Steffen-Wittek, Marianne

Woopies, PEGGIs, Happy-Agers

Rhythmik für Ältere zwischen Markt und Möglichkeiten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2009 , Seite 18

Nachdem Unternehmen und Dienstleistungsgewerbe die “Alten” längst als Marktsegment entdeckt haben, wurden nun auch Kultur- und Bildungs­einrichtungen auf diese Zielgruppe aufmerksam. Doch den meisten Älteren fehlen die finanziellen Mittel, um Musik zu machen. Dabei kann gerade die Rhythmik alten Menschen einen bewegungs­orientierten Zugang zur Musik auf verschiedenen, miteinander verknüpften Ebenen bieten.

„Es ist nie zu spät – Musizieren 50+“ hieß ein Kongress und Orchesterkurs 2007, ausgerichtet vom Deutschen Musikrat in Wiesbaden. Die Musikwelt, so die Funktionäre des Musikrats, müsse auf die wachsende Zahl älterer Menschen in unserer Gesellschaft reagieren. Den demografischen Wandel nicht als Problem, sondern als Chance sehen, so lautete das einmütige Credo.
Dass auf den Großteil der Älteren durchaus eine Verstärkung der schon längst vorhandenen Probleme zukommen wird – Probleme, die ganz und gar nichts mit der wachsenden Anzahl älterer Menschen in dieser Gesellschaft zu tun haben –, wird von der Politik freimütig angekündigt. Die in der Öffentlichkeit zelebrierte Diskussion um Rentenkürzungen, Rentenbeitragserhöhungen, Lohn­nebenkostensenkung und Generationenkonflikt will uns weismachen, dass mehr alte Menschen, die auch noch länger leben als früher, eine Verknappung gesellschaftlicher Ressourcen verursachen. Ganz so, als würde die steigende Anzahl der Älteren einen Mangel an Gütern, Arbeits- und Produktivkräften nach sich ziehen.
Soll uns die Zunahme der „Alten“ einerseits als Problem einleuchten und Rentenkürzungen als Sachzwang hinnehmen lassen, so wittern Unternehmen und Handel im Zuwachs der Alten und Langlebigen willkommene Geschäfte. Andere Länder, wie Japan, sind da schon längst am Ball: „Dieser Markt ist eine Riesenchance. Japan muss mehr Produkte für alte Leute entwickeln. Dann steigt auch unser Anteil am Welthandel wieder.“1
Von dieser Warte aus wird der demografische Wandel nicht mehr als Problem, sondern als Chance gesehen – fragt sich allerdings für wen. Die 5. Nationale Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft, die im Mai 2009 stattfand, gibt darauf eine klare Antwort. Ihr Motto: „Erfolgreich altern – der demografische Wandel als Chance für die Gesundheitswirtschaft“, spricht für sich. Überhaupt haben Unternehmen und Dienstleistungsgewerbe die „Alten“ längst als Markt­segment entdeckt, bevor Kultur- und Bildungseinrichtungen auf diese Zielgruppe aufmerksam wurden.
Geraten Menschen als Zielgruppe in das Visier der Wirtschaft, des Dienstleistungs-, Kultur- und Bildungsgewerbes, so mögen verschiedene Interessen dahinter stehen. Gemeinsam ist den meisten Bemühungen, dass die Bedürfnisse der betroffenen Menschengruppe nicht der Grund für die verstärkte Zuwendung sind. Alte Menschen gab es schon immer. Es hat sich bis vor einigen Jahren offensichtlich nicht gelohnt, ihren Bedürfnissen entsprechend zu forschen, Produkte und Dienst­leistungen zu entwickeln und anzubieten.

PEGGIs, Woopies und Schappi-Rentner

So schießen Unternehmen und Werbeagenturen wie Pilze aus dem Boden, die sich der Zielgruppe „Alte Menschen“ verschrieben haben. Dass Altsein im bisherigen Wirtschaftsleben – weil unnütz – eher ein gesellschaftliches Stigma als eine biologisch-naturgegebene Tatsache darstellt, bekommen nun die Unternehmen zu spüren, die diese Zielgruppe umwerben: „Auch der Handelsriese Metro testet auf die ältere Generation abgestimmte Konzepte bei Kaufhof und in seinem ,Future store‘… Außerdem setzt der Kon­zern so genannte ,age explorer‘ ein, mit denen man sich in die Wahrnehmungswelt älterer Menschen hineinversetzt. Problem sei aber, dass die älteren Verbraucher oft nicht auf ihr Alter angesprochen werden wollen, sagt ein Sprecher.“2
Also wird z. B. von der Werbefirma EYE Research das griffige Wort PEGGI für die kaufstarke Generation 50 plus kreiert, das unverblümt zeigt, worum es bei der „fürsorglichen“ Zuwendung geht: Wer Persönlichkeit, Erfahrung, Geschmack, Geld und Interessen hat, für den steht die Waren-Welt auch im Alter offen. Wer aber Persönlichkeit, Erfahrung und Geschmack ohne Geld zum Zuge kommen lassen will, gehört trotz Interessen zu den PEGoGIs (ergänzende Wortschöpfung der Verfasserin – in den Medien allerdings als Schappi-Rentner bezeichnet) und sieht im Alter einfach nur alt aus.
Weitere Differenzierungen sind nötig, um die kaufkräftige Klientel von den eigens für sie hergestellten Produkten zu überzeugen: „Die ,Best Agers‘ (40-59jährigen) gehen in die ,Woopies‘3 über, beide haben hohe Kaufkraft und wachsende Konsumorientierung mit aus­geprägtem Marken- und Qualitätsbewusstsein. Im Marketingbereich gibt es bereits einige ,altengerechte Zielgruppen‘, wie: junge und alte Alte, selbstbewusste kritische Alte, aktive flexible Alte, abgeklärte zufriedene Alte und passive graue Alte (Infratest Burke 2000).“4 Dass die Langlebigkeit bei den PEGGIs, Woopies und Happy-Agers als Segen für die Wirtschaft gilt, den armen Alten aber den Ruf unnützer Schmarotzer einbringt (denen man ein Gebiss oder Prothesen aus Kos­ten­gründen verweigert), versteht sich von selbst.

1 Professor Tsuguo Fujino, Autor des Buchs Konsumverhalten der älteren Bürger, im Bericht „Einkaufs­paradies der alten Dame“, ZDF heute journal vom 2. September 2009.
2 vgl. Maren Martell: „Hohe Kaufkraft. Handel entdeckt über 50-Jährige“, dpa, veröffentlicht am 19. Oktober 2006 (Internet 10.9.2009: www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/1273025_0_5545_-hohe-kaufkraft-handel-entdeckt-ueber-50-jaehrige.html).
3 Woopie steht für „well-off old people“ (wohlhabende alte Leute).
4 „Die Entwicklung der Nachfrage nach Lebensmitteln bei Senioren“ (Internet 10.9.2009: www.agev.net/wissenswertes/ev/lm-nachfrage/senioren.htm).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2009.