Wolff, Dagmar

Zur Optimierbarkeit von Klaviertechnik

Erfassung und Evaluation von Bewegungsabläufen und Übestrategien

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: üben & musizieren 6/2009 , Seite 56

Dagmar Wolff ist Pianistin, Pädagogin und Physiotherapeutin, sie lehrt an der Hochschule Luzern und forscht derzeit am Kölner MPI für neurologische Rehabilitation. Nach Operation am Handgelenk gelang ihr durch tägliche physiotherapeutische Behandlungen und die „Re-Edukation von Bewegungsabläufen am Klavier“ eine rasche Rehabilitation. Bei der Analyse entdeckte sie Regelhaftigkeiten, die die Grundlage für ihre so genannte Ω-Methode wurden. Diese berücksichtigt anatomische, physiologische und kognitionspsychologische Prinzipien.
Das 1. Kapitel liefert Grundlagen für eine exemplarische Auffassung von Klaviertechnik. Im 2. Kapitel geht es um Einblicke in psycho- und physiologische Fundamente des Lernens. Das 3. Kapitel beschreibt dann detailliert die Ω-Methode. Das Ω ist ein Modell für physiologische Bewegungsführung. Einem Sprung z. B. aus mittlerer Lage in den Diskant muss eine diskrete Bewegung des Handgelenks in die Gegenrichtung vorausgehen. Ein Abdruck vom Tastenboden leitet die Transportbewegung ein. Der daraus resultierende Kurvenverlauf nimmt die Form eines Ω an. Dies sei die optimale Bewegung von Ton zu Ton.
Obwohl hier doch Fragen offen bleiben, ist die Namensgebung Ω anschaulich und einprägsam. Die Bedeutung ikonischer Repräsentation und ihre Relevanz in der Pädagogik ist bekannt. Und so greift die Autorin zu einem weiteren Symbol, das bis zu dieser Stelle schon mehrmals unerklärt ornamental gezeigt worden ist: „das Ikon für den Zyklus der Tonerzeugung“. Dem beim Üben allbekannten „Zirkel von Vorstellung, Aktion, Prüfung des Resultats und Korrektur“ (Röbke) werden Gestalt und neue Namen gegeben. Ein 3-farbiger Kreis symbolisiert diesen Zyklus und übt Signalfunktion aus: Vorbereitung, Planung (Preparatory Phase mit dem Point of Mental Focus) „ist essentiell und daher rot dargestellt“. Der Vorgang der Tonerzeugung, der Steuerung (Moment of Key Contact und Phase of Feedback) trägt die Farbe grün. Kontrollfunktionen (Phase of Feedforward) werden blau abgebildet. Die konsequente Verwendung dieser Farben soll gewährleisten, dass eine besonders stabile Verankerung der Inhalte im Gehirn und eine Erleichterung ihrer Aktivierung erreicht wird. Dieses Schema gilt auch bei allen Erweiterungen zu Motiven, Sequenzen etc. sowie bei Parametern der Interpretation wie Dynamik oder Artikulation…
Einer Feedforward-Phase folgt der nächste Zyklus. Die Lehrkraft als gleichberechtigte Lernpartnerin kann über gezielte Hilfe durch akustische, visuelle, verbale, taktile oder kinästhetische Reize die Wahrnehmung der Lernenden beeinflussen, aber stets nur mit dem Nötigsten an Unterstützung, um ein selbstgesteuertes, autonomes Lernen zu begünstigen. Sensorische Reize werden leichter erkannt, schneller verarbeitet, nachhaltiger gespeichert und schneller abgerufen. Durch diese Arbeitsweise können Lernprozesse nicht nur im weiten Feld des Instrumentalspiels, sondern in allen Bereichen unserer Lebenswelt optimiert werden.
In weiteren Kapiteln wird die Ω-Methode empirisch fundiert. Das geschieht anhand einer Versuchsanordnung zur kinematografischen Erfassung von Klavierbewegung mittels eines Bewegungsmesssystems (auch benutzt im Spitzensport und in der Reha-Diagnostik), hier angewendet bei 30 Probanden, von denen 15 mit der Ω-Methode vertraut sind. Dafür wurden Übungen von Wieck, Czerny, Brahms und anderen ausgewählt. Desweiteren anhand der Auswertung zweier Kataloge mit je 40 Fragen zur Erfassung metakognitiver Strategien beim Klavierüben und beim allgemeinen Lernen. Die Testentwicklung, ihre Auswertungen sowie Diskussion und Interpretation der Ergebnisse, die deutlich zugunsten der Ω-Methode ausfallen, sind weitere Inhalte der Schlusskapitel. Es folgt ein Anhang mit Literaturverzeichnis, den Fragebögen und einem Tabellenverzeichnis.
An wen richtet sich dieses Buch? Offensichtlich hat es die Autorin für sich selbst und ihr akademisch-wissenschaftliches Umfeld geschrieben. Es handelt sich um ihre Dissertation, virtuos in Wissenschaftssprache verfasst. Aber ein solcher Text ist sehr mühsam zu lesen, auch weil ein Glossar fehlt. Abbildungen von Symbolen und Testergebnisse sind manchmal von schlechter Qualität und selbst mit Lupe kaum zu erkennen. Um die interessanten und nicht nur für Klaviertechnik wichtigen Inhalte publik zu machen, müsste das Buch gekürzt und für eine Leserschaft außerhalb des Doktorandenseminars umgeschrieben werden, erweitert um die jüngsten neurologischen Forschungsresultate, sofern sie für das Thema relevant sind.
Reinhold Schmidt