für die Beurteilung nicht relevant, denn diese betreffen die Rolle der Lehrpersonen im System Musikschule. Der Beobachtungsbogen für die Unterrichtshospitation kann unter www.schott-musikpädagogik.de kostenlos heruntergeladen werden: > instrumentalunterricht > texte zur instrumentalpädagogik > Begeisternd und kompetent unterrichten > Alle Downloads zum Heft > Beobachtungsbogen für die Unterrichtshospitation.
9 Fahrner, S. 166.
10 ebd., S. 183.