Seng, Noemi

„Wie tanzt ein Roboter?“

Sustained Shared Thinking in der Elementaren Musikpädagogik

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 3/2025 , Seite 38

Die Methode Sustained Shared Thinking (SST) beschreibt eine Form des gemeinsamen Reflektierens in der Gruppe. Inwiefern kann sie in der Elementaren Musizierpraxis mit 4- bis 6-Jährigen eingesetzt werden? Und kann diese Form des Reflektierens zu Momenten der Stimmigkeit beitragen?

Reflexion gerät häufig ins Zentrum pädagogischer Diskurse und wird dort vielfältig diskutiert. Allgemein wird mit der Tätigkeit des Reflektierens ein mehrschichtiger Denkprozess beschrieben, der die Verarbeitung einer Handlung beinhaltet und in eine Form der Wertung mündet, aus der gegebenenfalls Handlungsentscheidungen abgeleitet werden können. In der Elementaren Musikpädagogik (EMP) kann die Reflexion eine eigene Unterrichtsphase bilden.1 Sie dient dem „Bewusstmachen“ sowie dem Austausch der Beteiligten über die Musizier- und Gestaltungsprozesse und kann dabei unterstützen, eine als gemeinsam „gelungen“ eingestufte Praxis zu entwickeln.
Innerhalb der EMP wird dazu häufig der Begriff der „Stimmigkeit“ verwendet.2 Er bezeichnet zunächst ganz allgemein das gemeinsame Auftreten von Phänomenen, die einen neuen schlüssigen Zusammenhang erzeugen. Je nach Kontext wird das jedoch sehr unterschiedlich konkretisiert.3 Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung beschränkte ich mich daher auf folgende vier Definitionsversuche:
1. Stimmigkeit als Gegenbegriff zu „Ungeformtheit“: Als stimmig gilt eine bewusst entschiedene Handlung.4
2. Stimmigkeit im Sinne von innerer Struktur: Als stimmig gilt das Verhalten einer Gruppe, wenn es einfach beschreibbaren Mustern (zum Beispiel bestimmten im Vorhinein festgelegten Regeln) folgt.5
3. Stimmigkeit im Sinne von Ganzheitlichkeit: Als stimmig gilt, wenn verschiedene Wahrnehmungs- und Ausdrucksformen miteinander kombiniert werden.6
4. Äußere Stimmigkeit: Das musikalische Endergebnis entspricht (impliziten) Maß­stäben handwerklich-technischer Qualität (beispielsweise „richtige Tonhöhen“ oder Intonation beim Singen).7

Mit 4-Jährigen reflektieren: Geht das überhaupt?

Benjamin Benthaus8 stellt der Reflexion Teilschritte der Rekonstruktion und Hermeneutik voran, zu denen Kinder dieses Alters fähig sind, da sie bereits über ein Verständnis für die Vergangenheit („Was habe ich gemacht?“) und die Zukunft („Was werde ich machen?“) verfügen. Im Anschluss an diese Teilschritte erfolgt die Bewertung der Aktion, wozu Vergangenheit und Zukunft einem kausalen Denkprozess (Ursache-Wirkung) zugeführt werden müssen, um davon ausgehend Entscheidungen bzw. Handlungsoptionen zu finden. Diese Kompetenzen werden ab dem dritten Lebensjahr entwickelt.
Im Kontext des Gruppenunterrichts kommt hinzu, dass die einzelnen kognitiven Teilschritte der Reflexion in der Regel auch im Austausch der Gruppenmitglieder verbalisiert werden sollen. Entwicklungspsychologisch kann man davon ausgehen, dass Kinder im Kindergartenalter im Prozess sind, die zur Reflexion in der Gruppe benötigten kognitiven und kommunikativen Kompetenzen zu erlernen, beziehungsweise einige diese bereits beherrschen.9
Daher lässt sich die Frage „Sind Kinder im Alter von 4 bis 6 überhaupt schon in der Lage zu reflektieren?“ zunächst mit „jein“ beantworten.

Wie kann Reflexion in der EMP gelingen?

Wie können in der Elementaren Musizierpraxis mit 4- bis 6-Jährigen Räume für Reflexion geschaffen werden und wie kann Reflexion hier gelingen? Eine in die Kontexte Elementarer Musizierpraxis vielversprechend übertragbare Methode ist die Sustained Shared Thinking Methode (SST) – übersetzt: die Methode des anhaltenden gemeinsamen Nachdenkens. Die Methode fokussiert das Reflektieren in Settings mit Kindergruppen und ist ein Ergebnis einer Studie aus England, die Methoden der Entwicklungsförderung bei Vorschulkindern auf ihre Effizienz hin untersuchte.10 Über die Kategorien: Scaffolding (= Planung und Strukturierung des Lernprozesses), Extending, Discussing, Modelling und Playing wird SST, in Form der Target Child Observation (TCO), kodiert.11 Für die Anwendungen von SST im Elementaren Musizieren habe ich zunächst die Teilschritte der TCO – wie auch Frauke Hildebrandt et al. (2016)12 – verändert und angepasst.

 

1 Metzger, Barbara et.al.: „Musikalische Früh­erziehung/EMP mit Kindern zwischen 3 bzw. 4 und 6 Jahren“, in: Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe, hg. vom Verband deutscher Musikschulen, Bonn 2010, S. 41.
2 Schneidewind, Ruth: „Die Kunst der Verbindung beim Elementaren Musizieren“, in: Schneidewind, Ruth/Widmer, Manuela (Hg.): Die Kunst der Ver­bindung. Texte zur Elementaren Musikpädagogik, Innsbruck 2016, S. 17.
3 Dartsch, Michael: Mensch, Musik und Bildung. Grundlagen einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung, Wiesbaden 2010, S. 159 f.
4 ebd., S. 194.
5 ebd.
6 Schneidewind, a. a. O., S. 16.
7 Schneidewind, Ruth: Die Wirklichkeit des Ele­mentaren Musizierens, Wiesbaden 2011, S. 157 ff.
8 Benthaus, Benjamin: Dialektisches Denken von Kindern. Theoretische und empirische Studien zu philosophischer Bildung im Grundschulalter, Baden Baden 2018, S. 304.
9 Grundsätzlich muss beachtet werden, dass die Ergebnisse der Teilschritte nicht allgemeingültig sind, da die Wahrnehmung und der vorhandene Erfahrungsstand jeder Person individuell ist.
10 Siraj-Blatchford, Iram: „Conceptualising pro­gression in the pedagogy of play and sustained shared thinking in early childhood education: a Vygotskian perspective“, in: Faculty of Social Siences Papers, 1224, 2009, S. 2.
11 Hildebrandt, Frauke et al.: „Sustained shared thinking und das Sprachverhalten von Kindern“, in: Frühe Bildung, 2016, Heft 2, S. 82 f.
12 ebd.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2025.

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