Menke, Markus

Willkommenskultur statt Ausgrenzung

Das Hamburger Konservatorium engagiert sich in Flüchtlingsunterkünften

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Mail from Melanie Anger

„Für mich das schönste Weihnachtsgeschenk“, schreibt Melanie Anger: Am 19. Dezember 2014 kam vom VdM die Bestätigung, dass der Antrag auf Mittel aus dem Fond „Kultur macht stark“ des Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung für ein Musikangebot in einer Flüchtlingsunterkunft bewilligt wurde. Melanie Anger leitet im städtischen Betrieb „fördern und wohnen“ die Organisation aller Flüchtlings­unterkünfte – und spielt selbst Geige. Initiiert hatte den Antrag Markus Menke, Direktor des Hamburger Konservatoriums.
Rückblick: Im Jahr 2014 wurde der Flücht­lingszustrom nach Hamburg immer größer. Am Hamburger Konservatorium wurde überlegt, was tun? Die Musik als globale Sprache sollte genutzt werden, um auf die asylsuchenden Menschen in Hamburg zu­zugehen. In Gesprächen mit den Leitungen von Flüchtlingsunterkünften und den Sozialarbeiterinnen vor Ort wurde sondiert, welche Angebote Sinn machen. Folgende Voraussetzungen mussten beachtet werden bzw. gewährleistet sein:
– sich selbst organisierend: die Sozialarbeiterinnen leisten Immenses für ein vertret­ba­res Leben in den Einrichtungen, sie haben nur wenig Ressourcen, weitere Angebote zu managen
– zuverlässig und regelmäßig
– auf Fluktuation der Teilnehmer vorbereitet sein
– Menschen mit unterschiedlichen Sprach­kenntnissen integrieren
– improvisierend Räumlichkeiten nutzen (Container/Zelte/Ausstattung/Sauberkeit)
– mit emotionaler Betroffenheit umgehen können
– unterschiedliche kulturelle Identitäten akzeptieren

ZEA Schnackenburgallee

In der Zentralen Erstaufnahme für Asyl­suchende (ZEA) Schnackenburgallee leben etwa 3000 Menschen, davon 450 Kinder. Es gibt eine provisorische Schule. Für die Menschen und vor allem die Kinder ist die ZEA nach einer langen Flucht der erste Ort, an dem sie Sicherheit erfahren. Der Aufenthalt soll drei Monate nicht übersteigen, beim derzeitigen Flüchtlings­zustrom ist diese Zeitspanne allerdings für die Behörden schwer einzuhalten. Hier mit den Kindern zu musizieren, ist ein sinnvoller Baustein für das tägliche Leben, das einerseits vom Gefühl des Angekommen-Seins, andererseits von Eintönigkeit geprägt ist. Die Familien haben keinen selbstbestimmten Tagesablauf und sind auf sinnstiftende Angebote angewiesen.
Die DozentInnen Petra Schmidt und Thomas Himmel haben seit Jahren Erfahrung mit soziokultureller Arbeit. Zwei Program­me bieten sie in der ZEA Schnackenburgallee an: Trommelpower und Band­Boxx. Trommelpower dient der Stabilisierung und Ressourcenaktivierung von Kindern zwischen sechs und acht Jahren. In der Gruppe vermittelt sich den Kindern, dass sie ihre Grenzen artikulieren dürfen, diese akzeptiert werden und sie auch die Grenzen und Bedürfnisse ihrer MitspielerInnen annehmen. Das Programm wurde von And­reas Wölfl in München zur Gewaltprävention und sozialen Integration entworfen und von Petra Schmidt für die Arbeit mit Flüchtlingskindern weiterentwickelt. Band­Boxx ist aktive Sprachförderung: Jugend­liche zwischen zwölf und 16 Jahren gehen ins Aufnahmestudio, lernen erstes Instrumentalspiel, entwickeln in deutscher Sprache ihren Songtext, produzieren eine CD inklusiv Cover und Booklet. Sie übernehmen selbst die Verantwortung dafür, dass die CD als gemeinsames Produkt fertig wird. (Ab November 2015 wird das Angebot mit Gitarrengruppen erweitert, ab Januar 2016 mit Tanz, Rhythmik und Musiktherapie.)

Freude in gesichertem Umfeld

Die aktuelle Situation der Kinder in der ZEA bringt es mit sich, dass die Bedingungen für gemeinsames Musizieren täglich neu erfunden werden. Die Freude, mit der die Kinder und Jugendlichen musizieren, ist der größte Lohn für die DozentInnen. Die Kinder begeben sich in die Gruppensituation zusammen mit den DozentInnen, also fremden Menschen. Ist dann Vertrauen aufgebaut, öffnen sie sich und nehmen mit großer Begeisterung das Angebot zu musizieren an.
Gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendorchester des Hamburger Konservatoriums fanden bereits zwei Konzerte statt. Geprobt wurde sowohl in der ZEA als auch im Konservatorium. Für die Schülerinnen und Schüler und die Eltern, die die Probenbesuche begleitet haben, waren es sehr beeindruckende Erfahrungen. Sie lernten die Lebensumstände der Kinder in der Asyl-Unterkunft kennen, die Unterschiedlichkeit der Namen, die ferne Herkunft vieler Kinder. Die Herausforderung, einen neuen Klangkörper aus Kinderorchester und Instrumentalgruppen aus der Asyl-Unterkunft zu formen, meisterten die Orchesterleiterinnen Amorine Feddeler und Sornitza Patchinova gemeinsam mit den Instrumentallehrkräften erfolgreich. Der Auftritt im Rahmen der „Altonale“, dem größten deutschen multikulturellen Straßenfest, war ein Höhepunkt.

Finanzierung

Die Ende 2014 über „Kultur macht stark“, eingeworbenen Mittel sicherten die Finanzierung der Personalkosten und waren für engagierte Stiftungen eine gute Motiva­tion, Sachmittel zur Verfügung zu stellen. ZEIT-Stiftung, Haspa-Musikstiftung, Stiftung Maritim Hermann und Milena Ebel, Gerhard Trede-Stiftung und private Spender stellten erhebliche Mittel bereit, um Räume und Instrumentenausstattung zu finanzieren. Durch diese großzügige Unter­stützung konnte Anfang November ein eigens konstruierter Musikcontainer mit Auf­nahmestudio in der Asyl-Unterkunft aufgestellt werden.
Spendenmittel werden auch verwendet, um asylsuchenden Menschen Konzert­besuche zu ermöglichen; Freikarten stellen das Hamburger Konservatorium oder befreundete Veranstalter zur Verfügung. Ein Bustransfer muss organisiert werden, da die ZEA Schnackenburgallee nicht gut mit öffentlichem Nahverkehr zu erreichen ist.
Die Organisation all dieser Angebote wird ehrenamtlich geleistet. Eine tragende Rolle spielen hierbei die Mitarbeiterinnen im „Freiwilligen Sozialen Jahr Kultur“ am Hamburger Konservatorium. Für den Unterricht stehen Honorarmittel zur Verfügung. Mit einer adäquaten Bezahlung sollen Qualität und Kontinuität der Arbeit langfristig gesichert werden. Es bedarf der Erfahrung mit soziokultureller Arbeit und der besonderen Qualifizierung, um den An­forderungen dieses Engagements gerecht zu werden.
Die Kolleginnen und Kollegen am Hamburger Konservatorium übernehmen Verantwortung durch Engagement. Mitte November veranstalteten sie ein Benefizkonzert. Der Erlös aus diesem Konzert soll zur Finanzierung von Sprachunterricht gespendet werden. Kooperationspartner sind das Lesenetz Hamburg und das Altonaer Museum, das den Konzertsaal stellt. Das Lesenetz Hamburg unterstützt LehrerInnen in Integrationsklassen durch zusätz­liche qualifizierte Kräfte im Unterricht.

Und es geht weiter…

Das Hamburger Konservatorium wird in den kommenden Monaten seine Arbeit mit asylsuchenden Kindern und Jugend­lichen auf die Wohnunterkunft Sieversstücken ausdehnen. Hier leben Menschen mit einem Aufenthaltsstatus und längerer Perspektive. Für Menschen aus den Flüchtlingsunterkünften mit Kenntnissen im Inst­rumentalspiel kann, finanziert über ein Patenmodell, seit zwei Monaten Instrumentalunterricht angeboten werden.
Nicht zuletzt eine gute Vernetzung mit Politik und Verwaltung öffnet viele Türen für eine schnelle Realisierung der Angebote, die das Hamburger Konservatorium im Verbund mit Spendern heute für asyl­suchende Menschen zur Verfügung stellt. Dadurch gelang es im Juli, mit der Foto- Ausstellung „Leben auf der Flucht“ des Nordafrika-Korrespondenten Mirco Keilberth und begleitenden Diskussionsveranstaltungen die Situation von Menschen auf der Flucht in einen weltpolitischen Zusammenhang zu stellen.