Ortwein, Jörg Maria

Willenstest – Musik

Der Wille als Schlüssel zur Motivation beim Üben

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 50

Die Eigenschaften Disziplin, Motivation und Konzentrationsfähigkeit stellen wichtige Persönlichkeitsmerkmale für einen erfolgreichen Studienabschluss in einem Musikstudium dar. Allerdings zeigt die Forschung, dass auch dem eigenen Willen bei der Umsetzung von Zielen eine besondere Bedeutung zukommt. Ein Willenstest für Musikstudierende möchte Ansätze zur Auseinandersetzung mit den eigenen Nicht-Stärken anbieten.

Üben macht nicht immer Spaß und braucht hin und wieder eine ordentliche Portion Überwindung. Dies dürfte eine Erkenntnis sein, die jedem Musikstudierenden sehr geläufig ist. Dabei ist es nicht unbedingt die fehlende Motivation, die dafür verantwortlich ist, dass Dinge vorgeschoben werden, die im Moment als wichtiger erschienen. Motivation meint in erster Linie das Setzen von Zielen, während das Streben nach Zielen mit dem Begriff Volition umschrieben wird: Die schwie­rige, aber hinreißende Sonate soll Teil des eigenen Repertoires werden, aber bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.
„Durch die Willenswahl bestimmen wir uns, etwas uns eigen zu machen oder ihm aus dem Wege zu gehen.“1 Diese Erkenntnis des Aristoteles führt unmittelbar zur Volitionsforschung, die Erklärungsansätze für motivationales Verhalten anbietet und dabei versucht, Wege zu erschließen, die uns zeigen, wie Ziele letztendlich trotz des einen oder anderen Tiefs doch noch realisiert werden können. Unter Volition – oder kurz: der eigene Wille – wird dabei das bewusste Steuern und Kont­rollieren des eigenen Handelns verstanden. Die zentrale Frage bei der Untersuchung volitionaler Prozesse widmet sich insbesondere der Umsetzung von einmal gefassten Handlungszielen.
Ein prominentes Modell formulierte Heinz Heckhausen mit dem Rubikon-Modell der Handlungsphasen,2 in dem sich motivationale und volitionale Phasen sequenziell ablösen. Etwa zeitgleich formulierte Julius Kuhl seine Handlungskontrolltheorie3 und zeigte, dass nicht automatisch die stärkste motivationale Absicht umgesetzt wird, sondern dass letztendlich erfolgreiche motivationale Handlungsabsichten gegen konkurrierende Motivationstendenzen abgeschirmt werden müssen. Eine Integration beider Modelle findet sich in Hugo M. Kehrs Kompensationsmodell,4 das zentral den Fragen nachspürt, was ich gerne mache, was mir wirklich wichtig ist und was ich tatsächlich aufgrund meiner Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnissen zu leisten in der Lage bin.

Wille als Steuermann

Markus Deimann entwickelte aus diesen theo­retischen Grundlagenarbeiten einen praktischen Förderansatz, der den eigenen Willen mit der Metapher des Steuermanns von Herz, Kopf und Bauch darstellt und das Ausbalancieren von Nicht-Stärken in den Mittelpunkt stellt.5
Als Synthese der Erkenntnisse der bisherigen Emotions- und Volitionsforschung mit dem in der Mediendidaktik etablierten Instruktionsdesign entwickelte er einen Volitionalen Personentest, der online als Willenstest frei zugänglich ist.6 Dieser gibt den NutzerInnen als Rückmeldung in Form einer Ampel Informationen zu ihren individuellen volitionalen Faktoren Selbstwert, Konsequenzenkontrolle, Stimmungsmanagement und Metakognition. Zudem werden den NutzerInnen kurze praktische Empfehlungen zur individuellen Optimierung volitionaler Kompetenzen ausgegeben. Bislang ist der Volitionale Personentest von weit über 40000 Studierenden verschiedenster Hochschularten absolviert worden. Im Jahr 2012 wurde er mit dem E-Learning-Award des eLearning Journals in der Sonderkategorie Lernstrategien ausgezeichnet.7
Eine qualitative Studie8 zeigte, dass der Volitionale Personentest in vielen Bereichen auf die Bedürfnisse von Musikstudierenden übertragen werden kann. Ein erstaunliches Ergebnis dieser Studie war jedoch, dass zumindest bei den untersuchten Musikstudierenden die Auseinandersetzung mit motivationalen und volitionalen Prozessen bisher kaum stattgefunden hatte, obwohl insbesondere das tägliche Üben regelmäßig von Frust­rationserlebnissen überschattet war.

Den eigenen Willen testen

Da die Strategieempfehlungen nachweislich nicht alle motivationalen und volitionalen Faktoren der Musikstudierenden erreichte, wurde auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse ein spezifizierter Willenstest (M-VPT) entwickelt, der zur freien Nutzung als Open Educational Resources im Netz zur Verfügung steht.9 Musikstudierenden werden 32 verschiedene Szenarien in Verbindung mit bestimmten Handlungsstrategien vorgestellt, auf die sie mit Zustimmung oder Ablehnung reagieren sollen. Die im unmittelbaren Anschluss an den Test erfolgte Auswertung gibt individuelle Informationen zum eigenen Selbstwert, zum Kontrollverhalten gegenüber entstehenden Konsequenzen, zum Umgang mit persönlichen Stimmungslagen und zu den eigenen Fähigkeiten bei der Planung und Selbstbeobachtung. Außerdem erhalten die Testteilnehmer Strategievorschläge, wie diese Bereiche insbesondere im Zusammenhang mit dem täglichen Üben verbessert werden können.
Damit der „Willenstest – Musik“ nicht nur deutschsprachigen Musikstudierenden zur Verfügung steht, ist als nächster Schritt geplant, ihn in verschiedenen Sprachversionen anzubieten. Mit dem Willenstest haben Musikstudierende die Möglichkeit, sich über das Bewusstsein der eigenen Stärken und Nicht-Stärken neue Wege zu mehr Lust beim täglichen Üben zu erschließen.

1 Aristoteles: Nikomachische Ethik, übersetzt von Eugen Rolfes, Leipzig 1911. Online unter http://gutenberg.spiegel.de/buch/2361/28
2 Jutta Heckhausen/Heinz Heckhausen (Hg.): Motiva­tion und Handeln, 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin 2010.
3 Julius Kuhl: „Motivation und Handlungskontrolle: „Ohne guten Willen geht es nicht“, in: Heinz Heckhausen/Peter M. Gollwitzer/Franz E. Weinert (Hg.): Jenseits des Rubikon. Der Wille in den Humanwissenschaften, Berlin 1987, S. 101-120.
4 Hugo M. Kehr: „Das Kompensationsmodell von Motivation und Volition als Basis für die Führung von Mitarbeitern“, in: Regina Vollmeyer/Joachim Brunstein (Hg.): Motivationspsychologie und ihre Anwendung, Stuttgart 2005, S. 131-150.
5 Markus Deimann/Benjamin Weber/Theo Bastiaens: „Volitionale Transferunterstützung (VTU) – Ein innova­tives Konzept (nicht nur) für das Fernstudium“, in: IfBM.Impuls – Schriftenreihe des Instituts für Bildungswissenschaft und Medienforschung, 2008/01. Abgerufen von http://ifbmimpuls.fernuni-hagen.de
6 http://willenstest.fernuni-hagen.de
7 www.elearning-journal.de/index.php?id=380
8 Jörg Maria Ortwein: „Üben zwischen Lust und Frust – Empirische Überprüfung der Volitionalen Transferunterstützung im Kontext des Musikstudiums“, in: Beiträge empirischer Musikpädagogik, 3 (1), 2012.
9 http://mvpt.aristoteles.at

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