Brüggemann, Axel

Wie Krach zu Musik wird

Die etwas andere Musikgeschichte

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Beltz & Gelberg, Weinheim 2010
erschienen in: üben & musizieren 1/2011 , Seite 59

Da hat sich der Autor ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, denn in seiner Darstellung geht es nicht nur darum, wie Krach zu Musik wird, sondern unter der Hand gelang ihm in der Tat „die etwas andere Musikgeschichte“. Sie ist originell genug, führt von den Schwingungen der Töne bis hin zu Rhythmus und Technomusik. Ähnlich weit spannt der Autor seinen Bogen bei den Instrumenten, die es, wie er erzählt, in ihren einfachsten Ausführungen schon in der Urzeit gab.
Axel Brüggemann widmet sich der anhaltenden Bedeutung der Musik durch die Jahrhunderte hinweg, fängt beim Urschrei an, beklagt, dass man nicht weiß, wie Musik zum Beispiel in der Antike geklungen hat und verwebt in seinen Überblick immer wieder Essays berühmter Experten wie Daniel Barenboim, Cecilia Bartoli und Nikolaus Harnoncourt, Daniel Hope und Thomas Quasthoff. Diese individuellen Stimmen geben dem Buch, das schon für musikbegeisterte Jugendliche geeignet ist, zusätzliche Farbe.
Axel Brüggemann, Jahrgang 1971, ist Journalist und Autor, wurde für seine CD-Serie „Der kleine Hörsaal“ mit dem „Echo Klassik“ ausgezeichnet und hat schon mehrere Musikbücher für Kinder und Erwachsene veröffentlicht. Er schreibt mit leichter Hand und weiß in seinem jüngsten Werk auch komplexe Entwicklungen wie die Entstehung der Notenschrift plausibel zu machen. Brüggemanns „Tour d’Horizon“ führt vom Mittelalter über Renaissance und Barock nicht nur in weitere Epochen, sondern auch in musikrelevante Städte wie zum Beispiel Venedig und zu spezifischen Phänomenen wie dem Dreiklang und zur Frage, wann Terzen und Quinten „schön“ klingen.
Der Autor lässt kaum eines der großen Themen aus, weder die Erfindung der Oper noch Gattungen wie Kanon und Fuge oder das Kunstlied. Er widmet sich wegweisenden Gestalten wie Bach, Händel und den Meistern der Klassik und stellt Komponisten wie zum Beispiel Mozart auch in ihrer Privatheit und nicht nur als Musiktitanen vor. Das gilt auch für die Romantiker oder  Tastenlöwen wie Chopin und Liszt. Er geht auf die großen Sinfonien ein und räumt einer polarisierenden Gestalt wie Richard Wagner geziemend Platz ein, zeichnet ihn trotz seines Antisemitismus differenziert, indem er sauber trennt zwischen dem anfechtbaren Charakter des Musikgenies und seinem Werk. Er würdigt das reiche Opernschaffen des 19. Jahrhunderts ebenso wie die Sinfonien eines Mahler oder Schostakowitsch, nennt dabei auch ihre privaten bzw. politischen Probleme beim Namen, sodass hinter dem Komponisten stets der Mensch sichtbar wird.
Bei seinen jungen LeserInnen wird der Autor punkten durch sein Plädoyer für die Gleichberechtigung der musikalischen Gattungen und die Vielfalt der Stile, ist Rock und Pop für ihn doch nicht minderwertiger als die Klassik; und jeder wird sich mit Brüggemann in der Erkenntnis einig wissen, dass Worte nicht ausdrücken können, was Musik erzählen kann.
Heide Seele