Elsner, Felix / Barbara Stiller
„Wie wollen wir (zukünftig) leben?“
Hochschule für Künste Bremen: Musikalische Bildung für nachhaltige Entwicklung
In allgemeinen Bildungszusammenhängen findet die Frage „Wie wollen wir (zukünftig) leben?“ in dem Zusatz „Und wie können wir lernen, so zu handeln, wie wir es wollen?“ Konkretisierung.[1] An der Hochschule für Künste Bremen nimmt sich die Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung dieses Themas sowohl in konkreten Projekten als auch durch kontinuierliche Veränderungsprozesse in der Lehre an.
Annahme ist, dass der weltweite Klimawandel unmittelbar mit gesellschaftlichen Aspekten wie soziale Ungleichheit, humanitäre Krisen, Extremismus, Diskriminierung etc. einhergeht, denen sich künstlerische Hochschulen nicht entziehen können.[2] Die derzeitigen StudienbewerberInnen machen es bereits vor: Sie wollen die Zukunft (mit-)gestalten und betrachten ihr Studium als Katalysator für Themen und Arbeitsfelder, die sie womöglich selbst noch gar nicht kennen. Mehr denn je wünschen sie sich komplexe Handlungskompetenzen, Fähigkeiten im kritischen Denken sowie flexibel einsetzbare Fertigkeiten zur Übernahme unterschiedlicher Perspektiven. Ein solch komplexer Kompetenzaufbau verlangt allen Studierenden über ihre ohnehin hohen künstlerischen Fähigkeiten hinaus mehr denn je kreative Ressourcen, sensible Wahrnehmungsstrukturen, soziales Engagement und gesellschaftliche Mitverantwortung ab, die sie in den Künstlerisch-Pädagogischen Studiengängen fachspezifisch erwerben, praxisorientiert anwenden und individuell vertiefen können.
Vor diesem Hintergrund sehen sich die Lehrenden der Künstlerisch-Pädagogischen Ausbildung an der Hochschule für Künste Bremen in besonderem Maße gefordert, gewohnte Lehr- und Lernumgebungen zu verändern und zukünftige Studierendengenerationen so zu qualifizieren, dass ein Denken an die Zukunft nicht mit einem Irgendwann einhergeht, sondern unmittelbar Einzug in die Welt und den Studienalltag von heute hält. Der Satz mag banal klingen, ist aber für viele Künstlerisch-Pädagogische Studiengänge, die jahrzehntelang zu einem gewichtigen Teil für die Pflege eines jahrhundertealten kulturellen musikalischen Erbes ausgebildet haben, nicht „mal eben so“ vollzogen. An der Hochschule für Künste Bremen wird dazu aktuell zu verschiedenen kleinen Themen gearbeitet und geforscht:
– Das Wissen um den Stellenwert politischer Bildung führt zu Performances an historischen Denkorten wie z. B. im Bremer U-Boot-Bunker Valentin in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Kunst und Design. Daneben wird in dem We Dig It-Projekt „de mocramidi con trolparty si passion“[3] anhand von Improvisationscollagen mit iPads, Instrumenten, Körper und Lichtgestaltung der Frage nachgegangen, ob digitale Medien zu einer demokratischeren Gestaltung von Unterrichten, Musizieren und Konzertieren führen können.
– Das eigene Üben, Musizieren und Unterrichten mit digitalen Techniken wie Markerless Motion Capture, move.ai, Audio- und MIDI-Sequencing, Sounddesign, Sampling u. a. zu professionalisieren, erfordert in der Entwicklungsphase Geduld aller Beteiligten. Im Optimalfall spüren die Studierenden schon recht bald, dass sie solche Methoden des (Selbst-)Lernens unter salutogenetischen und biomechanischen Aspekten ressourcenschonend anwenden und gegebenenfalls auch performativ zum Einsatz bringen können.
– Das Bewusstsein um die weltweite Klimakrise findet zunehmend Einzug in konzertpädagogische Formate der Musikvermittlung. Eine von Studierenden der Elementaren Musikpädagogik in mehreren Sprachen verfasste Geschichte von einer Welle im Wasser ist eine Projektarbeit für den öffentlichen Raum in einer urbanen Outdoor-Umgebung („Open Space auf dem Bremer Domshof“), welche aber auch in gewohnten Lernumgebungen stattfinden kann.
– Ein Lehrpraxis-Kurs mit angehenden Erzieherinnen und Master-Studierenden der Elementaren Musikpädagogik bietet nicht zuletzt aufgrund der vielfach unterschiedlichen Herkunft in besonderem Maße Anlass zum Erproben transdisziplinärer Konzepte zwischen Musik verschiedener Kulturen und Visuellen Künsten.
In weiterführenden Ausführungen müsste der Frage nachgegangen werden, welche Transformationsprozesse für die Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung an Musikhochschulen erforderlich sind, um die Studierenden zukünftig passgenauer für berufliche Tätigkeiten in Bereichen einer nachhaltigen musikalischen Bildung zu qualifizieren. Durch ihr hohes Maß an thematisch kreativen, fantasieanregenden, künstlerisch-performativen und nicht zuletzt öffentlichkeitswirksamen Möglichkeiten verfügen die künstlerisch-pädagogischen Studiengänge über das Potenzial, zum Vorbild für andere Studiengänge an Musikhochschulen zu werden.
[1] zit. nach Kultusministerkonferenz und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015: Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_00-Orientierungsrahmen-Globale-Entwicklung.pdf (Stand: 11.3.2023).
[2] vgl. Deutsche UNSECO-Kommission 2020: Bildung für nachhaltige Entwicklung: die globalen Nachhaltigkeitsziele verwirklichen (BNE 2030), https://www.unesco.de/sites/default/files/2021-05/BNE%202030_Rahmenprogramm_Text_Deutsch.pdf (Stand: 6.6.2023) und Deutsche UNSECO-Kommission (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Roadmap, https://www.unesco.de/sites/default/files/2022-02/DUK_BNE_ESD_Roadmap_DE_barrierefrei_web-final-barrierefrei.pdf (Stand: 11.6.2023).
[3] In dem Projekttitel sind – unschwer zu erkennen – Begriffe miteinander verwoben, die für die Fragestellung des Projekts wichtig sind (Demokratie, MIDI, Controller und Partizipation) wie auch für die Konzertperformance (party und passion), und zwar als Gromolo-Sequenz, um die Nähe zu Strukturen des Improvisationstheaters zu signalisieren, die in diesem Projekt auf Musik übertragen werden (Harold, Plattform, Crossover, etc.).