Burkert, Luna
Zwischen Alltag und Verantwortung
Der Aktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und wie wir ihn nutzen können
Eine Modelleisenbahn kann auf dem heimischen Laminat immer im Kreis fahren – oder aber in einer spannenden, bunten, vielfältigen Landschaft unterwegs sein, die mit Hingabe aufgebaut worden ist und sich mit der Zeit immer weiterentwickelt. In der Regel ist unser Bildungskanon das heimische Laminat und unsere Lehre die eingefahrene, sichere Schiene. Eine Möglichkeit, die Dauerschleife aufzubrechen, bietet der Aktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE).
BNE steht für den Aktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Deutschland, der 2017 als Teil des Weltaktionsprogramms im Rahmen der Agenda 2030 der UNESCO erschienen ist.1 Der Plan kann ein bedeutsamer Wegweiser für Lehrende sein, die mit ihrem Unterricht Nachhaltigkeit wie den Erhalt einer intakten Umwelt, Chancengerechtigkeit oder die Wertschätzung kultureller Vielfalt fördern wollen. Er sieht vielgestaltige Nachhaltigkeit in Lehre und Lernen vor – von der Kita bis zur Hochschule. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und Partizipation zu leben. Dabei orientiert er sich in seinen Zielsetzungen an den Sustainable Development Goals2 der UN, wie Hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit, Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.
Chance oder Scheitern?
Für die Umsetzung sind neben den Lehrenden auch die Bildungsträger auf kommunaler, Landes- und Bundesebene zuständig. Von deren Seite wurde inzwischen einiges in die Wege geleitet. Bildungspläne wurden angepasst, einschlägige Fortbildungen ins Leben gerufen und Projektfinanzierungen angestoßen.3
Insgesamt jedoch scheint die große Idee des BNE von ihrer Umsetzung beinahe weiter entfernt als bei der Veröffentlichung vor sieben Jahren. Eine strukturelle Verankerung gibt es trotz ministerieller Empfehlung und Unterstützung auf keiner Handlungsebene.4 Dabei fordert der BNE nicht dazu auf, eigenmächtig die Welt zu retten. Mit überschaubaren Handlungsschritten sollen autonomes Handeln, Partizipationsmöglichkeiten, Transformationen und zukunftsorientiertes Denken im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung im persönlichen Arbeitsalltag angestoßen werden, um langfristig Systeme und Systematiken zu optimieren.
Chancen bestehen durchaus: Eine Initiative zur Verankerung des BNE geht seit Kurzem vom Wissenschaftsladen Bonn e. V. sowie von Zebralog (Agentur für Öffentlichkeitsbeteiligung) aus, die einen Online-Selbstlernkurs entwickelt haben. Der Kurs „BNEhoch3“ bietet Lehrenden verschiedene Weiterbildungsmodule an. „BNEhoch3“ soll dazu motivieren, die eigene Wirkfähigkeit in Bildungsräumen wahrzunehmen und Aspekte einer nachhaltigen Zukunft zu vermitteln. Zentral sind Stichworte wie Demokratiebefähigung, Digitalisierung, politische Bildung, gesellschaftliche Transformation, transformatives Lernen, Umweltpsychologie und vieles mehr.5 Inwiefern diese Initiative zu einem erkennbaren Umdenken in Lehre und Lernen beitragen wird, bleibt abzuwarten.
Wirken und Verantwortung
Wir Instrumental- und Vokallehrende haben als „Artistic Citizens“ eine besondere Wirkkraft und damit eine besondere Verantwortung. Durch schülerorientierte und individuell gestaltete Unterrichtsplanung können Werte wie Teilhabegerechtigkeit, Toleranz und Nachhaltigkeit in die Lehrtätigkeit eingebettet werden. Dabei bietet die Arbeit mit Musik große Handlungsspielräume – auch außerhalb von Spieltechnik, Improvisation oder Interpretation. So lassen sich zahlreiche Umgangsmöglichkeiten mit Lernenden und KollegInnen, die inhaltlich dem Kanon des BNE entsprechen, nicht nur im Kontext Musikschule anstoßen. Dabei kann es für die erfolgreiche Verankerung von nachhaltiger Bildungsarbeit in der eigenen Berufspraxis hilfreich sein, sich an folgenden Anhaltspunkten zu orientieren:
– Analyse der jeweiligen Gelingensbedingungen,
– realistische Zielsetzungen,
– kleine Handlungsschritte,
– individuelle Priorisierung von Themen,
– Entscheidung für oder gegen Teamarbeit (wobei SchülerInnen auch als TeampartnerInnen angesehen werden können).
Nachhaltigkeit im Unterricht – Ideen zur Umsetzung
– In Instrumentenbaustunden werden gemeinsam alte Instrumente auf Material hin analysiert. Rohstoffwerte, Rohstoffverknappung und die daraus resultierende Wertigkeit von Instrumenten können so vermittelt werden. AnfängerInnen lernen, aus welchen Bestandteilen ihr Instrument besteht und wo die Ressourcen dafür herkommen. Optional kann so eine Stunde auch für Eltern geöffnet werden.
– Durch kultursensible Beschäftigung mit Liedmaterial aus anderen Ländern und Originalvertonungen auf traditionellen Instrumenten wird kulturelle Vielfalt aufgezeigt (z. B. Sakura auf der Shinobue im Querflötenunterricht). Ein musikalischer Mehrwert kann durch Klangforschung am eigenen Instrument im Versuch der Imitation traditioneller Instrumente gelingen.
– Die Einbettung der Werke von Komponistinnen in den Unterricht sowie in das Ensemble- bzw. Orchesterrepertoire erweitert den Repertoire-Horizont von Lehrenden und SchülerInnen.
– Bei Kinderliedern wie z. B. Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Alle Kinder lernen lesen reicht selbst ein kritischer und sensibler Umgang nicht aus. Ein solches Liedgut sollte aus dem Repertoire gestrichen werden, denn Worte und damit verbundene Illustrationen steuern das Denken und Festigen die Verharmlosung rassistischer Stereotype: „Meinungslenkung erfolgt im Rahmen eines Geflechts aus Sprache und Klischees […]“, und unser „Weltwissen […] steck[t] nicht nur in Wörtern und Kombinationen, sondern zusätzlich in den Assoziationen, Metaphern und Interferenzen, die sich u. a. durch Stereotype aktivieren lassen“.6 Bestätigt durch verschiedene Studien7 kann man mindestens von einer gegenseitigen Beeinflussung von Sprache und Denken ausgehen.8 Lehrwerke sind üppig gefüllt mit Liedmaterial, sodass es nicht schadet, negativ prägende Stücke zu überspringen.
– Mitglieder des Vereins „Orchesters des Wandels“9 leben vor, wie man den professionellen Konzertbetrieb nachhaltiger gestalten kann. Für eigene Projekte (auch in der Musikschule) können die erfolgreichen Umsetzungen zukunftsfähiger künstlerischer Arbeit Orientierung und Inspiration sein.
– Die wahrscheinlich unbequemste Handlungsoption ist die Bereitschaft zur Konfrontation im Kollegium. Mit freundlicher Ruhe kontroversen Diskussionen über Migration, Klimakatastrophe oder Kriege nicht aus dem Weg zu gehen, sondern klare Haltung zu zeigen und damit Demokratie zu leben, klingt selbstverständlich, ist aber wohl eine der anspruchsvollsten Aufgaben, denen man sich selbst stellen kann.
Fazit
Jeder Tag bietet Musikpädagoginnen und -pädagogen eine neue Chance, mit der eigenen Freude am Musizieren und Lehren als verantwortungsbewusster Teil der Gesellschaft zu agieren. Unser Berufsalltag kann die Richtschnur für zukunftsweisende Lichtblicke der Musikpädagogik sein. Ob als Studierende, Lehrkraft, DozentIn oder MusikschulleiterIn: Wir alle können die Kernideen des BNE zur Umsetzung bringen und so zu einem nachhaltigen Entwicklungsprozess beitragen. Wir können mit unserer Musizierfreude „gemeinsam weiter lehren und lernen […], wie sich das Morgen in unserer Welt zuhause fühlen kann“.10
1 siehe Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung: Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm, www.bne-portal.de/bne/de/nationaler-aktionsplan/nationaler-aktionsplan_node.html (Stand: 14.1.2025)
2 https://unric.org/de/17ziele (Stand: 14.1.2025).
3 siehe Kampagne #bnejetzt: Lernen. Handeln. Gemeinsam Zukunft gestalten, www.bne-portal.de/bne/de/bne-jetzt/bne-jetzt_node.html (Stand: 14.1.2025).
4 vgl. Grund, Julius/Brock, Antje: Formale Bildung in Zeiten von Krisen – die Rolle von Nachhaltigkeit in Schule, Ausbildung & Hochschule, Kurzbericht des Nationalen Monitorings zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auf Basis einer Befragung von > 3.000 jungen Menschen und Lehrkräften, Berlin 2022, www.bne-portal.de/ bne/de/news/fu-quantitative-befragung-formale-bildung.html (Stand: 14.1.2025).
5 vgl. https://bnehochdrei.de (Stand: 14.1.2025).
6 Elsen, Hilke: Gender – Sprache – Stereotype. Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht, Tübingen 2020, S.65-66.
7 vgl. Werlen, Iwar: Sprachliche Relativität: eine problemorientierte Einführung, Tübingen 2002.
8 siehe Elsen, S. 70.
9 www.orchester-des-wandels.de (Stand: 14.1.2025).
10 siehe Bundesministerium für Bildung und Forschung: Erklärfilm – Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung, www.bne-portal.de/bne/de/infothek/mediathek/_documents/lernen-zu-handeln.html (Stand: 14.1.2025).
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2025.