© Kerstin Weuthen

Weuthen, Kerstin

Wie Lehrkräfte Lehrerwechsel deuten

Belastender Beziehungsabbruch oder professionelle Selbstverständlichkeit?

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2025 , Seite 10

Wenn SchülerInnen oder ihre Eltern sich einen Wechsel zu einer anderen Lehrkraft wünschen, ist das oft mehr als nur eine organisatorische Heraus­forderung. Für Musikschullehrkräfte stehen dahinter Beziehungen, die über Jahre gewachsen sind – und die Frage, wie man mit diesem Bruch umgeht. Zwischen emotionaler Belas­tung und dem Anspruch, professionell zu bleiben, entstehen Spannungen, die nicht nur Lehrkräfte, sondern auch SchülerInnen und ihre Eltern spüren. Dieser Artikel beleuchtet, wie Lehrkräfte Wechsel ihrer SchülerIn­nen erleben und bewältigen – und was uns das über die besondere Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden verraten kann.

Mit 15 Jahren wechselte ich meine Geigenlehrerin – nicht aus eigenem Wunsch, sondern weil meine alte Lehrerin an meiner Musikschule aufhörte. Ich hing sehr an ihr und hätte lieber weiterhin bei ihr Unterricht genommen. Doch meine neue Lehrerin überraschte mich: Sie schaffte es, mich neu zu motivieren und mir künstlerisch und technisch inspirierende Impulse zu geben. Was zunächst ein unfreiwilliger Bruch war, entpuppte sich rückblickend als große Chance.
Jahre später, mit Anfang 30, erlebte ich die andere Seite eines Lehrerwechsels – diesmal als Lehrerin. Eine Familie, deren Tochter ich über viele Jahre unterrichtet hatte, wollte zu einem anderen Lehrer wechseln. Das traf mich besonders hart. Ich hatte so viel Zeit und Energie in die Förderung dieses Mädchens gesteckt: In zusätzlichen Unterrichtsstunden, Konzerten, Wettbewerben und auf Orchesterreisen hatten wir viele Erfahrungen miteinander geteilt und (so dachte ich) eine tiefe persönliche Beziehung aufgebaut. Die Mutter hatte mich stets gelobt und betont, wie sehr ich ihre Tochter – verglichen mit der vorherigen Lehrerin – vorangebracht hatte. Umso härter traf es mich, als sie mir aus heiterem Himmel mitteilte, dass sie bereits einen neuen Lehrer gefunden hatte. Diese Entscheidung fühlte sich nicht nur wie ein beruflicher Rückschlag an, sondern auch wie eine herbe persönliche Enttäuschung.
Im Kontrast dazu steht eine Erfahrung aus dem vergangenen Jahr. Eine Mutter erklärte mir am Telefon vorsichtig, dass sie die langen Fahrten zu meinem neuen Unterrichtsort unterschätzt hatte. Obwohl sie mit meinem Unterricht sehr zufrieden sei, suche sie für ihre Tochter nun eine Geigenlehrerin in der eigenen Stadt. Diesmal konnte ich den Wunsch gut nachvollziehen und schlug vor, dass das Mädchen neben dem neuen Unterricht weiterhin einmal im Monat zu mir kommen könnte, um zu improvisieren und zu komponieren. Die Mutter war erleichtert und schien fast überrascht, dass ich ihre Entscheidung nicht als Angriff wertete.
Diese drei sehr unterschiedlichen subjektiven Erfahrungen – als Schülerin und als Lehrerin – illustrieren, wie vielseitig und emotional Lehrerwechsel sind.

Warum Lehrerwechsel wichtig sind

Die Möglichkeit, die Lehrkraft wechseln zu können, ist aus meiner Perspektive als ehemalige Schülerin, Lehrerin, Fachbereichsleiterin und Musikschulleiterin ein essenzielles Merkmal einer lernförderlichen und schülerorientierten Musikschulstruktur. Jeder Schüler und jede Schülerin bringt individuelle Bedürfnisse, Ziele und Lernwege mit, die sich im Lauf der Zeit verändern. Während eine Lehrkraft für eine bestimmte Entwicklungsphase genau die richtige Unterstützung bietet, kann in einer späteren Phase ein Wechsel notwendig sein, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden oder andere Perspektiven zu erschließen. Ein Wechsel kann frischen Wind in die musikalische Entwicklung bringen. Verschiedene Lehrkräfte haben unterschiedliche pädagogische Ansätze, Methoden und inhaltliche Schwerpunkte, die den SchülerInnen helfen können, sich vielseitiger zu entwickeln. Eine neue Lehrkraft kann Impulse setzen: sei es etwa durch andere Zugänge zur Spieltechnik, ein spezifisches Repertoire oder eine besondere Art der Kommunikation.
Zudem trägt die Möglichkeit eines Wechsels zur Stärkung der Eigenverantwortung der SchülerInnen bei. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene, die zunehmend ihre eigenen Ziele und Vorstellungen in den Vordergrund stellen, können durch die Wahl einer neuen Lehrkraft aktiv Einfluss auf ihren Lernprozess nehmen. Dieses Mitspracherecht unterstützt die Entwicklung von Autonomie und Selbstreflexion.
Darüber hinaus kann ein Wechsel auch dann sinnvoll sein, wenn persönliche Dynamiken zwischen SchülerIn und Lehrkraft den Unterricht belasten. Pädagogische Beziehungen sind menschliche Beziehungen – folglich sind sie nicht immer konfliktfrei. Wenn die Chemie nicht stimmt und sich Spannungen entwickeln, kann ein Wechsel die Situation entschärfen und neue Motivation schaffen.
Nicht zuletzt schützt die Option eines Wechsels auch die Vielfalt und Qualität des Unterrichts an Musikschulen. Wenn SchülerInnen die Freiheit haben, ihre Lehrkräfte zu wählen, kann ein System entstehen, das die Lehrkräfte dazu anregt, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, und anspornt, flexibel auf die Bedürfnisse ihrer SchülerInnen einzugehen. Eine Kultur, die Lehrerwechsel ermöglicht, fördert letztlich die Dynamik und Weiterentwicklung der gesamten Musikschule – im Interesse aller Beteiligten.

Tabu oder Rarität?

Für diesen Artikel habe ich mit acht Lehrkräften von fünf Musikschulen gesprochen. Bereits die Auswahl der InterviewpartnerInnen erwies sich als unerwartet schwierig: Im Vergleich zu anderen Themen, die ich bereits empirisch untersucht habe, war es diesmal deutlich herausfordernder, GesprächspartnerInnen zu finden, die sich bereit erklärten, über ihre Erfahrungen mit Lehrerwechseln zu sprechen. Warum ist das so?

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2025.