Ehses, Sandra

„Zu seinem Meister erwehle man sich einen solchen, der den Ruf hat, daß er geschickte Schüler zieht“

Friedrich Wilhelm Marpurgs Überlegungen zu wünschenswerten Eigenschaften von Lernenden und ­Lehrenden (1760)

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 48

Es ist nicht schwer, eine historische Musiklehre zu finden. Heutzutage muss es weder ein absichtsvoller noch ein zufälliger Fund in einem Antiquariat oder einer Bibliothek sein. Das Internet liefert viele Zeugnisse damaligen Musikunterrichts bequem auf den heimischen Schreibtisch. Das Wissen um die Lehrwerke von Leopold Mozart oder Johann Joachim Quantz gehört wohl zum Allgemeinwissen von MusikpädagogInnen. Aber es gibt weit mehr Bücher, die musikalische Grundkenntnisse und/oder instrumentale Fähigkeiten vermitteln. Gerade im 18. Jahrhundert nimmt die Zahl musikalischer Schriften dieser Art zu. So veröffentlichte beispielsweise Friedrich Wilhelm Marpurg 1760 Die Kunst das Clavier zu spielen.1
Eine Besonderheit dieses Lehrwerks ist die „Vorbereitung“, welche den instrumentalen Lehrinhalten vorangestellt ist. Hier werden grundsätzliche Fragen formuliert und mit Empfehlungen beantwortet. Doch es dominiert nicht der erhobene Zeigefinger, der nur den Lernenden in die Pflicht nimmt. Natürlich sollte der Schüler „gesunde Sinne und Glieder“ sowie „Begierde und Aufmerksamkeit“2  gegenüber der Musik haben und die Bedeutung des Übens kennen. Aber auch der Lehrende, an den sich dieses Lehrbuch gleichermaßen wendet, sollte „drey Eigenschaften in einem gewissen Grade der Vollkommenheit beysammen haben“:3 Er soll unterrichten, das Instrument selbst spielen und komponieren können. Pflegen Lehrkräfte heute diese drei Fähigkeiten in ausgeglichener Weise? Vermutlich kommt am ehesten das Komponieren zu kurz. Wäre es nicht reizvoll, dies (wieder) häufiger oder ernsthafter zu betreiben, um mit den Ergebnissen den Unterricht differenzierter gestalten zu können und um das spieltechnisch-musikalische Lernen zu bereichern?4
Doch bei Marpurg werden diese Fertigkeiten nur genannt und kurz ihre Bedeutung für den Unterricht hervorgehoben. Ihm ist es wichtiger, auf das „uneigennützige Gemüth“5 der Lehrkraft aufmerksam zu machen. Die Schüler sollen uneigennützig unterstützt werden, indem der Lehrer sich ebenfalls auf den Unterricht vorbereitet, Fragen beantwortet, Fehler verbessert und „Kunstgriffe“6 zeigt. Sonst besteht die Gefahr, zu einem „eigennützigen Meister“7 zu werden. Diese halten die SchülerInnen auf und sind mehr an ihrem eigenen „Vortheile“8 als an dem der Lernenden interessiert. Mehr noch: „Sie geben entweder keine Antwort, oder machen selbige so verwirrt, daß sie keiner verstehen kann. Sie verbessern die Fehler ihrer Schüler nicht. Ihr Fortgang, ihre Begierde immer weiter zu gehen, machet sie eifersüchtig.“9

1 Marpurg, Friedrich Wilhelm: Die Kunst das Clavier zu spielen, Berlin 1760, online als Digitalisat unter www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10598997 (Stand: 28.2.2024).
2 Marpurg, Vorbereitung, § 2.
3 Marpurg, Vorbereitung, § 3.
4 Diesbezüglich sei auf das Themenheft „Komponieren“, üben & musizieren 4/2020 verwiesen.
5 Marpurg, Vorbereitung, § 3.
6 ebd.
7 ebd.
8 ebd.
9 ebd.

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