Adrians, Frauke (Hg.)

Zukunft(s)orchester

Perspektiven für Musikeraus­bildung und Orchesterpraxis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2022
erschienen in: üben & musizieren 5/2022 , Seite 60

Die Zukunft ist ein weites Feld, ein Ort für Projektionsflächen, für SchwarzseherInnen wie FortschrittsoptimistInnen. Einen Band mit Aufsätzen zu den Zukunftsperspektiven der Orchester herauszugeben, hat also einen hohen Anspruch. Die 15 Aufsätze sind in vier Rubriken gegliedert. Unter „Das entwickelte Orchester – Ensemble- und Ausbildungsprofile im Entstehen“ betrachten die AutorInnen überwiegend historische Aspekte, unter anderem des Leipziger und Dresdner Musiklebens. Im Abschnitt „Der Weg ins Orchester –Studium und Probespiel: Reformideen, Reformansätze“ liest man z. B. Erfahrungen des Dirigenten Christoph Altstaedt aus den Jugendorchestern, unter anderem mit dem Vorschlag eines Pools, in dem alle 50%-Stellen haben und je nach Bedarf und Interesse aufstocken können.
Im dritten Abschnitt „Das partizipative Orchester – offen auch für freie Szene und Peer Groups?“ lernt man im Beitrag von Lennart Dohms die wohl radikalsten Ideen kennen. Er fordert eine curricular verankerte Musikerausbildung, in der die Ensembles mehr im Vordergrund stehen – analog zu den international praktizierten Modellen der „Performing Arts“.
Schließlich folgen viertens Aufsätze zum Thema „Die nächste Generation – die Orchester der Zukunft gestalten“, unter anderem mit einem Beitrag von Oksana Lyniv über das Jugendorchester der Ukraine, das – so die Überschrift – Beispielcharakter für das ganze Land habe. Marcus Rudolf Axt stellt die Akademie der Bamberger Symphoniker unter dem Aspekt der Gewinnung von Spitzennachwuchs für das eigene Orchester mit einem entsprechend zugeschnittenen Akademieprogramm dar.
In den Aufsätzen schwingen eine Fülle von Fragen mit. Vielleicht wäre es gut, diese genauer zu formulieren. Sind die Orchester wirklich deshalb museal, weil sie überwiegend älteres Repertoire spielen? Hat nicht z. B. die Originalklang-Szene zu einem heutigen Umgang mit Alter Musik beflügelt? Gibt es nicht allerorten künstlerische Beiräte, Programmkommissionen, traditionsreiche musikalische Akademien, in denen die Orchestermitglieder das Programm (mit-)bestimmen? Sind das absolutistische und hierarchische Prinzip in der Zusammenarbeit von Orchester und musikalischer Leitung nicht längst Geschichte und die Mitbestimmung bei der Wahl von ChefdirigentInnen nicht sogar tarifvertraglich garantiert? War die Idee, dass das Spielen in kleineren Ensembles und in der Kammermusik die Qualität im großen Orchesterkonzert voranbringt, nicht schon seit den späten 1980er Jahren verbreitet?
Sind soziale Sicherung durch ­Tarife und regelmäßige Gehälter automatisch innovationsfeindlich und rückwärtsgewandt? Was ist mit den Zukunftsthemen in der Gesellschaft wie Ressourcen und Nachhaltigkeit? Über die Zukunft der Orchester zu debattieren, ist ein spannendes Thema. Insofern führt jede Lektüre weiter.
Gernot Wojnarowicz