Röbke, Peter

Zentrum der Studien­erfahrung

IGP-Studium an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2020 , Seite 21

Das Studium der Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP) fungiert an der Universität für Musik und dar­stellende Kunst Wien (mdw) als Brücke zwischen den ­konzertant orientierten und den musikpädagogischen ­Studien, dort kreuzen sich viele Studienwege. In diesem Studium wird das Verhältnis von Kunst, Pädagogik und Wissenschaft ständig neu verhandelt.

Um die im Folgenden beschriebenen Veränderungen im Studium der Instrumental(Gesangs)pädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien1 richtig einschätzen zu können, sei dessen Platz in der Studienlandschaft der mdw kurz umrissen. Nicht nur, dass eine große Zahl von Studierenden zu vermerken ist (zurzeit etwa 880, davon gut zur Hälfte ausländische Studierende): IGP wird als grundständiges Studium mit eigenem Profil auch zu etwa gleichen Teilen ausschließlich oder in Kombination mit anderen musikpädagogischen Studien (Musikerziehung/Rhythmik) und besonders mit den Studien im Konzertfach (Klavier bzw. Gesang solo, Kammermusik, Orchesterabteilungen) belegt.
Diese Brückenfunktion mag erklären, warum im Qualifikationsprofil des neuen IGP-Bachelorstudiums dessen allgemeines Ziel durchaus selbstbewusst und herausfordernd formuliert ist: „Das Ziel des Bachelorstudiums Instrumental(Gesangs)pädagogik ist die Ausbildung von Instrumental- und Gesangspädagog_innen, für die das Streben nach künstlerischer Exzellenz, die Leidenschaft für die Vermittlung von Musik (finde diese auf dem Podium oder im Unterrichtszimmer statt) und die Bereitschaft zur Reflexion und wissenschaftlichen Vertiefung und Kontextualisierung von musikalischer Praxis eine Einheit darstellen. Im Bemühen um diese Einheit ist das IGP-Studium nicht nur eine zeitgemäße pädagogische Ausbildung, sondern zugleich ein Labor für ein komplexes Verständnis von künstlerisch-pädagogischer Exzellenz und ein Modell für eine Musiker_innen-Ausbildung des 21. Jahrhunderts.“2

Zentrales künstlerisches Fach

IGP ist in Wien eng mit den reinen „Instrumentalstudien“ über die studienrechtliche Tatsache eines „zentralen künstlerischen Faches“ (zkF) verbunden, wobei dessen Charakterisierung als „Zentrum“ der Stu­dienerfahrung und -entwicklung keine Hierarchie von Haupt- und Nebenfächern unterstellt. Es steht deswegen im Zentrum, weil „Reflec­tion-in-Action“ im Sinne von Donald Schoen,3 „Reflecting-on-Action“ und die Erweiterung dieser grundsätzlichen Reflexivität hin zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein hier ihren wesentlichen Ort und Ausgangspunkt haben.
Wir denken das zkF als Studienbereich – „das zentrale künstlerische Fach in seiner stilistischen und musikpraktischen Breite“ – und bieten den Studierenden an, ihre angestammte musikalische Verortung in Richtung des stilistischen Spiegelfachs zu erweitern (also etwa Jazz für klassische SaxofonistInnen), sehen Kammermusik und Orchesterspiel als etwas, das unmittelbar aus dem zkF erwächst (zkF-Lehrkräfte arbeiten auch als Coaches für jene Studierende, die eigene Streichquartette haben oder in großen Ensembles außerhalb der mdw auf eigene Rechnung mitwirken) und laden MusikvermittlerInnen oder ExpertInnen für Diversität und Gender zur Diskussion und für Projekte unmittelbar in die Klassen ein.
Und natürlich ist die zkF-Erfahrung, also das Durchdenken der eigenen Lernprozesse und die Auseinandersetzung mit der am eigenen Leib erfahrenen Lehre, auch die Basis der instrumentaldidaktischen Fächer: „Der Unterricht im zentralen künstlerischen Fach macht sich selbst zum Thema und schafft so notwendige Voraussetzungen für die spätere Lehrtätigkeit. Allgemeine und fachbezogene pädagogische Lehrveranstaltungen verwandeln diese notwendigen in hinreichende Voraussetzungen in Bezug auf die Fülle der pädagogischen Tätigkeitsfelder und Zielgruppen.“

Lernwelten erkennen und gestalten

Instrumentalpädagogik sollte nicht auf Ins­trumentaldidaktik reduziert sein und dabei dann ausschließlich auf die Lernwelt des Unterrichts und die Kunst des Lehrens fokussieren, lässt sich doch mit Fug und Recht sagen: It takes a community to raise a musician!4 Oder auch: Musikschularbeit bedeutet, Lernwelten zu erkennen und zu gestal­ten.5 Insofern ist im Bachelor-Curriculum das instrumentalpädagogische Richtziel der Ausbildung wie folgt definiert: „Die Absolvent_innen bringen einen weiten Begriff von musikalischem Lernen ins Spiel und richten den Blick auf formale Lernprozesse ebenso wie auf verborgene und informelle. Vor diesem Hintergrund geben sie einen zugleich sachorientierten wie personenzentrierten und beziehungssensiblen Unterricht in methodischer Vielfalt; darüber hinaus erkennen und gestalten sie – in der Verbindung von Präsenz- und digitaler Lehre – auch andere Lernwelten ihrer Schüler_innen in der häuslichen Umgebung, im Ensemble oder im öffentlichen Auftritt.“
Dieses weite Verständnis von Instrumentalpädagogik wird auch zu anderen musikpädagogischen Feldern hin anschlussfähig: InstrumentalpädagogInnen, die immer auch die künstlerische Exzellenz und die performative Situation auf dem Podium im Auge haben, können an den performativen Stellschrauben einer Aufführung drehen und sich unversehens in der Musikvermittlung im engeren Sinne bzw. in Projekten der Community Music finden; dann nämlich, wenn auch jenseits der instrumentalpädagogischen Lernwelten Räume außerhalb des Gewohnten geschaffen werden, „in denen Respekt, Dialog und Begegnung die Basis sind, wechselseitige Bereicherung und Veränderung aller Beteiligten – musikalischen Profis wie Laien – möglich ist, Unerwartetes geschehen kann und neue Formen der Partizipation als ‚Teil haben‘ und ‚Teil geben‘ Realität werden“.6
Und wer als eines der zentralen Arbeitsfelder der Musikschule die Grundmusikalisierung von möglichst vielen Kindern in der Zusammenarbeit mit der Grundschule identifiziert, wird in kollaborative7 Beziehungen zur Regelschule treten und dann im Kontext der Regelschule seine spezifische Rolle als KünstlerIn definieren und über das Verhältnis einer „musikalisch-künstlerischen Bildung“ (Michael Dartsch) zu einer musikalischen Allgemeinbildung nachdenken müssen.

Wissenschaft im IGP-Studium – wozu?

Einerseits sollte sich künstlerisches Handeln historisch und gesellschaftlich verorten: Ausgehend von einer Lehrveranstaltung, in der die hybriden Formen musikalischer Praxis in der Gegenwart untersucht werden, werden – ohne zu hierarchisieren – die Stränge entfaltet, die zur gegenwärtigen Situation führen, also die Geschichte der westlichen klassischen Musik, jene der Popularmusik und jene traditioneller Musiken. Schließlich wird dieser Aufbau eines Referenzrahmens, also der Möglichkeit zu sagen, woher man kommt und wohin man will, in eine Veranstaltung zu Musik und Gesellschaft eingebettet.
Andererseits soll „Wissenschaft“ möglichst organisch aus einer grundsätzlichen Haltung der Kritik und des Hinterfragens herauswachsen und als etwas erlebt werden, das MusikerInnen nützt. Studierende sollen somit befähigt werden, „wissenschaftliches Handeln in Beziehung zu ihren üblichen Tätigkeitsfeldern zu setzen und wissenschaft­liche Theorien, Methoden und Erkenntnisse als Möglichkeit zur Beantwortung zentraler Fragen ihres musikalischen und musikpädagogischen Handelns zu nutzen“. Dafür steht das ganze wissenschaftliche Angebot an der mdw mit ihren vielen wissenschaftlichen bzw. künstlerisch-wissenschaftlichen Instituten zur Verfügung: Nach weitgehend eigener Wahl sind von den Studierenden insgesamt fünf Pro- oder Hauptseminare zu besuchen, deren Spektrum von der musikalischen Analyse über Kulturwissenschaften und Gender Studies bis hin zur Musikpädagogik, Musikästhetik oder zur Musikalischen Akustik reichen kann – der Studienplan gibt jedenfalls keine Hierarchie vor, die die Formenlehre als verbindlich und das kulturwissenschaftliche Seminar als optional erklärt.

Am Ende des Bachelorstudiums

Wenn auch das Bachelorstudium im Vergleich mit dem Masterstu­dium einen höheren Grad an Verschulung aufweisen mag, haben dessen AbsolventInnen dennoch einen individuellen Weg durch das Studienangebot einschlagen können, durchaus schon mit Blick auf die Diversität der Berufsfelder ihr musikalisches Profil geschärft (auch in Ensembleprojekten oder in der stilistischen Ausweitung ihres zentralen künstlerischen Fachs), aus einem Angebot von sieben berufsqualifizierenden Schwerpunkten gewählt, sich einen Pfad im „Wissenschaftsdschungel“ gebahnt und sich möglicherweise auf bestimmte Disziplinen fokussiert sowie ihre vielleicht schon vorhandene beruf­liche Praxis mit der Instrumentaldidaktik an der Universität verschränkt. Um gut begründete Wahlentscheidungen treffen zu können, hilft ein verpflichtendes Peer-to-Peer- bzw. supervisorisches Mentoring, ein Studienplan „neuen Typs“ trägt überdies dieser Flexibilisierung und Individualisierung Rechnung: Das eigentliche Curriculum definiert auf anschauliche Weise Lernergebnisse und fixiert Studienbereiche, der Lehrveranstaltungsanhang bietet eher allgemein gehaltene Veranstaltungstitel und ordnet die ECTS-Credits zu, eine Beilage, die von Semester zu Semester im Dialog zwischen Fachinstituten und Studienkommission änderbar ist, macht Aussagen zur konkreten inhaltlichen Umsetzung und kann somit auf fachliche Entwicklungen und je neue Lehrangebote der Institute flexibel reagieren.

Instrumentalpädagogik sollte nicht auf Ins­trumentaldidaktik reduziert sein und dabei dann ausschließlich auf die Lernwelt des Unterrichts und die Kunst des Lehrens fokussieren, lässt sich doch mit Fug und Recht sagen: It takes a community to raise a musician!

Darüber hinaus haben die Bachelor-AbsolventInnen begonnen, ihre Rolle als MusikerInnen und MusikpädagogInnen im 21. Jahrhundert zu hinterfragen. Anstöße dazu boten etwa die Workshops zu Community Music in den Hauptfachklassen, die Lehrveranstaltung „Instrumentalpädagogik und Diversität: Gender and beyond“, das Kennenlernen der Praktiken des Musizierens in heterogenen Gruppen nach dem Vorbild des internationalen NAIP-Projekts8 oder der Umgang mit den verschiedenen Zielgruppen des Elementaren Musizierens in Schulen, Jugendzentren, Altersheimen. Schließlich wurden informelle Lernleistungen, also Leistungen außerhalb der mdw in selbstverantworteten Ensembles oder in eigener pädagogischer Praxis, anerkannt und im Rahmen des Curriculums kreditiert.

Individuelles Masterstudium

Dass ein Masterstudium dem vertiefenden Kompetenzerwerb in Kunst, Wissenschaft und Pädagogik dient, ist selbstverständlich; zugleich aber gewinnen individuelles Studieren, gesellschaftliche Verortung und Berufsfeldbezug noch mehr an Bedeutung. Seit längerer Zeit schon realisieren wir, dass die meisten Masterstudierenden nicht nur in bemerkenswertem Ausmaß beruflich tätig sind (also faktisch das Studium zu einem berufsbegleitenden wird), sondern in dieser Tätigkeit auch Neues in die Welt setzen, also relevante und innovative Projekte vorantreiben. Es war an der Zeit, diesem Umstand Rechnung zu tragen und den Studierenden in einem Umfang von 15 bis 30 Credits ein Feld für Projektarbeit zu öffnen, sie also bei ihren ohnehin schon geplanten Unternehmungen durch vertiefende Lehrveranstaltungen und ein Projektcoaching zu unterstützen, flankiert von einem Angebot von zurzeit 41 Wahlpflichtmodulen der Institute,9 untermauert von gesellschaftlich relevanten Projekten in der Uni selbst: etwa der Mitwirkung in der inklusiven Band „All Stars inclusive“,10 der Teilnahme an Community-Projekten von „Musik zum Anfassen“11 oder dem Unterricht für geflüchtete Menschen im Projekt „Zusammenklänge“12 der Hochschülerschaft.13
Unabhängig aber von dieser Projektvariante, in der das Curriculum mehr und mehr in ein „Studium irregulare“ mutiert, wenn Studierende das „normale“ Pflichtfachangebot neu sortieren und dann reduzieren können, damit die erwähnten Spielräume von 15 bis 30 Credits entstehen: Seit etwa einem Jahr tendiert das gesamte Masterstudium in Richtung einer Orientierung an den Vorhaben und Unternehmungen der Studierenden. Lange wurde die abschließende Masterarbeit als eine wissenschaftliche normiert, nun ist sie in erster Linie eine „künstlerische“ bzw. „künstlerisch-pädagogische“.
Diese Art der Abschlussarbeit verlangt nach einem künstlerischen oder künstlerisch-pädagogischen Vorhaben (dessen Dokumentation den ersten Teil der Arbeit darstellt) und anschließend eine vertiefende Reflexion und theoretische Kontextualisierung dieses Vorhabens, die durchaus ins Wissenschaftliche gehen kann; bei der Betreuung dieser Arbeit kooperieren künstlerische und wissenschaftliche Lehrende.

1 Ich beziehe mich auf die grundlegende Reform des Bachelorstudiums, die am 1. Oktober 2021 in Kraft treten wird, sowie zahlreiche einschneidende Änderungen im IGP-Masterstudium, die seit einiger Zeit gelten.
2 Alle Zitaten ohne spezifische Quellenangabe sind dem Curriculum IGP-Bachelor entnommen, das durch die Gremien der mdw beschlossen wurde und am 1. Oktober 2021 in Kraft tritt.
3 Donald A. Schoen führt in seinem Buch The reflective practioner. How Professionals Think in Action (New York 1983) aus, dass schon das professionelle Handeln selbst, allerdings implizit und unausgesprochen, von ständiger Exploration gekennzeichnet ist, das heißt im Tun selbst ständig Hypothesen aufgestellt und Handlungskonsequenzen untersucht werden und somit tatsächlich von einem Denken im Tun gesprochen werden kann.
4 vgl. Peter Röbke: „Was hat El Sistema mit dem Klavierunterricht in Dinkelsbühl zu tun? Überlegungen zur Reichweite des ,Lernens in der musikalischen Praxisgemeinschaft‘“, in: üben & musizieren 6/2011, S. 8-13.
5 vgl. Natalia Ardila-Mantilla: Musiklernwelten erkennen und gestalten: Eine qualitative Studie über Musikschularbeit in Österreich, Wien 2016.
6 www.mdw.ac.at/imp/musik-im-dialog (Stand: 16.7.2020).
7 Bewusst wähle ich den Begriff „kollaborativ“, zielt er doch – anders als der Begriff „kooperativ“ – darauf, dass die an einer „Collaboration“ Beteiligten bereit sind, ihre je eigenen Wissensbestände und Handlungsroutinen zu hinterfragen und verändern.
8 New Audiences and Innovative Practice (NAIP), siehe www.musicmaster.eu (Stand: 20.7.2020).
9 www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/stdmp/downloads/Module.pdf (Stand: 20.7.2020).
10 www.musiceducation.at/all-stars-inclusive (Stand: 20.7.2020).
11 www.musikzumanfassen.at/uni (Stand: 20.7.2020).
12 www.mdw.ac.at/refugees_mdw/?PageId=14 (Stand: 20.7.2020).
13 Die gesellschaftlichen Wirklichkeiten machen sich auch in der Musiziergruppe bemerkbar, wenn plötzlich ein Schüler oder eine Schülerin bei den „Zusammenklängen“ nicht mehr kommt, weil er oder sie nach Afghanistan abgeschoben wurde, in der musikalischen Arbeit mit SeniorInnen spürbar wird, wie sehr im übrigen Betrieb des Heimes deren Autonomie unter die Räder kommt, oder ein langjähriges Mitglied der inklusiven Band nicht mehr kommen kann, weil Assistenzleistungen gekürzt wurden.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2020.